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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere. Bären. -- Baribal.

Grade über den Baribal ist von verschiedenen Reiseschriftstellern Mancherlei gefabelt und gefaselt
worden. Einzelne haben ihn als das gutmüthigste Geschöpf unter der Sonne geschildert, andere die
Aengstlichkeit ihres Gemüths auch in seiner Beschreibung bekundet. Man thut wohl, wenn man sich aus-
schließlich an die amerikanischen Naturforscher hält und zwar vor allem an Richardson und Audu-
bon.
So habe ich gethan.

Der Baribal ist über ganz Nordamerika verbreitet. Man hat ihn in allen waldigen Gegenden
gefunden, von der Ostküste bis zur Grenze Kaliforniens und von den Pelzländern bis nach Mejiko. Der
Wald bietet ihm eigentlich Alles, was er bedarf; er wechselt seinen Aufenthalt aber nach den Jahres-
zeiten, wie es deren verschiedene Erzeugnisse bedingen. Während des Frühlings pflegt er sich seine
Nahrung in den reichen Flußniederungen zu suchen und sich deshalb in jenen Dickichten aufzuhalten,
welche die Ufer der Ströme und Seen umsäumen. Jm Sommer zieht er sich in den tiefen, an Baum-
früchten mancherlei Art so reichen Wald zurück, und im Winter endlich wühlt er sich an einer den Blicken
möglichst verborgenen Stelle ein passendes Lager, in welchem er zeitweilig schläft oder wirklichen Winter-
schlaf hält. Ueber letztern lauten die Angaben noch verschieden. Einige sagen, daß nur manche Bären
wochenlang im Lager verborgen wären und schliefen, während die übrigen auch im Winter von einem
Ort zum andern streiften, ja sogar von nördlichen Gegenden her nach südlichen wanderten; Andere
glauben, daß Dies nur in gelinderen Wintern geschehe, während in strengeren sämmtliche Bären Winter-
schlaf hielten. Sicher ist, daß man grade im Winter oft zur Jagd des Baribal auszieht und ihn in seinem
Lager aufsucht. Richardson sagt, daß sich das Thier gewöhnlich einen Platz an einem umgefallenen
Baum erwähle, dort sich eine Vertiefung ausscharre und dahin sich bei Beginn eines Schneesturmes
zurückziehe. Der fallende Schnee decke dann Baum und Bär zu; doch erkenne man das Lager an einer
kleinen Oeffnung, welche durch den Athem des Thieres aufgethaut werde, und an einer gewissen
Menge von Reif, welcher sich nach und nach um diese Oeffnung niederschlagen soll. Jn den südlicheren
Gegenden mit höherm Baumwuchs zieht sich der Bär oft in hohle Bäume zurück, um hier zu schlafen.
Jn diesem Winterlager verweilt er, solange Schnee fällt. Auch im Sommer pflegt er sich ein Bett
zurecht zu machen und dasselbe mit trockenen Blättern und Gras auszupolstern. Dieses Lager ist aber
schwer zu finden, weil es gewöhnlich an den einsamsten Stellen des Waldes in Felsspalten, niederen
Höhlungen und unter Bäumen, deren Zweige bis zur Erde herabhängen, augelegt wird. Nach
Audubon soll es dem Lager des Wildschweins am meisten ähneln.

Auch der Baribal ist, so dumm, plump und ungeschickt er aussieht, ein wachsames, reges und
bewegungsfähiges Thier. Er ist kräftig, muthig, geschickt und ausdauernd. Sein Lauf ist so schnell,
daß ihn ein Mann nicht einzuholen vermag; das Schwimmen versteht er vortrefflich, und im Klettern
ist er Meister. Jedenfalls ist er in allen Leibesübungen gewandter, als unser brauner Bär, dessen
Eigenschaften er im übrigen besitzt. Auch er beweist im Nothfall jenen tollkühnen Muth, welcher die
stärkeren Arten seiner Familie so gefährlich macht. Nur höchst selteng reift er den Menschen ungereizt
an -- obgleich Dies ebenfalls schon beobachtet worden ist --: gewöhnlich flieht er beim Erscheinen
seines ärgsten Feindes so schnell als möglich dem Walde zu, und selbst verwundet nimmt er nicht
immer seinen Gegner an, während er, wenn er keinen Ausweg mehr sieht, sich ohne Besinnen der
offenbarsten Uebermacht entgegenwirft und dann sehr gefährlich werden kann.

Seine Nahrung besteht hauptsächlich in Pflanzenstoffen und zwar in Gräsern, Blättern, halb-
reifem und reifem Getreide, in Beeren und Baumfrüchten der verschiedensten Art. Doch verfolgt auch
er das Herdenvieh der Bauern und wagt sich, wie Meister Braun, selbst an die bewehrten Rinder.
Dem Landwirth schadet er immer, gleichviel, ob er in die Pflanzung einfällt oder die Herden beunruhigt,
und deshalb ergeht es ihm, wie unserm Bären: er wird ohne Unterlaß verfolgt und durch alle Mittel
ausgerottet, sobald er sich in der Nähe des Menschen zu zeigen wagt.

Ueber die Bärzeit des Baribal scheinen die amerikanischen Naturforscher ebensowenig genau
unterrichtet zu sein, wie die europäischen über die Fortpflanzung unsers braunen Bären. Richardson
giebt die Trächtigkeit des schwarzen Bären zu ungefähr funfzehn bis sechzehn Wochen an, und

Die Raubthiere. Bären. — Baribal.

Grade über den Baribal iſt von verſchiedenen Reiſeſchriftſtellern Mancherlei gefabelt und gefaſelt
worden. Einzelne haben ihn als das gutmüthigſte Geſchöpf unter der Sonne geſchildert, andere die
Aengſtlichkeit ihres Gemüths auch in ſeiner Beſchreibung bekundet. Man thut wohl, wenn man ſich aus-
ſchließlich an die amerikaniſchen Naturforſcher hält und zwar vor allem an Richardſon und Audu-
bon.
So habe ich gethan.

Der Baribal iſt über ganz Nordamerika verbreitet. Man hat ihn in allen waldigen Gegenden
gefunden, von der Oſtküſte bis zur Grenze Kaliforniens und von den Pelzländern bis nach Mejiko. Der
Wald bietet ihm eigentlich Alles, was er bedarf; er wechſelt ſeinen Aufenthalt aber nach den Jahres-
zeiten, wie es deren verſchiedene Erzeugniſſe bedingen. Während des Frühlings pflegt er ſich ſeine
Nahrung in den reichen Flußniederungen zu ſuchen und ſich deshalb in jenen Dickichten aufzuhalten,
welche die Ufer der Ströme und Seen umſäumen. Jm Sommer zieht er ſich in den tiefen, an Baum-
früchten mancherlei Art ſo reichen Wald zurück, und im Winter endlich wühlt er ſich an einer den Blicken
möglichſt verborgenen Stelle ein paſſendes Lager, in welchem er zeitweilig ſchläft oder wirklichen Winter-
ſchlaf hält. Ueber letztern lauten die Angaben noch verſchieden. Einige ſagen, daß nur manche Bären
wochenlang im Lager verborgen wären und ſchliefen, während die übrigen auch im Winter von einem
Ort zum andern ſtreiften, ja ſogar von nördlichen Gegenden her nach ſüdlichen wanderten; Andere
glauben, daß Dies nur in gelinderen Wintern geſchehe, während in ſtrengeren ſämmtliche Bären Winter-
ſchlaf hielten. Sicher iſt, daß man grade im Winter oft zur Jagd des Baribal auszieht und ihn in ſeinem
Lager aufſucht. Richardſon ſagt, daß ſich das Thier gewöhnlich einen Platz an einem umgefallenen
Baum erwähle, dort ſich eine Vertiefung ausſcharre und dahin ſich bei Beginn eines Schneeſturmes
zurückziehe. Der fallende Schnee decke dann Baum und Bär zu; doch erkenne man das Lager an einer
kleinen Oeffnung, welche durch den Athem des Thieres aufgethaut werde, und an einer gewiſſen
Menge von Reif, welcher ſich nach und nach um dieſe Oeffnung niederſchlagen ſoll. Jn den ſüdlicheren
Gegenden mit höherm Baumwuchs zieht ſich der Bär oft in hohle Bäume zurück, um hier zu ſchlafen.
Jn dieſem Winterlager verweilt er, ſolange Schnee fällt. Auch im Sommer pflegt er ſich ein Bett
zurecht zu machen und daſſelbe mit trockenen Blättern und Gras auszupolſtern. Dieſes Lager iſt aber
ſchwer zu finden, weil es gewöhnlich an den einſamſten Stellen des Waldes in Felsſpalten, niederen
Höhlungen und unter Bäumen, deren Zweige bis zur Erde herabhängen, augelegt wird. Nach
Audubon ſoll es dem Lager des Wildſchweins am meiſten ähneln.

Auch der Baribal iſt, ſo dumm, plump und ungeſchickt er ausſieht, ein wachſames, reges und
bewegungsfähiges Thier. Er iſt kräftig, muthig, geſchickt und ausdauernd. Sein Lauf iſt ſo ſchnell,
daß ihn ein Mann nicht einzuholen vermag; das Schwimmen verſteht er vortrefflich, und im Klettern
iſt er Meiſter. Jedenfalls iſt er in allen Leibesübungen gewandter, als unſer brauner Bär, deſſen
Eigenſchaften er im übrigen beſitzt. Auch er beweiſt im Nothfall jenen tollkühnen Muth, welcher die
ſtärkeren Arten ſeiner Familie ſo gefährlich macht. Nur höchſt ſelteng reift er den Menſchen ungereizt
an — obgleich Dies ebenfalls ſchon beobachtet worden iſt —: gewöhnlich flieht er beim Erſcheinen
ſeines ärgſten Feindes ſo ſchnell als möglich dem Walde zu, und ſelbſt verwundet nimmt er nicht
immer ſeinen Gegner an, während er, wenn er keinen Ausweg mehr ſieht, ſich ohne Beſinnen der
offenbarſten Uebermacht entgegenwirft und dann ſehr gefährlich werden kann.

Seine Nahrung beſteht hauptſächlich in Pflanzenſtoffen und zwar in Gräſern, Blättern, halb-
reifem und reifem Getreide, in Beeren und Baumfrüchten der verſchiedenſten Art. Doch verfolgt auch
er das Herdenvieh der Bauern und wagt ſich, wie Meiſter Braun, ſelbſt an die bewehrten Rinder.
Dem Landwirth ſchadet er immer, gleichviel, ob er in die Pflanzung einfällt oder die Herden beunruhigt,
und deshalb ergeht es ihm, wie unſerm Bären: er wird ohne Unterlaß verfolgt und durch alle Mittel
ausgerottet, ſobald er ſich in der Nähe des Menſchen zu zeigen wagt.

Ueber die Bärzeit des Baribal ſcheinen die amerikaniſchen Naturforſcher ebenſowenig genau
unterrichtet zu ſein, wie die europäiſchen über die Fortpflanzung unſers braunen Bären. Richardſon
giebt die Trächtigkeit des ſchwarzen Bären zu ungefähr funfzehn bis ſechzehn Wochen an, und

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[604/0680] Die Raubthiere. Bären. — Baribal. Grade über den Baribal iſt von verſchiedenen Reiſeſchriftſtellern Mancherlei gefabelt und gefaſelt worden. Einzelne haben ihn als das gutmüthigſte Geſchöpf unter der Sonne geſchildert, andere die Aengſtlichkeit ihres Gemüths auch in ſeiner Beſchreibung bekundet. Man thut wohl, wenn man ſich aus- ſchließlich an die amerikaniſchen Naturforſcher hält und zwar vor allem an Richardſon und Audu- bon. So habe ich gethan. Der Baribal iſt über ganz Nordamerika verbreitet. Man hat ihn in allen waldigen Gegenden gefunden, von der Oſtküſte bis zur Grenze Kaliforniens und von den Pelzländern bis nach Mejiko. Der Wald bietet ihm eigentlich Alles, was er bedarf; er wechſelt ſeinen Aufenthalt aber nach den Jahres- zeiten, wie es deren verſchiedene Erzeugniſſe bedingen. Während des Frühlings pflegt er ſich ſeine Nahrung in den reichen Flußniederungen zu ſuchen und ſich deshalb in jenen Dickichten aufzuhalten, welche die Ufer der Ströme und Seen umſäumen. Jm Sommer zieht er ſich in den tiefen, an Baum- früchten mancherlei Art ſo reichen Wald zurück, und im Winter endlich wühlt er ſich an einer den Blicken möglichſt verborgenen Stelle ein paſſendes Lager, in welchem er zeitweilig ſchläft oder wirklichen Winter- ſchlaf hält. Ueber letztern lauten die Angaben noch verſchieden. Einige ſagen, daß nur manche Bären wochenlang im Lager verborgen wären und ſchliefen, während die übrigen auch im Winter von einem Ort zum andern ſtreiften, ja ſogar von nördlichen Gegenden her nach ſüdlichen wanderten; Andere glauben, daß Dies nur in gelinderen Wintern geſchehe, während in ſtrengeren ſämmtliche Bären Winter- ſchlaf hielten. Sicher iſt, daß man grade im Winter oft zur Jagd des Baribal auszieht und ihn in ſeinem Lager aufſucht. Richardſon ſagt, daß ſich das Thier gewöhnlich einen Platz an einem umgefallenen Baum erwähle, dort ſich eine Vertiefung ausſcharre und dahin ſich bei Beginn eines Schneeſturmes zurückziehe. Der fallende Schnee decke dann Baum und Bär zu; doch erkenne man das Lager an einer kleinen Oeffnung, welche durch den Athem des Thieres aufgethaut werde, und an einer gewiſſen Menge von Reif, welcher ſich nach und nach um dieſe Oeffnung niederſchlagen ſoll. Jn den ſüdlicheren Gegenden mit höherm Baumwuchs zieht ſich der Bär oft in hohle Bäume zurück, um hier zu ſchlafen. Jn dieſem Winterlager verweilt er, ſolange Schnee fällt. Auch im Sommer pflegt er ſich ein Bett zurecht zu machen und daſſelbe mit trockenen Blättern und Gras auszupolſtern. Dieſes Lager iſt aber ſchwer zu finden, weil es gewöhnlich an den einſamſten Stellen des Waldes in Felsſpalten, niederen Höhlungen und unter Bäumen, deren Zweige bis zur Erde herabhängen, augelegt wird. Nach Audubon ſoll es dem Lager des Wildſchweins am meiſten ähneln. Auch der Baribal iſt, ſo dumm, plump und ungeſchickt er ausſieht, ein wachſames, reges und bewegungsfähiges Thier. Er iſt kräftig, muthig, geſchickt und ausdauernd. Sein Lauf iſt ſo ſchnell, daß ihn ein Mann nicht einzuholen vermag; das Schwimmen verſteht er vortrefflich, und im Klettern iſt er Meiſter. Jedenfalls iſt er in allen Leibesübungen gewandter, als unſer brauner Bär, deſſen Eigenſchaften er im übrigen beſitzt. Auch er beweiſt im Nothfall jenen tollkühnen Muth, welcher die ſtärkeren Arten ſeiner Familie ſo gefährlich macht. Nur höchſt ſelteng reift er den Menſchen ungereizt an — obgleich Dies ebenfalls ſchon beobachtet worden iſt —: gewöhnlich flieht er beim Erſcheinen ſeines ärgſten Feindes ſo ſchnell als möglich dem Walde zu, und ſelbſt verwundet nimmt er nicht immer ſeinen Gegner an, während er, wenn er keinen Ausweg mehr ſieht, ſich ohne Beſinnen der offenbarſten Uebermacht entgegenwirft und dann ſehr gefährlich werden kann. Seine Nahrung beſteht hauptſächlich in Pflanzenſtoffen und zwar in Gräſern, Blättern, halb- reifem und reifem Getreide, in Beeren und Baumfrüchten der verſchiedenſten Art. Doch verfolgt auch er das Herdenvieh der Bauern und wagt ſich, wie Meiſter Braun, ſelbſt an die bewehrten Rinder. Dem Landwirth ſchadet er immer, gleichviel, ob er in die Pflanzung einfällt oder die Herden beunruhigt, und deshalb ergeht es ihm, wie unſerm Bären: er wird ohne Unterlaß verfolgt und durch alle Mittel ausgerottet, ſobald er ſich in der Nähe des Menſchen zu zeigen wagt. Ueber die Bärzeit des Baribal ſcheinen die amerikaniſchen Naturforſcher ebenſowenig genau unterrichtet zu ſein, wie die europäiſchen über die Fortpflanzung unſers braunen Bären. Richardſon giebt die Trächtigkeit des ſchwarzen Bären zu ungefähr funfzehn bis ſechzehn Wochen an, und

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 604. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/680>, abgerufen am 22.11.2024.