Fallen in Südrußland und Sibirien. Allerlei Jagd- und Fangarten in verschiedenen Ländern.
Am Ural hängt man ein Bret mit mehreren Stricken gleich einer Wagschale schräg an einem Baumaste auf und bindet es vor dem Flugloche der Bienen mit einem Baststricke an, so daß der Strick den Zugang hindert. Der honiglüsterne Bär setzt sich auf das Bret, welches ihm hierzu ganz bequem zu sein scheint, und versucht es jetzt, durch Zerreißen des Strickes das Hinderniß zu beseitigen, welches ihm den Zugang zum Honigstocke verwehrt. Sobald er seinen Zweck erreicht, sitzt er unfreiwillig auf einer Schaukel, von welcher aus er nicht nach den Aesten emporsteigen kann. Für den Fall, daß es ihm einfallen sollte, herunterzuspringen, hat man, wie auch bei der vorher mitgetheilten Fangart, spitze Pfähle eingerammt, auf welchen er sich spießt.
"Wenn die Kamtschadalen," fährt Steller fort, "einen Bären in seinem Lager ermorden wollen, versperren sie denselben darinnen zu mehrerer Sicherheit auf folgende Weise. Sie schleppen vieles Holz vor das Lager, welches länger, als der Eingang breit ist, und stecken ein Holz nach dem andern hinein. Der Bär erfaßt dasselbe sogleich und zieht es nach sich. Die Kamtschadalen aber fahren solange damit fort, bis die Höhle des Bären so voll ist, daß nichts mehr hineingeht und er sich weder bewegen, noch umwenden kann. Alsdann machen sie über dem Lager ein Loch und erstechen ihn darinnen mit Spießen."
Wäre es nicht der alte Steller, der diese Dinge erzählt, man würde ihm wahrhaftig kaum Glauben schenken; die Wahrheitstreue des guten Beobachters ist aber so gewiß erprobt, daß uns kein Recht zusteht, an seinen Mittheilungen, bevor das Gegentheil erwiesen ist, zu zweifeln.
Die Kamtschadalen erlegen den Bären gewöhnlich mit Pfeilen oder graben ihn im Herbst und Winter aus seinen Löchern, nachdem sie ihn vorher mit Spießen in der Erde erstochen haben. Auch treten sie ihm mit der Lanze oder dem Messer entgegen und greifen ihn an, wenn er gereizt sich auf die Hinterbeine stellt.
Die Jäger in Jemtland gehen dem Bären mit einem Armfutteral zu Leibe, stecken ihm den Arm mit dem Futteral in den Rachen, ziehen den Arm frei heraus und tödten das Thier, ehe es noch aus seiner Ueberraschung zur Besinnung gekommen ist.
Diese Jagdart erinnert gewissermaßen an die der spanischen "Oseros", von deren Bären- kämpfen ich während meines Aufenthalts in Spanien von vielen Asturiern und Galegos überein- stimmende Berichte erhielt. Der Bär ist auf der pyrenäischen Halbinsel blos noch im Norden heimisch, dort aber über das ganze Hochgebirge verbreitet. Er wird von den Spaniern in wirklich lächerlicher Weife gefürchtet, ist aber zu ihrer größten Freude seit 25 Jahren in stetem Abnehmen begriffen. Jn Leon, Galizien und Asturien, wo er noch am zahlreichsten vorkommt, macht man regelmäßige Jagden auf ihn. Jedoch geschieht seine Vertilgung fast ausschließlich noch immer durch die Oseros oder zünftigen Bärenjäger, deren Gewerbe vom Vater auf den Sohn erbt. Jn der Achtung der Spa- nier stehen diese Leute sogar über den "Toreros" oder Stierfechtern, und Das mag der beste Beweis von der Gefährlichkeit ihres Handwerks sein. Jn der That gehört wahrhaft männlicher Muth dazu, einen Bären in der Weise jener Leute zu erlegen. Unter Mithilfe von zwei starken und tüchtigen Hunden sucht der Ofero sein Wild in dem fast undurchdringlichen Dickicht der Gebirgswälder auf und stellt sich ihm, sobald er es gefunden, zum Zweikampfe gegenüber, Mann gegen Mann. Er führt kein Feuergewehr, sondern ganz eigenthümliche Waffen: ein breites, schweres und spitzes Waid- messer an der Seite und einen Doppeldolch, welcher zwei sich gegenüberstehende, dreiseitig aus- geschliffene und nadelscharfe Klingen besitzt und den Handgriff in der Mitte hat. Den linken Arm hat der Mann zum Schutze gegen das Gebiß und die Krallen des Bären mit einem dicken Aermel überzogen, welcher aus alten Lumpen zusammengenäht ist. Der Doppeldolch wird mit der linken Hand geführt, das Waidmesser ist die Waffe der rechten. So ausgerüstet tritt der Jäger dem Raubthiere, welches von den Hunden aufgestört und ihm angezeigt worden ist, entgegen, sobald dasselbe sich anschickt, ihn mit einer jener Umarmungen zu bewillkommnen, welche alle Rippen im Leibe zu zerbrechen pflegen. Furchtlos läßt er den brummenden, auf den Hinterbeinen auf ihn zu- wandelnden Bären herankommen; im günstigen Augenblicke aber setzt er ihm den Doppeldolch zwischen
Brehm, Thierleben. 38
Fallen in Südrußland und Sibirien. Allerlei Jagd- und Fangarten in verſchiedenen Ländern.
Am Ural hängt man ein Bret mit mehreren Stricken gleich einer Wagſchale ſchräg an einem Baumaſte auf und bindet es vor dem Flugloche der Bienen mit einem Baſtſtricke an, ſo daß der Strick den Zugang hindert. Der honiglüſterne Bär ſetzt ſich auf das Bret, welches ihm hierzu ganz bequem zu ſein ſcheint, und verſucht es jetzt, durch Zerreißen des Strickes das Hinderniß zu beſeitigen, welches ihm den Zugang zum Honigſtocke verwehrt. Sobald er ſeinen Zweck erreicht, ſitzt er unfreiwillig auf einer Schaukel, von welcher aus er nicht nach den Aeſten emporſteigen kann. Für den Fall, daß es ihm einfallen ſollte, herunterzuſpringen, hat man, wie auch bei der vorher mitgetheilten Fangart, ſpitze Pfähle eingerammt, auf welchen er ſich ſpießt.
„Wenn die Kamtſchadalen,‟ fährt Steller fort, „einen Bären in ſeinem Lager ermorden wollen, verſperren ſie denſelben darinnen zu mehrerer Sicherheit auf folgende Weiſe. Sie ſchleppen vieles Holz vor das Lager, welches länger, als der Eingang breit iſt, und ſtecken ein Holz nach dem andern hinein. Der Bär erfaßt daſſelbe ſogleich und zieht es nach ſich. Die Kamtſchadalen aber fahren ſolange damit fort, bis die Höhle des Bären ſo voll iſt, daß nichts mehr hineingeht und er ſich weder bewegen, noch umwenden kann. Alsdann machen ſie über dem Lager ein Loch und erſtechen ihn darinnen mit Spießen.‟
Wäre es nicht der alte Steller, der dieſe Dinge erzählt, man würde ihm wahrhaftig kaum Glauben ſchenken; die Wahrheitstreue des guten Beobachters iſt aber ſo gewiß erprobt, daß uns kein Recht zuſteht, an ſeinen Mittheilungen, bevor das Gegentheil erwieſen iſt, zu zweifeln.
Die Kamtſchadalen erlegen den Bären gewöhnlich mit Pfeilen oder graben ihn im Herbſt und Winter aus ſeinen Löchern, nachdem ſie ihn vorher mit Spießen in der Erde erſtochen haben. Auch treten ſie ihm mit der Lanze oder dem Meſſer entgegen und greifen ihn an, wenn er gereizt ſich auf die Hinterbeine ſtellt.
Die Jäger in Jemtland gehen dem Bären mit einem Armfutteral zu Leibe, ſtecken ihm den Arm mit dem Futteral in den Rachen, ziehen den Arm frei heraus und tödten das Thier, ehe es noch aus ſeiner Ueberraſchung zur Beſinnung gekommen iſt.
Dieſe Jagdart erinnert gewiſſermaßen an die der ſpaniſchen „Oſeros‟, von deren Bären- kämpfen ich während meines Aufenthalts in Spanien von vielen Aſturiern und Galegos überein- ſtimmende Berichte erhielt. Der Bär iſt auf der pyrenäiſchen Halbinſel blos noch im Norden heimiſch, dort aber über das ganze Hochgebirge verbreitet. Er wird von den Spaniern in wirklich lächerlicher Weife gefürchtet, iſt aber zu ihrer größten Freude ſeit 25 Jahren in ſtetem Abnehmen begriffen. Jn Leon, Galizien und Aſturien, wo er noch am zahlreichſten vorkommt, macht man regelmäßige Jagden auf ihn. Jedoch geſchieht ſeine Vertilgung faſt ausſchließlich noch immer durch die Oſeros oder zünftigen Bärenjäger, deren Gewerbe vom Vater auf den Sohn erbt. Jn der Achtung der Spa- nier ſtehen dieſe Leute ſogar über den „Toreros‟ oder Stierfechtern, und Das mag der beſte Beweis von der Gefährlichkeit ihres Handwerks ſein. Jn der That gehört wahrhaft männlicher Muth dazu, einen Bären in der Weiſe jener Leute zu erlegen. Unter Mithilfe von zwei ſtarken und tüchtigen Hunden ſucht der Ofero ſein Wild in dem faſt undurchdringlichen Dickicht der Gebirgswälder auf und ſtellt ſich ihm, ſobald er es gefunden, zum Zweikampfe gegenüber, Mann gegen Mann. Er führt kein Feuergewehr, ſondern ganz eigenthümliche Waffen: ein breites, ſchweres und ſpitzes Waid- meſſer an der Seite und einen Doppeldolch, welcher zwei ſich gegenüberſtehende, dreiſeitig aus- geſchliffene und nadelſcharfe Klingen beſitzt und den Handgriff in der Mitte hat. Den linken Arm hat der Mann zum Schutze gegen das Gebiß und die Krallen des Bären mit einem dicken Aermel überzogen, welcher aus alten Lumpen zuſammengenäht iſt. Der Doppeldolch wird mit der linken Hand geführt, das Waidmeſſer iſt die Waffe der rechten. So ausgerüſtet tritt der Jäger dem Raubthiere, welches von den Hunden aufgeſtört und ihm angezeigt worden iſt, entgegen, ſobald daſſelbe ſich anſchickt, ihn mit einer jener Umarmungen zu bewillkommnen, welche alle Rippen im Leibe zu zerbrechen pflegen. Furchtlos läßt er den brummenden, auf den Hinterbeinen auf ihn zu- wandelnden Bären herankommen; im günſtigen Augenblicke aber ſetzt er ihm den Doppeldolch zwiſchen
Brehm, Thierleben. 38
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[593/0669]
Fallen in Südrußland und Sibirien. Allerlei Jagd- und Fangarten in verſchiedenen Ländern.
Am Ural hängt man ein Bret mit mehreren Stricken gleich einer Wagſchale ſchräg an einem
Baumaſte auf und bindet es vor dem Flugloche der Bienen mit einem Baſtſtricke an, ſo daß der Strick
den Zugang hindert. Der honiglüſterne Bär ſetzt ſich auf das Bret, welches ihm hierzu ganz bequem
zu ſein ſcheint, und verſucht es jetzt, durch Zerreißen des Strickes das Hinderniß zu beſeitigen, welches
ihm den Zugang zum Honigſtocke verwehrt. Sobald er ſeinen Zweck erreicht, ſitzt er unfreiwillig auf
einer Schaukel, von welcher aus er nicht nach den Aeſten emporſteigen kann. Für den Fall, daß es
ihm einfallen ſollte, herunterzuſpringen, hat man, wie auch bei der vorher mitgetheilten Fangart, ſpitze
Pfähle eingerammt, auf welchen er ſich ſpießt.
„Wenn die Kamtſchadalen,‟ fährt Steller fort, „einen Bären in ſeinem Lager ermorden wollen,
verſperren ſie denſelben darinnen zu mehrerer Sicherheit auf folgende Weiſe. Sie ſchleppen vieles
Holz vor das Lager, welches länger, als der Eingang breit iſt, und ſtecken ein Holz nach dem andern
hinein. Der Bär erfaßt daſſelbe ſogleich und zieht es nach ſich. Die Kamtſchadalen aber fahren
ſolange damit fort, bis die Höhle des Bären ſo voll iſt, daß nichts mehr hineingeht und er ſich weder
bewegen, noch umwenden kann. Alsdann machen ſie über dem Lager ein Loch und erſtechen ihn
darinnen mit Spießen.‟
Wäre es nicht der alte Steller, der dieſe Dinge erzählt, man würde ihm wahrhaftig kaum
Glauben ſchenken; die Wahrheitstreue des guten Beobachters iſt aber ſo gewiß erprobt, daß uns kein
Recht zuſteht, an ſeinen Mittheilungen, bevor das Gegentheil erwieſen iſt, zu zweifeln.
Die Kamtſchadalen erlegen den Bären gewöhnlich mit Pfeilen oder graben ihn im Herbſt und
Winter aus ſeinen Löchern, nachdem ſie ihn vorher mit Spießen in der Erde erſtochen haben. Auch
treten ſie ihm mit der Lanze oder dem Meſſer entgegen und greifen ihn an, wenn er gereizt ſich auf
die Hinterbeine ſtellt.
Die Jäger in Jemtland gehen dem Bären mit einem Armfutteral zu Leibe, ſtecken ihm den
Arm mit dem Futteral in den Rachen, ziehen den Arm frei heraus und tödten das Thier, ehe es
noch aus ſeiner Ueberraſchung zur Beſinnung gekommen iſt.
Dieſe Jagdart erinnert gewiſſermaßen an die der ſpaniſchen „Oſeros‟, von deren Bären-
kämpfen ich während meines Aufenthalts in Spanien von vielen Aſturiern und Galegos überein-
ſtimmende Berichte erhielt. Der Bär iſt auf der pyrenäiſchen Halbinſel blos noch im Norden heimiſch,
dort aber über das ganze Hochgebirge verbreitet. Er wird von den Spaniern in wirklich lächerlicher
Weife gefürchtet, iſt aber zu ihrer größten Freude ſeit 25 Jahren in ſtetem Abnehmen begriffen. Jn
Leon, Galizien und Aſturien, wo er noch am zahlreichſten vorkommt, macht man regelmäßige
Jagden auf ihn. Jedoch geſchieht ſeine Vertilgung faſt ausſchließlich noch immer durch die Oſeros
oder zünftigen Bärenjäger, deren Gewerbe vom Vater auf den Sohn erbt. Jn der Achtung der Spa-
nier ſtehen dieſe Leute ſogar über den „Toreros‟ oder Stierfechtern, und Das mag der beſte Beweis
von der Gefährlichkeit ihres Handwerks ſein. Jn der That gehört wahrhaft männlicher Muth dazu,
einen Bären in der Weiſe jener Leute zu erlegen. Unter Mithilfe von zwei ſtarken und tüchtigen
Hunden ſucht der Ofero ſein Wild in dem faſt undurchdringlichen Dickicht der Gebirgswälder auf
und ſtellt ſich ihm, ſobald er es gefunden, zum Zweikampfe gegenüber, Mann gegen Mann. Er
führt kein Feuergewehr, ſondern ganz eigenthümliche Waffen: ein breites, ſchweres und ſpitzes Waid-
meſſer an der Seite und einen Doppeldolch, welcher zwei ſich gegenüberſtehende, dreiſeitig aus-
geſchliffene und nadelſcharfe Klingen beſitzt und den Handgriff in der Mitte hat. Den linken
Arm hat der Mann zum Schutze gegen das Gebiß und die Krallen des Bären mit einem dicken
Aermel überzogen, welcher aus alten Lumpen zuſammengenäht iſt. Der Doppeldolch wird mit der
linken Hand geführt, das Waidmeſſer iſt die Waffe der rechten. So ausgerüſtet tritt der Jäger dem
Raubthiere, welches von den Hunden aufgeſtört und ihm angezeigt worden iſt, entgegen, ſobald
daſſelbe ſich anſchickt, ihn mit einer jener Umarmungen zu bewillkommnen, welche alle Rippen im
Leibe zu zerbrechen pflegen. Furchtlos läßt er den brummenden, auf den Hinterbeinen auf ihn zu-
wandelnden Bären herankommen; im günſtigen Augenblicke aber ſetzt er ihm den Doppeldolch zwiſchen
Brehm, Thierleben. 38
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 593. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/669>, abgerufen am 22.11.2024.
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