lichen Unverschämtheit anzusehen, als wolle es sich Kunde verschaffen, was der ungebetene Gast zu suchen habe.
Mehr als einmal ist es vorgekommen, daß das freche Thier selbst den Menschen angegriffen und von ihm erst nach langem Streite abgelassen hat. Man beobachtete, daß es sich sogar in den Beinen von vorübergehenden Pferden festbiß und erst durch vereinte Anstrengung des Thieres und seines Reiters abgeschüttelt werden konnte. Mit diesem Muthe ist eine unvergleichliche Geistesgegen- wart verbunden. Das Wiesel findet fast immer noch einen Ausweg: es ist in den Krallen des Raubvogels noch nicht verloren. Der starke und raubgierige Habicht freilich macht wenig Um- stände mit dem ihm gegenüber allzuschwachen Zwerge; er nimmt ihn, ohne die geringste Gefahr be- fürchten zu müssen, mit seinen langen Fängen vom Boden auf und erdolcht oder erdrosselt ihn, ehe der arme Schelm noch recht zur Besinnung gelangt: die schwächeren Räuber aber haben sich immerhin vorzusehen, wenn sie Gelüste nach dem Fleische des Wiesels verspüren. So sah ein Beobachter einen Weih auf das Feld herabstürzen, von dort ein kleines Säugethier aufheben und in die Luft tragen. Plötzlich begann der Vogel aber zu schwanken, der Flug wurde immer mehr und mehr unsicher, und schließlich fiel der Weih todt zur Erde herab. Der überraschte Zuschauer eilte zur Stelle und sah ein kleines Wiesel lustig dahinhuschen. Es hatte seinem fürchterlichen Feind geschickt die Schlagader zerbissen und sich so gerettet. Aehnliche Beobachtungen hat man bei Krähen gemacht, welche so kühn waren, das unscheinbare Thier anzugreifen und sich arg verrechneten, indem sie ihr Leben lassen mußten, anstatt einen guten Schmaus zu thun.
Ein sehr hübsches Beispiel von einem ungleichen Zweikampfe, den unser kleiner Räuber bestand, theilt Lenz mit: "Zu einem alten Wiesel, welches mit anderen Thieren schon ganz gesättigt war, setzte ich einen Hamster, der es an Körpermasse wohl dreimal übertraf. Kaum hatte es den bösen Feind bemerkt, vor dem es wie ein Zwerg vor einem Riesen stand, so rückte es im Sturmschritt vor, quiekte laut auf und sprang unaufhörlich nach dem Gesicht und Halse seines Gegners. Der Hamster richtete sich empor und wehrte mit den Zähnen den Wagehals ab. Plötzlich aber fuhr das Wiesel zu, biß sich in seine Schnauze ein, und Beide wälzten sich nun, das Wiesel laut quiekend auf dem mit Blut sich röthenden Schlachtfelde. Die Streiter fochten mit allen Füßen; bald war das leicht gebaute Wiesel, bald der schwere, plumpe Hamster oben auf. Nach zwei Minuten ließ das Wiesel los, und der Hamster putzte, die Zähne fletschend, seine verwundete Nase. Aber zum Putzen war wenig Zeit, denn schon war der kleine, kühne Feind wieder da, und wupp! da saß er wieder an der Schnauze und hatte sich fest eingebissen. Jetzt rangen sie eine Viertelstunde lang unter lautem Quieken und Fauchen, ohne daß ich bei der Schnelligkeit der Bewegungen recht sehen konnte, wer siegte, wer unterlag. Zu- weilen hörte ich zerbissene Knochen knirschen. Die Heftigkeit, womit sich das Wiesel wehrte, die zu- nehmende Mattigkeit des Hamsters schien zu beweisen, daß jenes im Vortheil war. Endlich ließ das Wiesel los, hinkte in eine Ecke und kauerte sich nieder; das eine Vorderbein war gelähmt, die Brust, welche es fortwährend leckte, blutig. Der Hamster nahm von der andern Ecke Besitz, putzte seine ange- schwollene Schnauze und röchelte. Einer seiner Zähne hing aus der Schnauze hervor und fiel endlich gänzlich ab; die Schlacht war entschieden. Beide Theile waren zu neuen Anstrengungen nicht mehr fähig. Nach vier Stunden war das tapfere Wiesel todt. Jch untersuchte es genau und fand durch- aus keine Verletzung, ausgenommen, daß die ganze Brust von den Krallen des Hamsters arg zerkratzt war. Der Hamster überlebte seinen Feind noch um vier Stunden. Die Schnauze desselben war zer- malmt, ein Zahn ausgefallen, zwei andere wacklig, und nur der vierte saß fest. Uebrigens sah ich nirgends eine Verletzung, da ihn das Wiesel immer fest an der Schnauze gehalten hatte."
Es versteht sich von selbst, daß ein so muthvolles und kühnes Geschöpf verhältnißmäßig ein wahrhaft furchtbarer Räuber sein muß: und das ist unser Wiesel in der That. Es hat allen kleinen Säugethieren den Krieg erklärt und richtet unter ihnen oft entsetzliche Verwüstungen an. Unter den Säugethieren fallen ihm die Haus-, Wald- und Feldmäuse, die Wander- und Hausratten, Maulwürfe, junge Hamster, Hasen und Kaninchen zur Beute; aus der Klasse der Vögel
Die Raubthiere. Marder. — Kleines Wieſel.
lichen Unverſchämtheit anzuſehen, als wolle es ſich Kunde verſchaffen, was der ungebetene Gaſt zu ſuchen habe.
Mehr als einmal iſt es vorgekommen, daß das freche Thier ſelbſt den Menſchen angegriffen und von ihm erſt nach langem Streite abgelaſſen hat. Man beobachtete, daß es ſich ſogar in den Beinen von vorübergehenden Pferden feſtbiß und erſt durch vereinte Anſtrengung des Thieres und ſeines Reiters abgeſchüttelt werden konnte. Mit dieſem Muthe iſt eine unvergleichliche Geiſtesgegen- wart verbunden. Das Wieſel findet faſt immer noch einen Ausweg: es iſt in den Krallen des Raubvogels noch nicht verloren. Der ſtarke und raubgierige Habicht freilich macht wenig Um- ſtände mit dem ihm gegenüber allzuſchwachen Zwerge; er nimmt ihn, ohne die geringſte Gefahr be- fürchten zu müſſen, mit ſeinen langen Fängen vom Boden auf und erdolcht oder erdroſſelt ihn, ehe der arme Schelm noch recht zur Beſinnung gelangt: die ſchwächeren Räuber aber haben ſich immerhin vorzuſehen, wenn ſie Gelüſte nach dem Fleiſche des Wieſels verſpüren. So ſah ein Beobachter einen Weih auf das Feld herabſtürzen, von dort ein kleines Säugethier aufheben und in die Luft tragen. Plötzlich begann der Vogel aber zu ſchwanken, der Flug wurde immer mehr und mehr unſicher, und ſchließlich fiel der Weih todt zur Erde herab. Der überraſchte Zuſchauer eilte zur Stelle und ſah ein kleines Wieſel luſtig dahinhuſchen. Es hatte ſeinem fürchterlichen Feind geſchickt die Schlagader zerbiſſen und ſich ſo gerettet. Aehnliche Beobachtungen hat man bei Krähen gemacht, welche ſo kühn waren, das unſcheinbare Thier anzugreifen und ſich arg verrechneten, indem ſie ihr Leben laſſen mußten, anſtatt einen guten Schmaus zu thun.
Ein ſehr hübſches Beiſpiel von einem ungleichen Zweikampfe, den unſer kleiner Räuber beſtand, theilt Lenz mit: „Zu einem alten Wieſel, welches mit anderen Thieren ſchon ganz geſättigt war, ſetzte ich einen Hamſter, der es an Körpermaſſe wohl dreimal übertraf. Kaum hatte es den böſen Feind bemerkt, vor dem es wie ein Zwerg vor einem Rieſen ſtand, ſo rückte es im Sturmſchritt vor, quiekte laut auf und ſprang unaufhörlich nach dem Geſicht und Halſe ſeines Gegners. Der Hamſter richtete ſich empor und wehrte mit den Zähnen den Wagehals ab. Plötzlich aber fuhr das Wieſel zu, biß ſich in ſeine Schnauze ein, und Beide wälzten ſich nun, das Wieſel laut quiekend auf dem mit Blut ſich röthenden Schlachtfelde. Die Streiter fochten mit allen Füßen; bald war das leicht gebaute Wieſel, bald der ſchwere, plumpe Hamſter oben auf. Nach zwei Minuten ließ das Wieſel los, und der Hamſter putzte, die Zähne fletſchend, ſeine verwundete Naſe. Aber zum Putzen war wenig Zeit, denn ſchon war der kleine, kühne Feind wieder da, und wupp! da ſaß er wieder an der Schnauze und hatte ſich feſt eingebiſſen. Jetzt rangen ſie eine Viertelſtunde lang unter lautem Quieken und Fauchen, ohne daß ich bei der Schnelligkeit der Bewegungen recht ſehen konnte, wer ſiegte, wer unterlag. Zu- weilen hörte ich zerbiſſene Knochen knirſchen. Die Heftigkeit, womit ſich das Wieſel wehrte, die zu- nehmende Mattigkeit des Hamſters ſchien zu beweiſen, daß jenes im Vortheil war. Endlich ließ das Wieſel los, hinkte in eine Ecke und kauerte ſich nieder; das eine Vorderbein war gelähmt, die Bruſt, welche es fortwährend leckte, blutig. Der Hamſter nahm von der andern Ecke Beſitz, putzte ſeine ange- ſchwollene Schnauze und röchelte. Einer ſeiner Zähne hing aus der Schnauze hervor und fiel endlich gänzlich ab; die Schlacht war entſchieden. Beide Theile waren zu neuen Anſtrengungen nicht mehr fähig. Nach vier Stunden war das tapfere Wieſel todt. Jch unterſuchte es genau und fand durch- aus keine Verletzung, ausgenommen, daß die ganze Bruſt von den Krallen des Hamſters arg zerkratzt war. Der Hamſter überlebte ſeinen Feind noch um vier Stunden. Die Schnauze deſſelben war zer- malmt, ein Zahn ausgefallen, zwei andere wacklig, und nur der vierte ſaß feſt. Uebrigens ſah ich nirgends eine Verletzung, da ihn das Wieſel immer feſt an der Schnauze gehalten hatte.‟
Es verſteht ſich von ſelbſt, daß ein ſo muthvolles und kühnes Geſchöpf verhältnißmäßig ein wahrhaft furchtbarer Räuber ſein muß: und das iſt unſer Wieſel in der That. Es hat allen kleinen Säugethieren den Krieg erklärt und richtet unter ihnen oft entſetzliche Verwüſtungen an. Unter den Säugethieren fallen ihm die Haus-, Wald- und Feldmäuſe, die Wander- und Hausratten, Maulwürfe, junge Hamſter, Haſen und Kaninchen zur Beute; aus der Klaſſe der Vögel
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[546/0620]
Die Raubthiere. Marder. — Kleines Wieſel.
lichen Unverſchämtheit anzuſehen, als wolle es ſich Kunde verſchaffen, was der ungebetene Gaſt zu
ſuchen habe.
Mehr als einmal iſt es vorgekommen, daß das freche Thier ſelbſt den Menſchen angegriffen
und von ihm erſt nach langem Streite abgelaſſen hat. Man beobachtete, daß es ſich ſogar in den
Beinen von vorübergehenden Pferden feſtbiß und erſt durch vereinte Anſtrengung des Thieres und
ſeines Reiters abgeſchüttelt werden konnte. Mit dieſem Muthe iſt eine unvergleichliche Geiſtesgegen-
wart verbunden. Das Wieſel findet faſt immer noch einen Ausweg: es iſt in den Krallen des
Raubvogels noch nicht verloren. Der ſtarke und raubgierige Habicht freilich macht wenig Um-
ſtände mit dem ihm gegenüber allzuſchwachen Zwerge; er nimmt ihn, ohne die geringſte Gefahr be-
fürchten zu müſſen, mit ſeinen langen Fängen vom Boden auf und erdolcht oder erdroſſelt ihn, ehe
der arme Schelm noch recht zur Beſinnung gelangt: die ſchwächeren Räuber aber haben ſich immerhin
vorzuſehen, wenn ſie Gelüſte nach dem Fleiſche des Wieſels verſpüren. So ſah ein Beobachter einen
Weih auf das Feld herabſtürzen, von dort ein kleines Säugethier aufheben und in die Luft tragen.
Plötzlich begann der Vogel aber zu ſchwanken, der Flug wurde immer mehr und mehr unſicher,
und ſchließlich fiel der Weih todt zur Erde herab. Der überraſchte Zuſchauer eilte zur Stelle und ſah
ein kleines Wieſel luſtig dahinhuſchen. Es hatte ſeinem fürchterlichen Feind geſchickt die Schlagader
zerbiſſen und ſich ſo gerettet. Aehnliche Beobachtungen hat man bei Krähen gemacht, welche ſo kühn
waren, das unſcheinbare Thier anzugreifen und ſich arg verrechneten, indem ſie ihr Leben laſſen
mußten, anſtatt einen guten Schmaus zu thun.
Ein ſehr hübſches Beiſpiel von einem ungleichen Zweikampfe, den unſer kleiner Räuber beſtand,
theilt Lenz mit: „Zu einem alten Wieſel, welches mit anderen Thieren ſchon ganz geſättigt war,
ſetzte ich einen Hamſter, der es an Körpermaſſe wohl dreimal übertraf. Kaum hatte es den böſen
Feind bemerkt, vor dem es wie ein Zwerg vor einem Rieſen ſtand, ſo rückte es im Sturmſchritt vor,
quiekte laut auf und ſprang unaufhörlich nach dem Geſicht und Halſe ſeines Gegners. Der Hamſter
richtete ſich empor und wehrte mit den Zähnen den Wagehals ab. Plötzlich aber fuhr das Wieſel zu,
biß ſich in ſeine Schnauze ein, und Beide wälzten ſich nun, das Wieſel laut quiekend auf dem mit Blut
ſich röthenden Schlachtfelde. Die Streiter fochten mit allen Füßen; bald war das leicht gebaute
Wieſel, bald der ſchwere, plumpe Hamſter oben auf. Nach zwei Minuten ließ das Wieſel los, und
der Hamſter putzte, die Zähne fletſchend, ſeine verwundete Naſe. Aber zum Putzen war wenig Zeit,
denn ſchon war der kleine, kühne Feind wieder da, und wupp! da ſaß er wieder an der Schnauze und
hatte ſich feſt eingebiſſen. Jetzt rangen ſie eine Viertelſtunde lang unter lautem Quieken und Fauchen,
ohne daß ich bei der Schnelligkeit der Bewegungen recht ſehen konnte, wer ſiegte, wer unterlag. Zu-
weilen hörte ich zerbiſſene Knochen knirſchen. Die Heftigkeit, womit ſich das Wieſel wehrte, die zu-
nehmende Mattigkeit des Hamſters ſchien zu beweiſen, daß jenes im Vortheil war. Endlich ließ das
Wieſel los, hinkte in eine Ecke und kauerte ſich nieder; das eine Vorderbein war gelähmt, die Bruſt,
welche es fortwährend leckte, blutig. Der Hamſter nahm von der andern Ecke Beſitz, putzte ſeine ange-
ſchwollene Schnauze und röchelte. Einer ſeiner Zähne hing aus der Schnauze hervor und fiel endlich
gänzlich ab; die Schlacht war entſchieden. Beide Theile waren zu neuen Anſtrengungen nicht mehr
fähig. Nach vier Stunden war das tapfere Wieſel todt. Jch unterſuchte es genau und fand durch-
aus keine Verletzung, ausgenommen, daß die ganze Bruſt von den Krallen des Hamſters arg zerkratzt
war. Der Hamſter überlebte ſeinen Feind noch um vier Stunden. Die Schnauze deſſelben war zer-
malmt, ein Zahn ausgefallen, zwei andere wacklig, und nur der vierte ſaß feſt. Uebrigens ſah ich
nirgends eine Verletzung, da ihn das Wieſel immer feſt an der Schnauze gehalten hatte.‟
Es verſteht ſich von ſelbſt, daß ein ſo muthvolles und kühnes Geſchöpf verhältnißmäßig ein
wahrhaft furchtbarer Räuber ſein muß: und das iſt unſer Wieſel in der That. Es hat allen kleinen
Säugethieren den Krieg erklärt und richtet unter ihnen oft entſetzliche Verwüſtungen an. Unter den
Säugethieren fallen ihm die Haus-, Wald- und Feldmäuſe, die Wander- und Hausratten,
Maulwürfe, junge Hamſter, Haſen und Kaninchen zur Beute; aus der Klaſſe der Vögel
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 546. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/620>, abgerufen am 24.11.2024.
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