Nutzen und Schaden. Beobachtungen an zahmen Jltissen.
ihnen zehn lebende Frösche, eine lebende Blindschleiche und eine todte Drossel hinein. Am folgen- den Morgen waren acht Frösche verzehrt, die Blindschleiche und Drossel noch nicht angerührt. Am zweiten Tage verzehrten sie die beiden lebenden Frösche, die Blindschleiche, drei Hamster und eine zwei Fuß lange Ringelnatter. Jn der folgenden Nacht fraßen sie die Drossel und sechs Frösche, sowie eine 21/2 Fuß lange, lebende Ringelnatter. Am dritten Tage speisten sie wiederum Frösche nebst zwei großen, todten Kreuzottern und eine Eidechse. Am vierten Tage fraßen sie vier Hamster und drei Mäuse. Am fünften Tage brachte ich einen Jltis in eine Kiste allein, gab ihm Futter vollauf und, als er satt war, eine große, jedoch matte Kreuzotter. Als ich nach einer Stunde wieder hinkam, hatte er ihr den Kopf zerbissen und sie in eine Ecke gelegt. Nun ließ ich eine große, recht bissige Otter zu ihm; er zeigte vor ihrem Fauchen gar keine Furcht, sondern blieb ruhig liegen (denn der Jltis ruht oder schläft den ganzen Tag, woher die Redensart kommt: "Er schläft wie ein Ratz"), und als ich am andern Morgen zusah, hatte er sie getödtet. Er befand sich so wohl, wie gewöhnlich."
"Am andern Tage legte ich neben den andern, ruhig in seiner Ecke sich pflegenden Jltis eine recht bissige Otter. Er wollte doch sehen oder vielmehr riechen, was da los wäre; kaum aber rührte er sich, als er zwei Bisse in die Rippen und einen in die Backen bekam. Er kehrte sich wenig daran, blieb aber, wohl hauptsächlich aus Furcht vor mir, ziemlich ruhig. Jetzt warf ich ein Stück Mause- fleisch auf die Otter. Er ist nach Mausefleisch außerordentlich lüstern und konnte es daher unmöglich liegen sehen, ohne mit der Schnauze danach zu langen und es wegzukapern, aber wupp! da hatte er wieder einen tüchtigen Biß ins Gesicht. Er fraß sein Fleisch, und ich warf nun ein neues Stück auf die Otter, doch wagte er es nicht mehr wegzunehmen, sondern ließ sich durch das Fauchen und Beißen abschrecken."
"Während er nun beschäftigt war, wenigstens die Fleischstückchen, welche um die Otter herumlagen, zu beobachten, brachte mir zufällig ein Mann einen andern, halbwüchsigen Jltis, den ich sogleich kaufte. Er war so fest an allen vier Beinen geknebelt, daß die Bindfaden tiefe Furchen gemacht hatten und daß er, sobald ich ihn seiner Fesseln entledigt und zu dem andern gethan hatte, weder stehen noch gehen konnte. Er mußte wohl hungrig sein, denn er schob sich, auf der Seite liegend, mit seinen Beinen, die alle wie zerschlagen aussahen, nach der Otter hin und wollte daran nagen; doch wurde ihm dieses bald durch drei derbe Bisse vergolten, worauf er es bequemer fand, ein Stückchen Mausefleisch zu benagen. Es wollte durchaus nicht gehen, denn seine Kinnladen waren ganz verrenkt und erst nach einer halben Stunde konnte er wieder ein wenig kauen. Trotzdem nun, daß dieser Unglückliche in einer eisernen Falle gefangen worden war, seine Beine darin gebrochen, dann, fürchterlich geknebelt, einen ganzen Tag gelegen und endlich die Otterbisse geschmeckt hatte: erholte er sich doch nach und nach wieder und ward gesund; die Beine aber blieben lahm. Nachdem ich ihn einige Tage lang durch Frösche, Mäufe, Blindschleichen und Hamster erquickt hatte, legte ich ihm wieder eine tüchtige Otter vor die Füße. Er wollte sie fressen, bekam aber gleich einen furchtbaren Biß in die Backen. Wegen des lahmen Beins war er zu langsam, und da er immer wieder heraurückte, bekam er nach und nach vier Bisse. Jetzt ließ er ab, besann sich jedoch eines Bessern, kam wieder, trat mit dem gesunden Fuße auf die Schlange, wobei er eine Menge Bisse erhielt, faßte den Kopf zwischen die Zähne, zermalmte ihn und fraß mit Begierde das ganze Thier. Es zeigte sich gar kein Merkmal von Krankheit. Jch tödtete ihn nach 27 Stunden und zog ihm das Fell ab, fand aber keine Spur der Bisse, als zwei kleine Flecken, die wohl auch vom Knebeln herrühren konnten."
"Doch kehren wir im Gedanken zu dem andern Jltisse zurück. Er blieb in der Nacht mit der wüthenden Otter zusammen, ohne sie weiter anzutasten. So oft er sich rührte, fauchte sie; als er aber einmal lange Zeit ruhig lag und schlief, ging sie hin und wärmte sich an ihm, kroch aber gerade über ihn weg. Es war schon eine Stunde lang dunkel, als ich, wenn ich ohne Licht in das Zimmer trat, sie noch immer fauchen hörte. Endlich, zehn Uhr abends, da ich zu Bette gehen wollte und nochmals mit dem Lichte nachsah, war sie verstummt und zerrissen. -- Ein vierter Jltis ließ sich auch noch vier Bisse von einer Otter versetzen. Er litt aber ebensowenig, wie die schon angeführten."
Nutzen und Schaden. Beobachtungen an zahmen Jltiſſen.
ihnen zehn lebende Fröſche, eine lebende Blindſchleiche und eine todte Droſſel hinein. Am folgen- den Morgen waren acht Fröſche verzehrt, die Blindſchleiche und Droſſel noch nicht angerührt. Am zweiten Tage verzehrten ſie die beiden lebenden Fröſche, die Blindſchleiche, drei Hamſter und eine zwei Fuß lange Ringelnatter. Jn der folgenden Nacht fraßen ſie die Droſſel und ſechs Fröſche, ſowie eine 2½ Fuß lange, lebende Ringelnatter. Am dritten Tage ſpeiſten ſie wiederum Fröſche nebſt zwei großen, todten Kreuzottern und eine Eidechſe. Am vierten Tage fraßen ſie vier Hamſter und drei Mäuſe. Am fünften Tage brachte ich einen Jltis in eine Kiſte allein, gab ihm Futter vollauf und, als er ſatt war, eine große, jedoch matte Kreuzotter. Als ich nach einer Stunde wieder hinkam, hatte er ihr den Kopf zerbiſſen und ſie in eine Ecke gelegt. Nun ließ ich eine große, recht biſſige Otter zu ihm; er zeigte vor ihrem Fauchen gar keine Furcht, ſondern blieb ruhig liegen (denn der Jltis ruht oder ſchläft den ganzen Tag, woher die Redensart kommt: „Er ſchläft wie ein Ratz‟), und als ich am andern Morgen zuſah, hatte er ſie getödtet. Er befand ſich ſo wohl, wie gewöhnlich.‟
„Am andern Tage legte ich neben den andern, ruhig in ſeiner Ecke ſich pflegenden Jltis eine recht biſſige Otter. Er wollte doch ſehen oder vielmehr riechen, was da los wäre; kaum aber rührte er ſich, als er zwei Biſſe in die Rippen und einen in die Backen bekam. Er kehrte ſich wenig daran, blieb aber, wohl hauptſächlich aus Furcht vor mir, ziemlich ruhig. Jetzt warf ich ein Stück Mauſe- fleiſch auf die Otter. Er iſt nach Mauſefleiſch außerordentlich lüſtern und konnte es daher unmöglich liegen ſehen, ohne mit der Schnauze danach zu langen und es wegzukapern, aber wupp! da hatte er wieder einen tüchtigen Biß ins Geſicht. Er fraß ſein Fleiſch, und ich warf nun ein neues Stück auf die Otter, doch wagte er es nicht mehr wegzunehmen, ſondern ließ ſich durch das Fauchen und Beißen abſchrecken.‟
„Während er nun beſchäftigt war, wenigſtens die Fleiſchſtückchen, welche um die Otter herumlagen, zu beobachten, brachte mir zufällig ein Mann einen andern, halbwüchſigen Jltis, den ich ſogleich kaufte. Er war ſo feſt an allen vier Beinen geknebelt, daß die Bindfaden tiefe Furchen gemacht hatten und daß er, ſobald ich ihn ſeiner Feſſeln entledigt und zu dem andern gethan hatte, weder ſtehen noch gehen konnte. Er mußte wohl hungrig ſein, denn er ſchob ſich, auf der Seite liegend, mit ſeinen Beinen, die alle wie zerſchlagen ausſahen, nach der Otter hin und wollte daran nagen; doch wurde ihm dieſes bald durch drei derbe Biſſe vergolten, worauf er es bequemer fand, ein Stückchen Mauſefleiſch zu benagen. Es wollte durchaus nicht gehen, denn ſeine Kinnladen waren ganz verrenkt und erſt nach einer halben Stunde konnte er wieder ein wenig kauen. Trotzdem nun, daß dieſer Unglückliche in einer eiſernen Falle gefangen worden war, ſeine Beine darin gebrochen, dann, fürchterlich geknebelt, einen ganzen Tag gelegen und endlich die Otterbiſſe geſchmeckt hatte: erholte er ſich doch nach und nach wieder und ward geſund; die Beine aber blieben lahm. Nachdem ich ihn einige Tage lang durch Fröſche, Mäufe, Blindſchleichen und Hamſter erquickt hatte, legte ich ihm wieder eine tüchtige Otter vor die Füße. Er wollte ſie freſſen, bekam aber gleich einen furchtbaren Biß in die Backen. Wegen des lahmen Beins war er zu langſam, und da er immer wieder heraurückte, bekam er nach und nach vier Biſſe. Jetzt ließ er ab, beſann ſich jedoch eines Beſſern, kam wieder, trat mit dem geſunden Fuße auf die Schlange, wobei er eine Menge Biſſe erhielt, faßte den Kopf zwiſchen die Zähne, zermalmte ihn und fraß mit Begierde das ganze Thier. Es zeigte ſich gar kein Merkmal von Krankheit. Jch tödtete ihn nach 27 Stunden und zog ihm das Fell ab, fand aber keine Spur der Biſſe, als zwei kleine Flecken, die wohl auch vom Knebeln herrühren konnten.‟
„Doch kehren wir im Gedanken zu dem andern Jltiſſe zurück. Er blieb in der Nacht mit der wüthenden Otter zuſammen, ohne ſie weiter anzutaſten. So oft er ſich rührte, fauchte ſie; als er aber einmal lange Zeit ruhig lag und ſchlief, ging ſie hin und wärmte ſich an ihm, kroch aber gerade über ihn weg. Es war ſchon eine Stunde lang dunkel, als ich, wenn ich ohne Licht in das Zimmer trat, ſie noch immer fauchen hörte. Endlich, zehn Uhr abends, da ich zu Bette gehen wollte und nochmals mit dem Lichte nachſah, war ſie verſtummt und zerriſſen. — Ein vierter Jltis ließ ſich auch noch vier Biſſe von einer Otter verſetzen. Er litt aber ebenſowenig, wie die ſchon angeführten.‟
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[537/0611]
Nutzen und Schaden. Beobachtungen an zahmen Jltiſſen.
ihnen zehn lebende Fröſche, eine lebende Blindſchleiche und eine todte Droſſel hinein. Am folgen-
den Morgen waren acht Fröſche verzehrt, die Blindſchleiche und Droſſel noch nicht angerührt. Am zweiten
Tage verzehrten ſie die beiden lebenden Fröſche, die Blindſchleiche, drei Hamſter und eine zwei Fuß
lange Ringelnatter. Jn der folgenden Nacht fraßen ſie die Droſſel und ſechs Fröſche, ſowie eine
2½ Fuß lange, lebende Ringelnatter. Am dritten Tage ſpeiſten ſie wiederum Fröſche nebſt zwei
großen, todten Kreuzottern und eine Eidechſe. Am vierten Tage fraßen ſie vier Hamſter und drei
Mäuſe. Am fünften Tage brachte ich einen Jltis in eine Kiſte allein, gab ihm Futter vollauf und,
als er ſatt war, eine große, jedoch matte Kreuzotter. Als ich nach einer Stunde wieder hinkam, hatte
er ihr den Kopf zerbiſſen und ſie in eine Ecke gelegt. Nun ließ ich eine große, recht biſſige Otter zu
ihm; er zeigte vor ihrem Fauchen gar keine Furcht, ſondern blieb ruhig liegen (denn der Jltis ruht
oder ſchläft den ganzen Tag, woher die Redensart kommt: „Er ſchläft wie ein Ratz‟), und als ich am
andern Morgen zuſah, hatte er ſie getödtet. Er befand ſich ſo wohl, wie gewöhnlich.‟
„Am andern Tage legte ich neben den andern, ruhig in ſeiner Ecke ſich pflegenden Jltis eine
recht biſſige Otter. Er wollte doch ſehen oder vielmehr riechen, was da los wäre; kaum aber rührte
er ſich, als er zwei Biſſe in die Rippen und einen in die Backen bekam. Er kehrte ſich wenig daran,
blieb aber, wohl hauptſächlich aus Furcht vor mir, ziemlich ruhig. Jetzt warf ich ein Stück Mauſe-
fleiſch auf die Otter. Er iſt nach Mauſefleiſch außerordentlich lüſtern und konnte es daher unmöglich
liegen ſehen, ohne mit der Schnauze danach zu langen und es wegzukapern, aber wupp! da hatte er
wieder einen tüchtigen Biß ins Geſicht. Er fraß ſein Fleiſch, und ich warf nun ein neues Stück auf
die Otter, doch wagte er es nicht mehr wegzunehmen, ſondern ließ ſich durch das Fauchen und
Beißen abſchrecken.‟
„Während er nun beſchäftigt war, wenigſtens die Fleiſchſtückchen, welche um die Otter herumlagen,
zu beobachten, brachte mir zufällig ein Mann einen andern, halbwüchſigen Jltis, den ich ſogleich kaufte.
Er war ſo feſt an allen vier Beinen geknebelt, daß die Bindfaden tiefe Furchen gemacht hatten und daß er,
ſobald ich ihn ſeiner Feſſeln entledigt und zu dem andern gethan hatte, weder ſtehen noch gehen konnte.
Er mußte wohl hungrig ſein, denn er ſchob ſich, auf der Seite liegend, mit ſeinen Beinen, die alle
wie zerſchlagen ausſahen, nach der Otter hin und wollte daran nagen; doch wurde ihm dieſes bald
durch drei derbe Biſſe vergolten, worauf er es bequemer fand, ein Stückchen Mauſefleiſch zu benagen.
Es wollte durchaus nicht gehen, denn ſeine Kinnladen waren ganz verrenkt und erſt nach einer halben
Stunde konnte er wieder ein wenig kauen. Trotzdem nun, daß dieſer Unglückliche in einer eiſernen
Falle gefangen worden war, ſeine Beine darin gebrochen, dann, fürchterlich geknebelt, einen ganzen
Tag gelegen und endlich die Otterbiſſe geſchmeckt hatte: erholte er ſich doch nach und nach wieder und
ward geſund; die Beine aber blieben lahm. Nachdem ich ihn einige Tage lang durch Fröſche, Mäufe,
Blindſchleichen und Hamſter erquickt hatte, legte ich ihm wieder eine tüchtige Otter vor die Füße.
Er wollte ſie freſſen, bekam aber gleich einen furchtbaren Biß in die Backen. Wegen des lahmen
Beins war er zu langſam, und da er immer wieder heraurückte, bekam er nach und nach vier Biſſe.
Jetzt ließ er ab, beſann ſich jedoch eines Beſſern, kam wieder, trat mit dem geſunden Fuße auf die
Schlange, wobei er eine Menge Biſſe erhielt, faßte den Kopf zwiſchen die Zähne, zermalmte ihn und
fraß mit Begierde das ganze Thier. Es zeigte ſich gar kein Merkmal von Krankheit. Jch tödtete ihn
nach 27 Stunden und zog ihm das Fell ab, fand aber keine Spur der Biſſe, als zwei kleine Flecken,
die wohl auch vom Knebeln herrühren konnten.‟
„Doch kehren wir im Gedanken zu dem andern Jltiſſe zurück. Er blieb in der Nacht mit der
wüthenden Otter zuſammen, ohne ſie weiter anzutaſten. So oft er ſich rührte, fauchte ſie; als er aber
einmal lange Zeit ruhig lag und ſchlief, ging ſie hin und wärmte ſich an ihm, kroch aber gerade über
ihn weg. Es war ſchon eine Stunde lang dunkel, als ich, wenn ich ohne Licht in das Zimmer trat,
ſie noch immer fauchen hörte. Endlich, zehn Uhr abends, da ich zu Bette gehen wollte und nochmals
mit dem Lichte nachſah, war ſie verſtummt und zerriſſen. — Ein vierter Jltis ließ ſich auch noch vier
Biſſe von einer Otter verſetzen. Er litt aber ebenſowenig, wie die ſchon angeführten.‟
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 537. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/611>, abgerufen am 19.06.2024.
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