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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere. Marder. -- Jltis.
Manchfaltige Abänderungen kommen vor, sie sind zum Theil als eigene Arten angesehen worden.
Sehr selten sind Weißlinge oder ganz gelb gefärbte Jltisse. Der Pelz ist zwar dicht, aber doch weit
weniger schön, als der des Edelmarders oder Zobels. Das Weibchen unterscheidet sich vom Männchen
hauptsächlich durch rein weiße Färbung aller Stellen, die bei jenem gelblich sind.

Unser Stänker bewohnt die ganze gemäßigte Zone von Europa und Asien; er geht sogar ein
Stück in den nördlichen Gürtel hinüber. Mit Ausnahme von Lappland und Nordrußland ist er überall
auf unserm Erdtheil zu finden. Jn Asien trifft man ihn durch die Tartarei bis an den Kaspischen
See und nach Osten hin durch ganz Sibirien bis nach Kamtschatka. Jhm ist jeder nahrungversprechende
Ort recht, und deshalb bewohnt er ebenso die Ebenen wie die Gebirge, die Wälder wie die Felder,
vor allem aber die Nähe menschlicher Wohnungen, zumal größerer Bauergüter. Jm Freien schlägt er
sein Lager in hohlen Bäumen, im Geklüft, in alten Fuchsbauen und anderen Erdlöchern auf, welche
er zufällig findet; im Nothfalle gräbt er sich wohl selbst einen Bau. Auf den Feldern bezieht er das
hohe Getreide, außerdem haust er in der Nähe von Felsen, Pfahlwerk, Brücken, altem Gemäuer, dem
Gewurzel größerer Bäume, dichten Hecken und dergleichen: kurz er ist ein Gesell, welcher es sich überall
wohnlich zu machen weiß, sich, wo es irgend angeht, vor eigner Arbeit scheut und lieber andere, dumme
Thiere für sich graben und wühlen läßt. Jm Winter zieht er sich nach Dörfern oder Städten zurück
und kommt hier der Hauskatze oder dem Hausmarder in das Gehege, dabei aber auch gelegentlich in
Hühnerhäuser, Taubenschläge, Kaninchenställe und an andere Orte, wo er dann nicht eben zur Freude
des Menschen eine Thätigkeit entwickelt, welche blos von seinen Familienverwandten erreicht, kaum
aber übertroffen werden kann. Auf der andern Seite ist er aber auch nützlich, und wenn die Bauern
sonst Hühner, Tauben und Kaninchen gut verwahren, können sie mit ihrem Gaste ganz zufrieden sein,
denn dieser fängt ihnen eine ungeheure Menge von Ratten und Mäusen weg, säubert auch die Nähe
der Wohnungen von Schlangen gründlich und verlangt dafür weiter gar Nichts, als ein warmes
Lager im dunkelsten Winkel des Heubodens. Es giebt mehrere Gegenden, wo man ihn ebenso gern
sieht, als man ihn an anderen Orten haßt. Er genießt dort wirklich eines gewissen Schutzes von
Seiten der Landwirthe und steht so hoch in der Achtung, daß er auch dann noch für unschuldig erklärt
wird, wenn einmal der Hühnerstall oder Taubenschlag von dem nächtlichen Besuch eines gefährlichen
Räubers Blutspuren aufweist; denn der gemüthliche Landmann glaubt, daß sein gehegter und ge-
pflegter Ratz unmöglich so grenzenlos undankbar sein könne, ihm den gewährten Schutz mit einem
Raubanfall auf das nützliche Geflügel zu vergelten, und vermuthet in dem Mörder seiner Hühner
einen andern Jltis oder einen Hausmarder, welcher aus irgend einem Nachbarhause herübergeschlichen
ist. Das sind freilich Ansichten, welche wohl von vielem Edelmuth und von Milde der Gesinnung,
aber von sehr wenig Kenntniß des stinkenden Gastes Zeugniß geben. Denn dieser hat, wie Meister
Reinecke, vom Eigenthum eigentlich gar keinen Begriff und betrachtet den Menschen höchstens als
einen gutmüthigen Kauz, welcher ihm durch seine Geflügel- oder Kaninchenzucht dann und wann zu
einem recht guten Gerichte verhilft.

Ehe wir aber unsern Meister Ratz auf seinen Raubzügen weiter verfolgen und uns mit seinem
übrigen Leben beschäftigen, wollen wir uns zu seiner bessern Kennzeichnung mit den Beobachtungen
vertraut machen, welche unser Lenz an gezähmten anstellte: sie werden wesentlich dazu dienen, das
Bild des Thieres scharf zu zeichnen und hier und da zu berichtigen. Lenz widmet dem Jltis ein
hübsches Gedicht wegen seiner tapferen Kämpfe mit dem giftigen Gewürm, nimmt aber klüglicher Weise
dabei auf seine übrigen Thaten keine Rücksicht und vergißt fast den ganzen Schaden, welchen der Jltis
anrichtet. Vollkommen einverstanden müssen wir uns aber erklären, wenn der genannte Naturforscher
jedem Forstmann anrathet, den Ratz im Walde zu schonen; denn dort ist er ganz an seinem Platze
und wirkt hier unstreitig sehr viel Gutes durch Wegfangen der Mäuse und zumal auch der Kreuz-
ottern,
sowie er auf dem Felde durch Vertilgung der Hamster sich sehr verdient macht. Doch lassen
wir Lenz selbst reden:

"Am vierten August kaufte ich fünf halbwüchsige Jltisse, that sie in eine große Kiste und warf

Die Raubthiere. Marder. — Jltis.
Manchfaltige Abänderungen kommen vor, ſie ſind zum Theil als eigene Arten angeſehen worden.
Sehr ſelten ſind Weißlinge oder ganz gelb gefärbte Jltiſſe. Der Pelz iſt zwar dicht, aber doch weit
weniger ſchön, als der des Edelmarders oder Zobels. Das Weibchen unterſcheidet ſich vom Männchen
hauptſächlich durch rein weiße Färbung aller Stellen, die bei jenem gelblich ſind.

Unſer Stänker bewohnt die ganze gemäßigte Zone von Europa und Aſien; er geht ſogar ein
Stück in den nördlichen Gürtel hinüber. Mit Ausnahme von Lappland und Nordrußland iſt er überall
auf unſerm Erdtheil zu finden. Jn Aſien trifft man ihn durch die Tartarei bis an den Kaspiſchen
See und nach Oſten hin durch ganz Sibirien bis nach Kamtſchatka. Jhm iſt jeder nahrungverſprechende
Ort recht, und deshalb bewohnt er ebenſo die Ebenen wie die Gebirge, die Wälder wie die Felder,
vor allem aber die Nähe menſchlicher Wohnungen, zumal größerer Bauergüter. Jm Freien ſchlägt er
ſein Lager in hohlen Bäumen, im Geklüft, in alten Fuchsbauen und anderen Erdlöchern auf, welche
er zufällig findet; im Nothfalle gräbt er ſich wohl ſelbſt einen Bau. Auf den Feldern bezieht er das
hohe Getreide, außerdem hauſt er in der Nähe von Felſen, Pfahlwerk, Brücken, altem Gemäuer, dem
Gewurzel größerer Bäume, dichten Hecken und dergleichen: kurz er iſt ein Geſell, welcher es ſich überall
wohnlich zu machen weiß, ſich, wo es irgend angeht, vor eigner Arbeit ſcheut und lieber andere, dumme
Thiere für ſich graben und wühlen läßt. Jm Winter zieht er ſich nach Dörfern oder Städten zurück
und kommt hier der Hauskatze oder dem Hausmarder in das Gehege, dabei aber auch gelegentlich in
Hühnerhäuſer, Taubenſchläge, Kaninchenſtälle und an andere Orte, wo er dann nicht eben zur Freude
des Menſchen eine Thätigkeit entwickelt, welche blos von ſeinen Familienverwandten erreicht, kaum
aber übertroffen werden kann. Auf der andern Seite iſt er aber auch nützlich, und wenn die Bauern
ſonſt Hühner, Tauben und Kaninchen gut verwahren, können ſie mit ihrem Gaſte ganz zufrieden ſein,
denn dieſer fängt ihnen eine ungeheure Menge von Ratten und Mäuſen weg, ſäubert auch die Nähe
der Wohnungen von Schlangen gründlich und verlangt dafür weiter gar Nichts, als ein warmes
Lager im dunkelſten Winkel des Heubodens. Es giebt mehrere Gegenden, wo man ihn ebenſo gern
ſieht, als man ihn an anderen Orten haßt. Er genießt dort wirklich eines gewiſſen Schutzes von
Seiten der Landwirthe und ſteht ſo hoch in der Achtung, daß er auch dann noch für unſchuldig erklärt
wird, wenn einmal der Hühnerſtall oder Taubenſchlag von dem nächtlichen Beſuch eines gefährlichen
Räubers Blutſpuren aufweiſt; denn der gemüthliche Landmann glaubt, daß ſein gehegter und ge-
pflegter Ratz unmöglich ſo grenzenlos undankbar ſein könne, ihm den gewährten Schutz mit einem
Raubanfall auf das nützliche Geflügel zu vergelten, und vermuthet in dem Mörder ſeiner Hühner
einen andern Jltis oder einen Hausmarder, welcher aus irgend einem Nachbarhauſe herübergeſchlichen
iſt. Das ſind freilich Anſichten, welche wohl von vielem Edelmuth und von Milde der Geſinnung,
aber von ſehr wenig Kenntniß des ſtinkenden Gaſtes Zeugniß geben. Denn dieſer hat, wie Meiſter
Reinecke, vom Eigenthum eigentlich gar keinen Begriff und betrachtet den Menſchen höchſtens als
einen gutmüthigen Kauz, welcher ihm durch ſeine Geflügel- oder Kaninchenzucht dann und wann zu
einem recht guten Gerichte verhilft.

Ehe wir aber unſern Meiſter Ratz auf ſeinen Raubzügen weiter verfolgen und uns mit ſeinem
übrigen Leben beſchäftigen, wollen wir uns zu ſeiner beſſern Kennzeichnung mit den Beobachtungen
vertraut machen, welche unſer Lenz an gezähmten anſtellte: ſie werden weſentlich dazu dienen, das
Bild des Thieres ſcharf zu zeichnen und hier und da zu berichtigen. Lenz widmet dem Jltis ein
hübſches Gedicht wegen ſeiner tapferen Kämpfe mit dem giftigen Gewürm, nimmt aber klüglicher Weiſe
dabei auf ſeine übrigen Thaten keine Rückſicht und vergißt faſt den ganzen Schaden, welchen der Jltis
anrichtet. Vollkommen einverſtanden müſſen wir uns aber erklären, wenn der genannte Naturforſcher
jedem Forſtmann anrathet, den Ratz im Walde zu ſchonen; denn dort iſt er ganz an ſeinem Platze
und wirkt hier unſtreitig ſehr viel Gutes durch Wegfangen der Mäuſe und zumal auch der Kreuz-
ottern,
ſowie er auf dem Felde durch Vertilgung der Hamſter ſich ſehr verdient macht. Doch laſſen
wir Lenz ſelbſt reden:

„Am vierten Auguſt kaufte ich fünf halbwüchſige Jltiſſe, that ſie in eine große Kiſte und warf

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[536/0610] Die Raubthiere. Marder. — Jltis. Manchfaltige Abänderungen kommen vor, ſie ſind zum Theil als eigene Arten angeſehen worden. Sehr ſelten ſind Weißlinge oder ganz gelb gefärbte Jltiſſe. Der Pelz iſt zwar dicht, aber doch weit weniger ſchön, als der des Edelmarders oder Zobels. Das Weibchen unterſcheidet ſich vom Männchen hauptſächlich durch rein weiße Färbung aller Stellen, die bei jenem gelblich ſind. Unſer Stänker bewohnt die ganze gemäßigte Zone von Europa und Aſien; er geht ſogar ein Stück in den nördlichen Gürtel hinüber. Mit Ausnahme von Lappland und Nordrußland iſt er überall auf unſerm Erdtheil zu finden. Jn Aſien trifft man ihn durch die Tartarei bis an den Kaspiſchen See und nach Oſten hin durch ganz Sibirien bis nach Kamtſchatka. Jhm iſt jeder nahrungverſprechende Ort recht, und deshalb bewohnt er ebenſo die Ebenen wie die Gebirge, die Wälder wie die Felder, vor allem aber die Nähe menſchlicher Wohnungen, zumal größerer Bauergüter. Jm Freien ſchlägt er ſein Lager in hohlen Bäumen, im Geklüft, in alten Fuchsbauen und anderen Erdlöchern auf, welche er zufällig findet; im Nothfalle gräbt er ſich wohl ſelbſt einen Bau. Auf den Feldern bezieht er das hohe Getreide, außerdem hauſt er in der Nähe von Felſen, Pfahlwerk, Brücken, altem Gemäuer, dem Gewurzel größerer Bäume, dichten Hecken und dergleichen: kurz er iſt ein Geſell, welcher es ſich überall wohnlich zu machen weiß, ſich, wo es irgend angeht, vor eigner Arbeit ſcheut und lieber andere, dumme Thiere für ſich graben und wühlen läßt. Jm Winter zieht er ſich nach Dörfern oder Städten zurück und kommt hier der Hauskatze oder dem Hausmarder in das Gehege, dabei aber auch gelegentlich in Hühnerhäuſer, Taubenſchläge, Kaninchenſtälle und an andere Orte, wo er dann nicht eben zur Freude des Menſchen eine Thätigkeit entwickelt, welche blos von ſeinen Familienverwandten erreicht, kaum aber übertroffen werden kann. Auf der andern Seite iſt er aber auch nützlich, und wenn die Bauern ſonſt Hühner, Tauben und Kaninchen gut verwahren, können ſie mit ihrem Gaſte ganz zufrieden ſein, denn dieſer fängt ihnen eine ungeheure Menge von Ratten und Mäuſen weg, ſäubert auch die Nähe der Wohnungen von Schlangen gründlich und verlangt dafür weiter gar Nichts, als ein warmes Lager im dunkelſten Winkel des Heubodens. Es giebt mehrere Gegenden, wo man ihn ebenſo gern ſieht, als man ihn an anderen Orten haßt. Er genießt dort wirklich eines gewiſſen Schutzes von Seiten der Landwirthe und ſteht ſo hoch in der Achtung, daß er auch dann noch für unſchuldig erklärt wird, wenn einmal der Hühnerſtall oder Taubenſchlag von dem nächtlichen Beſuch eines gefährlichen Räubers Blutſpuren aufweiſt; denn der gemüthliche Landmann glaubt, daß ſein gehegter und ge- pflegter Ratz unmöglich ſo grenzenlos undankbar ſein könne, ihm den gewährten Schutz mit einem Raubanfall auf das nützliche Geflügel zu vergelten, und vermuthet in dem Mörder ſeiner Hühner einen andern Jltis oder einen Hausmarder, welcher aus irgend einem Nachbarhauſe herübergeſchlichen iſt. Das ſind freilich Anſichten, welche wohl von vielem Edelmuth und von Milde der Geſinnung, aber von ſehr wenig Kenntniß des ſtinkenden Gaſtes Zeugniß geben. Denn dieſer hat, wie Meiſter Reinecke, vom Eigenthum eigentlich gar keinen Begriff und betrachtet den Menſchen höchſtens als einen gutmüthigen Kauz, welcher ihm durch ſeine Geflügel- oder Kaninchenzucht dann und wann zu einem recht guten Gerichte verhilft. Ehe wir aber unſern Meiſter Ratz auf ſeinen Raubzügen weiter verfolgen und uns mit ſeinem übrigen Leben beſchäftigen, wollen wir uns zu ſeiner beſſern Kennzeichnung mit den Beobachtungen vertraut machen, welche unſer Lenz an gezähmten anſtellte: ſie werden weſentlich dazu dienen, das Bild des Thieres ſcharf zu zeichnen und hier und da zu berichtigen. Lenz widmet dem Jltis ein hübſches Gedicht wegen ſeiner tapferen Kämpfe mit dem giftigen Gewürm, nimmt aber klüglicher Weiſe dabei auf ſeine übrigen Thaten keine Rückſicht und vergißt faſt den ganzen Schaden, welchen der Jltis anrichtet. Vollkommen einverſtanden müſſen wir uns aber erklären, wenn der genannte Naturforſcher jedem Forſtmann anrathet, den Ratz im Walde zu ſchonen; denn dort iſt er ganz an ſeinem Platze und wirkt hier unſtreitig ſehr viel Gutes durch Wegfangen der Mäuſe und zumal auch der Kreuz- ottern, ſowie er auf dem Felde durch Vertilgung der Hamſter ſich ſehr verdient macht. Doch laſſen wir Lenz ſelbſt reden: „Am vierten Auguſt kaufte ich fünf halbwüchſige Jltiſſe, that ſie in eine große Kiſte und warf

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 536. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/610>, abgerufen am 17.05.2024.