Hier haben wir zuerst den Kolsun oder Dole (Canis dukhunensis) zu berücksichtigen. Das Thier bewohnt Dekan, die Gebirge Nilagiri, Balaghad, Hyderabad und die östlich der Küste Coro- mandel gelegenen Waldgegenden; in anderen Theilen des großen Reichs scheint es nicht vorzukommen. Auch in Gegenden, welche der Kolsun bevorzugt, ist er nicht eben eine häufige Erscheinung, und viele Besucher Jndiens haben ihn als ein fabelhaftes Wesen, als ein Märchen der Eingebornen an- gesehen. Er ist nämlich ein sehr scheues Thier und hält sich immer fern von dem Menschen und seinen Wohnungen, dafür jene dunkelen Rohrwaldungen vorziehend, welche uns unter dem Namen von Dschungeln bekannt sind, jene Dickichte, welche sich über Hunderte von Meilen ausdehnen und dem Menschen nur hier und da den Zutritt gestatten.
Der Entdecker des Kolsun, Oberst Sykes, hält ihn geradezu für den Stammvater unsers Haushundes, obgleich seine eigne Beschreibung dieser Ansicht widerspricht. Das Thier hat entfernte Aehnlichkeit mit dem Windspiel, aber keine mit dem Schakal, Fuchs und Wolf. Seine Leibes- länge beträgt gegen drei Fuß und die des Schwanzes acht Zoll; die Höhe am Widerrist 16 Zoll. Dies sind ungefähr die Verhältnisse eines mittelgroßen Windhundes. Seine Färbung ist ein schönes Braunroth, welches auf den Füßen, den Ohren oder der Schnauze und an der Schwanzspitze dunkler, unten aber blässer wird; der ziemlich behaarte Schwanz ist hängend.
Jn seinen Sitten zeigt der Kolsun viel Eigenthümliches. Er schlägt sich, wie seine Sippschafts- verwandten, in stärkere oder schwächere Meuten, deren durchschnittliche Zahl aber doch funfzig bis sechzig sein soll, jagt abweichend von den anderen Hunden ganz still oder läßt wenigstens nur in großen Zwischenräumen seine Stimme ertönen. Diese ist kein Bellen, wie das der Haushunde, sondern eher ein ängstliches Wimmern, welches dem Geheul des Haushundes ähnelt. Alle Berichte stimmen überein, daß er ein außerordentlich geschickter Jäger ist. Williamson, welcher ihn mehr- mals bei der Verfolgung einer Beute beobachtet hat, glaubt, daß kein einziges Thier bei einer langen Jagd diesem Hunde entkommen könne. Hinsichtlich der Jagd ähnelt er im Ganzen dem Wolf, unter- scheidet sich von ihm aber durch seinen ungewöhnlichen Muth und sein freundschaftliches Zusammen- halten. Sobald die Meute ein Thier aufgestöbert hat, jagt sie ihm mit der größten Ausdauer nach und theilt sich sogar, um ihm den Weg nach allen Seiten hin abzuschneiden. Dann packt es der eine an der Kehle, reißt es nieder und die übrigen stürzen nun über den Leichnam her und fressen ihn in wenig Minuten auf. Mit Ausnahme des Elefanten und des Nashorn soll es, wie man sagt, kaum ein einziges indisches Thier geben, welches es mit dem Kolsun aufnehmen könne. Der wüthende Eber fällt ihm zum Opfer, trotz seines gewaltigen Gewehres, und der schnellfüßige Hirsch ist nicht im Stande, ihm zu entrinnen. Am besten ist noch der Leopard daran, weil die Meute des Kolsun ihm nicht in die Zweige folgen kann, welche er augenblicklich aufsucht, sowie er sich angegriffen sieht; wird ihm aber sein Zufluchtsort in den Baumkronen abgeschnitten, so ist auch er ein Kind des Todes, trotz aller Gegenwehr. Man versichert, daß es der Meute vollkommen gleichgiltig sei, wenn ihre muthigsten Genossen bei einem Angriff auf ein gefährliches Thier, wie es der Tiger oder der Bär ist, gelichtet würden; es können zehn und mehr unter den Tatzenschlägen des Tigers verbluten oder an der Bärenbrust erdrückt werden, die übrigen verlieren den Muth nicht, sondern stürzen sich immer von neuem mit solcher Kühnheit und solchem Geschick auf ihren Geguer, daß sie ihn zuletzt doch er- müden und dann sicher noch erwürgen. Diesen blutigen Kämpfen zwischen größeren Raubthieren und dem Kolsun schreibt man die Seltenheit des Thieres zu; außerdem würde sich diese Hundeart, so glaubt man, in einer Weise vermehren, daß es in Jndien bald gar keine Jagd mehr geben würde. Den Menschen soll dieser Wildhund niemals angreifen: er geht ihm vielmehr aus dem Wege, solange er kann; wird er aber angegriffen, dann beweist er seinen Muth auch dem Menschen gegenüber und ist kein zu verachtender Gegner.
Eher noch als im Kolsun glaubte man in dem Buansu oder im Buansuah den wilden Urhund zu finden und gab ihm deshalb geradezu den Namen Canis primaevus. Jn seiner Gestalt, seinem
Brehm, Thierleben 21
Kennzeichnung. Lebensweiſe.
Hier haben wir zuerſt den Kolſun oder Dole (Canis dukhunensis) zu berückſichtigen. Das Thier bewohnt Dekan, die Gebirge Nilagiri, Balaghad, Hyderabad und die öſtlich der Küſte Coro- mandel gelegenen Waldgegenden; in anderen Theilen des großen Reichs ſcheint es nicht vorzukommen. Auch in Gegenden, welche der Kolſun bevorzugt, iſt er nicht eben eine häufige Erſcheinung, und viele Beſucher Jndiens haben ihn als ein fabelhaftes Weſen, als ein Märchen der Eingebornen an- geſehen. Er iſt nämlich ein ſehr ſcheues Thier und hält ſich immer fern von dem Menſchen und ſeinen Wohnungen, dafür jene dunkelen Rohrwaldungen vorziehend, welche uns unter dem Namen von Dſchungeln bekannt ſind, jene Dickichte, welche ſich über Hunderte von Meilen ausdehnen und dem Menſchen nur hier und da den Zutritt geſtatten.
Der Entdecker des Kolſun, Oberſt Sykes, hält ihn geradezu für den Stammvater unſers Haushundes, obgleich ſeine eigne Beſchreibung dieſer Anſicht widerſpricht. Das Thier hat entfernte Aehnlichkeit mit dem Windſpiel, aber keine mit dem Schakal, Fuchs und Wolf. Seine Leibes- länge beträgt gegen drei Fuß und die des Schwanzes acht Zoll; die Höhe am Widerriſt 16 Zoll. Dies ſind ungefähr die Verhältniſſe eines mittelgroßen Windhundes. Seine Färbung iſt ein ſchönes Braunroth, welches auf den Füßen, den Ohren oder der Schnauze und an der Schwanzſpitze dunkler, unten aber bläſſer wird; der ziemlich behaarte Schwanz iſt hängend.
Jn ſeinen Sitten zeigt der Kolſun viel Eigenthümliches. Er ſchlägt ſich, wie ſeine Sippſchafts- verwandten, in ſtärkere oder ſchwächere Meuten, deren durchſchnittliche Zahl aber doch funfzig bis ſechzig ſein ſoll, jagt abweichend von den anderen Hunden ganz ſtill oder läßt wenigſtens nur in großen Zwiſchenräumen ſeine Stimme ertönen. Dieſe iſt kein Bellen, wie das der Haushunde, ſondern eher ein ängſtliches Wimmern, welches dem Geheul des Haushundes ähnelt. Alle Berichte ſtimmen überein, daß er ein außerordentlich geſchickter Jäger iſt. Williamſon, welcher ihn mehr- mals bei der Verfolgung einer Beute beobachtet hat, glaubt, daß kein einziges Thier bei einer langen Jagd dieſem Hunde entkommen könne. Hinſichtlich der Jagd ähnelt er im Ganzen dem Wolf, unter- ſcheidet ſich von ihm aber durch ſeinen ungewöhnlichen Muth und ſein freundſchaftliches Zuſammen- halten. Sobald die Meute ein Thier aufgeſtöbert hat, jagt ſie ihm mit der größten Ausdauer nach und theilt ſich ſogar, um ihm den Weg nach allen Seiten hin abzuſchneiden. Dann packt es der eine an der Kehle, reißt es nieder und die übrigen ſtürzen nun über den Leichnam her und freſſen ihn in wenig Minuten auf. Mit Ausnahme des Elefanten und des Nashorn ſoll es, wie man ſagt, kaum ein einziges indiſches Thier geben, welches es mit dem Kolſun aufnehmen könne. Der wüthende Eber fällt ihm zum Opfer, trotz ſeines gewaltigen Gewehres, und der ſchnellfüßige Hirſch iſt nicht im Stande, ihm zu entrinnen. Am beſten iſt noch der Leopard daran, weil die Meute des Kolſun ihm nicht in die Zweige folgen kann, welche er augenblicklich aufſucht, ſowie er ſich angegriffen ſieht; wird ihm aber ſein Zufluchtsort in den Baumkronen abgeſchnitten, ſo iſt auch er ein Kind des Todes, trotz aller Gegenwehr. Man verſichert, daß es der Meute vollkommen gleichgiltig ſei, wenn ihre muthigſten Genoſſen bei einem Angriff auf ein gefährliches Thier, wie es der Tiger oder der Bär iſt, gelichtet würden; es können zehn und mehr unter den Tatzenſchlägen des Tigers verbluten oder an der Bärenbruſt erdrückt werden, die übrigen verlieren den Muth nicht, ſondern ſtürzen ſich immer von neuem mit ſolcher Kühnheit und ſolchem Geſchick auf ihren Geguer, daß ſie ihn zuletzt doch er- müden und dann ſicher noch erwürgen. Dieſen blutigen Kämpfen zwiſchen größeren Raubthieren und dem Kolſun ſchreibt man die Seltenheit des Thieres zu; außerdem würde ſich dieſe Hundeart, ſo glaubt man, in einer Weiſe vermehren, daß es in Jndien bald gar keine Jagd mehr geben würde. Den Menſchen ſoll dieſer Wildhund niemals angreifen: er geht ihm vielmehr aus dem Wege, ſolange er kann; wird er aber angegriffen, dann beweiſt er ſeinen Muth auch dem Menſchen gegenüber und iſt kein zu verachtender Gegner.
Eher noch als im Kolſun glaubte man in dem Buanſu oder im Buanſuah den wilden Urhund zu finden und gab ihm deshalb geradezu den Namen Canis primaevus. Jn ſeiner Geſtalt, ſeinem
Brehm, Thierleben 21
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[321/0387]
Kennzeichnung. Lebensweiſe.
Hier haben wir zuerſt den Kolſun oder Dole (Canis dukhunensis) zu berückſichtigen. Das
Thier bewohnt Dekan, die Gebirge Nilagiri, Balaghad, Hyderabad und die öſtlich der Küſte Coro-
mandel gelegenen Waldgegenden; in anderen Theilen des großen Reichs ſcheint es nicht vorzukommen.
Auch in Gegenden, welche der Kolſun bevorzugt, iſt er nicht eben eine häufige Erſcheinung, und
viele Beſucher Jndiens haben ihn als ein fabelhaftes Weſen, als ein Märchen der Eingebornen an-
geſehen. Er iſt nämlich ein ſehr ſcheues Thier und hält ſich immer fern von dem Menſchen und ſeinen
Wohnungen, dafür jene dunkelen Rohrwaldungen vorziehend, welche uns unter dem Namen von
Dſchungeln bekannt ſind, jene Dickichte, welche ſich über Hunderte von Meilen ausdehnen und dem
Menſchen nur hier und da den Zutritt geſtatten.
Der Entdecker des Kolſun, Oberſt Sykes, hält ihn geradezu für den Stammvater unſers
Haushundes, obgleich ſeine eigne Beſchreibung dieſer Anſicht widerſpricht. Das Thier hat entfernte
Aehnlichkeit mit dem Windſpiel, aber keine mit dem Schakal, Fuchs und Wolf. Seine Leibes-
länge beträgt gegen drei Fuß und die des Schwanzes acht Zoll; die Höhe am Widerriſt 16 Zoll.
Dies ſind ungefähr die Verhältniſſe eines mittelgroßen Windhundes. Seine Färbung iſt ein ſchönes
Braunroth, welches auf den Füßen, den Ohren oder der Schnauze und an der Schwanzſpitze dunkler,
unten aber bläſſer wird; der ziemlich behaarte Schwanz iſt hängend.
Jn ſeinen Sitten zeigt der Kolſun viel Eigenthümliches. Er ſchlägt ſich, wie ſeine Sippſchafts-
verwandten, in ſtärkere oder ſchwächere Meuten, deren durchſchnittliche Zahl aber doch funfzig bis
ſechzig ſein ſoll, jagt abweichend von den anderen Hunden ganz ſtill oder läßt wenigſtens nur in
großen Zwiſchenräumen ſeine Stimme ertönen. Dieſe iſt kein Bellen, wie das der Haushunde,
ſondern eher ein ängſtliches Wimmern, welches dem Geheul des Haushundes ähnelt. Alle Berichte
ſtimmen überein, daß er ein außerordentlich geſchickter Jäger iſt. Williamſon, welcher ihn mehr-
mals bei der Verfolgung einer Beute beobachtet hat, glaubt, daß kein einziges Thier bei einer langen
Jagd dieſem Hunde entkommen könne. Hinſichtlich der Jagd ähnelt er im Ganzen dem Wolf, unter-
ſcheidet ſich von ihm aber durch ſeinen ungewöhnlichen Muth und ſein freundſchaftliches Zuſammen-
halten. Sobald die Meute ein Thier aufgeſtöbert hat, jagt ſie ihm mit der größten Ausdauer nach
und theilt ſich ſogar, um ihm den Weg nach allen Seiten hin abzuſchneiden. Dann packt es der eine
an der Kehle, reißt es nieder und die übrigen ſtürzen nun über den Leichnam her und freſſen ihn in
wenig Minuten auf. Mit Ausnahme des Elefanten und des Nashorn ſoll es, wie man ſagt,
kaum ein einziges indiſches Thier geben, welches es mit dem Kolſun aufnehmen könne. Der wüthende
Eber fällt ihm zum Opfer, trotz ſeines gewaltigen Gewehres, und der ſchnellfüßige Hirſch iſt nicht
im Stande, ihm zu entrinnen. Am beſten iſt noch der Leopard daran, weil die Meute des Kolſun
ihm nicht in die Zweige folgen kann, welche er augenblicklich aufſucht, ſowie er ſich angegriffen ſieht;
wird ihm aber ſein Zufluchtsort in den Baumkronen abgeſchnitten, ſo iſt auch er ein Kind des Todes,
trotz aller Gegenwehr. Man verſichert, daß es der Meute vollkommen gleichgiltig ſei, wenn ihre
muthigſten Genoſſen bei einem Angriff auf ein gefährliches Thier, wie es der Tiger oder der Bär
iſt, gelichtet würden; es können zehn und mehr unter den Tatzenſchlägen des Tigers verbluten oder
an der Bärenbruſt erdrückt werden, die übrigen verlieren den Muth nicht, ſondern ſtürzen ſich immer
von neuem mit ſolcher Kühnheit und ſolchem Geſchick auf ihren Geguer, daß ſie ihn zuletzt doch er-
müden und dann ſicher noch erwürgen. Dieſen blutigen Kämpfen zwiſchen größeren Raubthieren und
dem Kolſun ſchreibt man die Seltenheit des Thieres zu; außerdem würde ſich dieſe Hundeart, ſo
glaubt man, in einer Weiſe vermehren, daß es in Jndien bald gar keine Jagd mehr geben würde.
Den Menſchen ſoll dieſer Wildhund niemals angreifen: er geht ihm vielmehr aus dem Wege, ſolange
er kann; wird er aber angegriffen, dann beweiſt er ſeinen Muth auch dem Menſchen gegenüber und
iſt kein zu verachtender Gegner.
Eher noch als im Kolſun glaubte man in dem Buanſu oder im Buanſuah den wilden Urhund
zu finden und gab ihm deshalb geradezu den Namen Canis primaevus. Jn ſeiner Geſtalt, ſeinem
Brehm, Thierleben 21
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/387>, abgerufen am 24.11.2024.
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