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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Sinnesthätigkeit. Gesicht. Das Auge als Seelenspiegel. Geistesfähigkeiten. Charakter.
verwechselt worden ist, besitzt schon ein ziemlich sehfähiges: und deshalb enthalten auch die schönen
Worte unseres Rückert die volle Wahrheit:

"Der Maulwurf ist nicht blind, gegeben hat ihm nur
Ein kleines Auge, wie ers brauchet, die Natur;
Mit welchem er wird sehn, so weit er es bedarf
Jm unterirdischen Palast, den er entwarf;
Und Staub ins Auge wird ihm desto minder fallen,
Wenn wühlend er emporwirft die gewölbten Hallen.
Den Regenwurm, den er mit andern Sinnen sucht,
Braucht er nicht zu erspähn, nicht schnell ist bessen Flucht.
Und wird in warmer Nacht er aus dem Boden steigen,
Auch seinem Augenstern wird sich der Himmel zeigen,
Und ohne daß ers weiß, nimmt er mit sich hernieder
Auch einen Strahl und wühlt im Dunkeln wieder."

Das Auge der Säugethiere müssen wir übrigens auch noch von einem anderen Standpunkte
betrachten: als äußeres, sichtliches Bild des Geistes. Bei den unteren Klassen hat das Auge
noch nicht die Beredtsamkeit erlangt, daß es als Spiegel der Seele erscheinen könnte. Wir finden es
zwar bei der Schlange tückisch, beim Krokodil hämisch und bei einigen Vögeln mild, bei anderen
aber streng oder ernst, muthig etc.: allein mit wenigen Ausnahmen legen wir selbst Das hinein, was
wir zu sehen glauben. Erst aus dem lebendigen Falken- oder Adler auge spricht uns das Jnnere
an: bei dem Auge der Säugethiere ist Dies aber fast immer der Fall. Hier können wir wirklich von
einem Gesichtsausdruck reden: und an einem solchen nimmt ja eben das Auge den größten Antheil.
Deshalb hat sich das Volk mit richtiger Erkenntniß längst seine Bilder gewählt und spricht mit Recht
von dem blöden Ange des Rindes, dem schönen Auge der Girafe, dem milden der Gazelle, dem
treuherzigen des Hundes, dem frommen oder dummen des Schafes, dem falschen des Wolfes, dem
glühenden des Luchses, dem tückischen des Affen, dem stolzen des Löwen etc.: denn bei allen diesen
Thieren ist das Auge wirklich der truglose Spiegel des Geistes. Die Bewegung der Thierseele spricht
aus dem Auge; dieses ersetzt die fehlende Sprache. Schmerz und Freude, Betrübniß und Heiterkeit,
Angst und Leichtsinn, Kummer und Fröhlichkeit, Haß und Liebe, Abscheu und Wohlwollen finden
in dem Auge ihren stummberedten Verkündiger: der Geist offenbart sich hier äußerlich. Und so mag
uns das Auge als Bild und Dolmetsch zur allgemeinen Betrachtung des Thiergeistes führen.

Es zeugt von ebensoviel Hochmuth als Unverstand, wenn der Mensch mit hohlem Stolze alle
höheren Geistesfähigkeiten für sich beansprucht und dem Thiere vornehm nur unbewußten Trieb, gleich-
sam nur Ahnung anstatt der Erkenntniß läßt. Noch heutzutag leugnen viele Leute nicht nur den
Verstand, sondern alle edleren Geistesgaben der Thiere überhaupt, aus demselben Grunde, mit welchem
sie behaupten, daß alle Thiere blos des Menschen wegen erschaffen worden seien. Diese Leute thun
Dies freilich nicht aus vernünftiger, d. h. auf der Beobachtung und Erkenntniß fußender Ueberzeugung,
sondern aus Furcht, daß ihr schwankendes Wahngebäude zusammenstürze, wenn sie dem Menschen
einen Theil seiner Halbgöttlichkeit nehmen, indem sie dem Thiere etwas Menschliches zugestehen. Der
Naturforscher urtheilt anders, weil er nicht in seiner Meinung, sondern in seinem Wissen die Grund-
bedingung eines gerechten Urtheils findet. Jhm wird es niemals einfallen wollen, die weite Kluft
wegzuleugnen, welche zwischen dem Geiste des Menschen und dem des Thieres besteht: ebensowenig
aber kann er hohe Entwickelung der Geisteskräfte, welche sich im Thiere bemerklich macht, in Ab-
rede stellen.

Das Säugethier besitzt Gedächtniß, Verstand und Gemüth und hat daher oft einen sehr
entschiedenen, bestimmten Charakter. Es zeigt Unterscheidungsvermögen, Zeit-, Ort-, Farben- und
Tonsinn, Erkenntniß, Wahrnehmungsgabe, Urtheil, Schlußfähigkeit; es bewahrt sich gemachte Er-

II *

Sinnesthätigkeit. Geſicht. Das Auge als Seelenſpiegel. Geiſtesfähigkeiten. Charakter.
verwechſelt worden iſt, beſitzt ſchon ein ziemlich ſehfähiges: und deshalb enthalten auch die ſchönen
Worte unſeres Rückert die volle Wahrheit:

„Der Maulwurf iſt nicht blind, gegeben hat ihm nur
Ein kleines Auge, wie ers brauchet, die Natur;
Mit welchem er wird ſehn, ſo weit er es bedarf
Jm unterirdiſchen Palaſt, den er entwarf;
Und Staub ins Auge wird ihm deſto minder fallen,
Wenn wühlend er emporwirft die gewölbten Hallen.
Den Regenwurm, den er mit andern Sinnen ſucht,
Braucht er nicht zu erſpähn, nicht ſchnell iſt beſſen Flucht.
Und wird in warmer Nacht er aus dem Boden ſteigen,
Auch ſeinem Augenſtern wird ſich der Himmel zeigen,
Und ohne daß ers weiß, nimmt er mit ſich hernieder
Auch einen Strahl und wühlt im Dunkeln wieder.‟

Das Auge der Säugethiere müſſen wir übrigens auch noch von einem anderen Standpunkte
betrachten: als äußeres, ſichtliches Bild des Geiſtes. Bei den unteren Klaſſen hat das Auge
noch nicht die Beredtſamkeit erlangt, daß es als Spiegel der Seele erſcheinen könnte. Wir finden es
zwar bei der Schlange tückiſch, beim Krokodil hämiſch und bei einigen Vögeln mild, bei anderen
aber ſtreng oder ernſt, muthig ꝛc.: allein mit wenigen Ausnahmen legen wir ſelbſt Das hinein, was
wir zu ſehen glauben. Erſt aus dem lebendigen Falken- oder Adler auge ſpricht uns das Jnnere
an: bei dem Auge der Säugethiere iſt Dies aber faſt immer der Fall. Hier können wir wirklich von
einem Geſichtsausdruck reden: und an einem ſolchen nimmt ja eben das Auge den größten Antheil.
Deshalb hat ſich das Volk mit richtiger Erkenntniß längſt ſeine Bilder gewählt und ſpricht mit Recht
von dem blöden Ange des Rindes, dem ſchönen Auge der Girafe, dem milden der Gazelle, dem
treuherzigen des Hundes, dem frommen oder dummen des Schafes, dem falſchen des Wolfes, dem
glühenden des Luchſes, dem tückiſchen des Affen, dem ſtolzen des Löwen ꝛc.: denn bei allen dieſen
Thieren iſt das Auge wirklich der trugloſe Spiegel des Geiſtes. Die Bewegung der Thierſeele ſpricht
aus dem Auge; dieſes erſetzt die fehlende Sprache. Schmerz und Freude, Betrübniß und Heiterkeit,
Angſt und Leichtſinn, Kummer und Fröhlichkeit, Haß und Liebe, Abſcheu und Wohlwollen finden
in dem Auge ihren ſtummberedten Verkündiger: der Geiſt offenbart ſich hier äußerlich. Und ſo mag
uns das Auge als Bild und Dolmetſch zur allgemeinen Betrachtung des Thiergeiſtes führen.

Es zeugt von ebenſoviel Hochmuth als Unverſtand, wenn der Menſch mit hohlem Stolze alle
höheren Geiſtesfähigkeiten für ſich beanſprucht und dem Thiere vornehm nur unbewußten Trieb, gleich-
ſam nur Ahnung anſtatt der Erkenntniß läßt. Noch heutzutag leugnen viele Leute nicht nur den
Verſtand, ſondern alle edleren Geiſtesgaben der Thiere überhaupt, aus demſelben Grunde, mit welchem
ſie behaupten, daß alle Thiere blos des Menſchen wegen erſchaffen worden ſeien. Dieſe Leute thun
Dies freilich nicht aus vernünftiger, d. h. auf der Beobachtung und Erkenntniß fußender Ueberzeugung,
ſondern aus Furcht, daß ihr ſchwankendes Wahngebäude zuſammenſtürze, wenn ſie dem Menſchen
einen Theil ſeiner Halbgöttlichkeit nehmen, indem ſie dem Thiere etwas Menſchliches zugeſtehen. Der
Naturforſcher urtheilt anders, weil er nicht in ſeiner Meinung, ſondern in ſeinem Wiſſen die Grund-
bedingung eines gerechten Urtheils findet. Jhm wird es niemals einfallen wollen, die weite Kluft
wegzuleugnen, welche zwiſchen dem Geiſte des Menſchen und dem des Thieres beſteht: ebenſowenig
aber kann er hohe Entwickelung der Geiſteskräfte, welche ſich im Thiere bemerklich macht, in Ab-
rede ſtellen.

Das Säugethier beſitzt Gedächtniß, Verſtand und Gemüth und hat daher oft einen ſehr
entſchiedenen, beſtimmten Charakter. Es zeigt Unterſcheidungsvermögen, Zeit-, Ort-, Farben- und
Tonſinn, Erkenntniß, Wahrnehmungsgabe, Urtheil, Schlußfähigkeit; es bewahrt ſich gemachte Er-

II *
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[XXVII[XXVII]/0037] Sinnesthätigkeit. Geſicht. Das Auge als Seelenſpiegel. Geiſtesfähigkeiten. Charakter. verwechſelt worden iſt, beſitzt ſchon ein ziemlich ſehfähiges: und deshalb enthalten auch die ſchönen Worte unſeres Rückert die volle Wahrheit: „Der Maulwurf iſt nicht blind, gegeben hat ihm nur Ein kleines Auge, wie ers brauchet, die Natur; Mit welchem er wird ſehn, ſo weit er es bedarf Jm unterirdiſchen Palaſt, den er entwarf; Und Staub ins Auge wird ihm deſto minder fallen, Wenn wühlend er emporwirft die gewölbten Hallen. Den Regenwurm, den er mit andern Sinnen ſucht, Braucht er nicht zu erſpähn, nicht ſchnell iſt beſſen Flucht. Und wird in warmer Nacht er aus dem Boden ſteigen, Auch ſeinem Augenſtern wird ſich der Himmel zeigen, Und ohne daß ers weiß, nimmt er mit ſich hernieder Auch einen Strahl und wühlt im Dunkeln wieder.‟ Das Auge der Säugethiere müſſen wir übrigens auch noch von einem anderen Standpunkte betrachten: als äußeres, ſichtliches Bild des Geiſtes. Bei den unteren Klaſſen hat das Auge noch nicht die Beredtſamkeit erlangt, daß es als Spiegel der Seele erſcheinen könnte. Wir finden es zwar bei der Schlange tückiſch, beim Krokodil hämiſch und bei einigen Vögeln mild, bei anderen aber ſtreng oder ernſt, muthig ꝛc.: allein mit wenigen Ausnahmen legen wir ſelbſt Das hinein, was wir zu ſehen glauben. Erſt aus dem lebendigen Falken- oder Adler auge ſpricht uns das Jnnere an: bei dem Auge der Säugethiere iſt Dies aber faſt immer der Fall. Hier können wir wirklich von einem Geſichtsausdruck reden: und an einem ſolchen nimmt ja eben das Auge den größten Antheil. Deshalb hat ſich das Volk mit richtiger Erkenntniß längſt ſeine Bilder gewählt und ſpricht mit Recht von dem blöden Ange des Rindes, dem ſchönen Auge der Girafe, dem milden der Gazelle, dem treuherzigen des Hundes, dem frommen oder dummen des Schafes, dem falſchen des Wolfes, dem glühenden des Luchſes, dem tückiſchen des Affen, dem ſtolzen des Löwen ꝛc.: denn bei allen dieſen Thieren iſt das Auge wirklich der trugloſe Spiegel des Geiſtes. Die Bewegung der Thierſeele ſpricht aus dem Auge; dieſes erſetzt die fehlende Sprache. Schmerz und Freude, Betrübniß und Heiterkeit, Angſt und Leichtſinn, Kummer und Fröhlichkeit, Haß und Liebe, Abſcheu und Wohlwollen finden in dem Auge ihren ſtummberedten Verkündiger: der Geiſt offenbart ſich hier äußerlich. Und ſo mag uns das Auge als Bild und Dolmetſch zur allgemeinen Betrachtung des Thiergeiſtes führen. Es zeugt von ebenſoviel Hochmuth als Unverſtand, wenn der Menſch mit hohlem Stolze alle höheren Geiſtesfähigkeiten für ſich beanſprucht und dem Thiere vornehm nur unbewußten Trieb, gleich- ſam nur Ahnung anſtatt der Erkenntniß läßt. Noch heutzutag leugnen viele Leute nicht nur den Verſtand, ſondern alle edleren Geiſtesgaben der Thiere überhaupt, aus demſelben Grunde, mit welchem ſie behaupten, daß alle Thiere blos des Menſchen wegen erſchaffen worden ſeien. Dieſe Leute thun Dies freilich nicht aus vernünftiger, d. h. auf der Beobachtung und Erkenntniß fußender Ueberzeugung, ſondern aus Furcht, daß ihr ſchwankendes Wahngebäude zuſammenſtürze, wenn ſie dem Menſchen einen Theil ſeiner Halbgöttlichkeit nehmen, indem ſie dem Thiere etwas Menſchliches zugeſtehen. Der Naturforſcher urtheilt anders, weil er nicht in ſeiner Meinung, ſondern in ſeinem Wiſſen die Grund- bedingung eines gerechten Urtheils findet. Jhm wird es niemals einfallen wollen, die weite Kluft wegzuleugnen, welche zwiſchen dem Geiſte des Menſchen und dem des Thieres beſteht: ebenſowenig aber kann er hohe Entwickelung der Geiſteskräfte, welche ſich im Thiere bemerklich macht, in Ab- rede ſtellen. Das Säugethier beſitzt Gedächtniß, Verſtand und Gemüth und hat daher oft einen ſehr entſchiedenen, beſtimmten Charakter. Es zeigt Unterſcheidungsvermögen, Zeit-, Ort-, Farben- und Tonſinn, Erkenntniß, Wahrnehmungsgabe, Urtheil, Schlußfähigkeit; es bewahrt ſich gemachte Er- II *

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. XXVII[XXVII]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/37>, abgerufen am 26.04.2024.