die Katzen gewöhnlich viel zu niedrig, weil wir ihre Diebereien hassen, ihre Klauen fürchten, ihren Feind, den Hund, hochschätzen und keine Gegenfätze, wenn wir sie nicht in einer Einheit auf- lösen, lieben können.
"Richten wir nun unsere Aufmerksamkeit auf ihre Haupteigenheiten. Zuvörderst fällt uns ihre Gewandtheit auf. Körper und Seele sind gewandt, beide sind aus einem Gusse. Wie gewandt dreht sie sich in der Luft, wenn sie auch nur mit dem Rücken abwärts wenige Fuß hoch fällt. Schon der geringe Widerstand der Luft vermittelt ihr, wie bei den Vögeln, die Möglichkeit der Drehung. Wie gewandt erhält sie sich auf schmalen Kanten und Baumzweigen, selbst wenn diese kräftig geschüttelt werden! Halb körperlich und halb geistig ist ihre Liebe zur Reinlichkeit; sie leckt und putzt sich immerdar. Alle ihre Härchen vom Kopfe bis zur Schwanzspitze sollen in vollkommener Ordnung liegen; die Haare des Kopfes zu glätten und zu kämmen, beleckt sie die Pfoten und streicht dann diese über den Kopf, selbst die Schwanzspitze versäumt sie nicht. Den Unrath verbirgt sie, verscharrt ihn in selbstgegrabene Erd- löcher. Hat eine Katze, durch einen Hund erschreckt, ihre Haare gesträubt, so fängt sie an, sobald sie sich in Sicherheit weiß, dieselben am ganzen Leibe wieder in Ordnung zu bringen. Sie will auch das Fell rein haben. Sie leckt sich allen Schmuz ab; sie ist des Schweines Gegentheil."
"Sie hat körperlichen Höhesinn, der aber, weil er Schwindelfreiheit und tüchtige Nerven erfordert, mit dem geistigen verwandt ist. Sie klettert an senkrechten Tannen bis zum Wipfel, ungewiß, ob und wie sie wieder herunterkönne. Sie hat auch ein bischen Furcht und bleibt zuweilen, bis sie hungert, droben und ruft um Hilfe; endlich wagt sie sich, aber nur rückwärts, herunter. Sie will immer das Höchste, im Klettern die Vollendung, doch nicht, als ob sie die Gefahr nicht merke, was nur bei Thieren der unteren Klassen der Fall ist. Will man sie herunterstoßen, so klauet und klammert sie sich fest an."
"Sie kennt den Raum und die Entfernungen, sowie die geraden, schiefen und senkrechten Flächen genau, sie schaut, wenn sie einen ungewohnten Sprung thun will, berechnend nach, vergleicht dann ihre Kraft und Geschicklichkeit und prüft sich selbst. Sie wagt ihn vielleicht lange nicht. Hat sie ihn einmal gemacht und ist er gelungen, so ist er auf immer gemacht; gelang er nicht, so versucht sie ihn später mit vorwärts geschrittener Kraft und Geschicklichkeit wieder. Minder gut kennt sie die Zeit. Daß sie die Mittagszeit kenne, weiß man wohl; denn sie kommt zur Stunde heim. Allein wegen ihres freiern Lebens auf den Höhen und ihrer Nachtaugen bedarf sie mehr Raum- und Ort-, als Zeit- und Stunden- sinn. Es mangelt ihr nicht an Farbensinn, ihrem Gehörsinn nicht an Tonsinn. Sie kennt den Menschen an seiner Kleidung und an seiner Stimme. Sie will zur Thür hinaus, wenn sie gerufen wird; sie hat ein vorzügliches Ortsgedächtniß und übt es. Jn der ganzen Nachbarschaft, in allen Häusern, Kammern, Kellern, unter allen Dächern, auf allen Holz- und Heuböden zieht sie herum. Sie ist ein völliges Ortsthier, daher ihre bekannte Anhänglichkeit mehr aus Haus, als an die Bewohner. Sie zieht entweder nicht mit aus oder läuft wieder ins alte Haus. Unbegreiflich ist es, daß sie, stunden- weit, in einem Sacke getragen, ihr Haus, ihre Heimat wiederfinden kann."
"Außerordentlich ist ihr Muth selbst gegen die allergrößten Hunde und Bullenbeißer, wie un- günstig ihr Verhältniß in Bezug auf Größe und Stärke ist. Sobald sie einen Hund wahrnimmt, krümmt sie den Rücken in einem ganz bezeichnenden Bogen, dem Katzenbuckel. Jhre Augen glühen Zorn oder plötzlich aufwallenden Muth nebst einer Art Abschen. Sie speit schon von fern gegen ihn; sie will vielleicht entweichen, fliehen; sie springt im Zimmer aufs Gesimse, auf den Ofen oder will zur Thür hinaus. Hat sie aber Junge, so stürzt sie, wenn er dem Neste nahe kommt, gräßlich auf ihn los, ist mit einem Satze auf seinem Kopfe und zerkratzt ihm die Augen, das Gesicht gar jämmerlich. Geht unter dieser Zeit ein Hund sie an, so hebt sie die Tatzen mit hervorgestreckten Klauen und weicht nicht. Hat sie noch den Rücken frei, so ist sie getrost; denn die Seiten kann sie mit ihren Hieben sichern; sie kann die Tatzen, die Hände gebrauchen. Es können fünf und noch mehr Hunde kommen, sie ordentlich belagern und gegen sie prallen, sie weicht nicht. Sie könnte mit einem Satze weit über sie hinaus- springen, aber sie weiß, daß sie aldann verloren sei; denn der Hund holte sie ein. Zieht sich dieser,
Nahrung. Jagd. Geiſtesgaben.
die Katzen gewöhnlich viel zu niedrig, weil wir ihre Diebereien haſſen, ihre Klauen fürchten, ihren Feind, den Hund, hochſchätzen und keine Gegenfätze, wenn wir ſie nicht in einer Einheit auf- löſen, lieben können.
„Richten wir nun unſere Aufmerkſamkeit auf ihre Haupteigenheiten. Zuvörderſt fällt uns ihre Gewandtheit auf. Körper und Seele ſind gewandt, beide ſind aus einem Guſſe. Wie gewandt dreht ſie ſich in der Luft, wenn ſie auch nur mit dem Rücken abwärts wenige Fuß hoch fällt. Schon der geringe Widerſtand der Luft vermittelt ihr, wie bei den Vögeln, die Möglichkeit der Drehung. Wie gewandt erhält ſie ſich auf ſchmalen Kanten und Baumzweigen, ſelbſt wenn dieſe kräftig geſchüttelt werden! Halb körperlich und halb geiſtig iſt ihre Liebe zur Reinlichkeit; ſie leckt und putzt ſich immerdar. Alle ihre Härchen vom Kopfe bis zur Schwanzſpitze ſollen in vollkommener Ordnung liegen; die Haare des Kopfes zu glätten und zu kämmen, beleckt ſie die Pfoten und ſtreicht dann dieſe über den Kopf, ſelbſt die Schwanzſpitze verſäumt ſie nicht. Den Unrath verbirgt ſie, verſcharrt ihn in ſelbſtgegrabene Erd- löcher. Hat eine Katze, durch einen Hund erſchreckt, ihre Haare geſträubt, ſo fängt ſie an, ſobald ſie ſich in Sicherheit weiß, dieſelben am ganzen Leibe wieder in Ordnung zu bringen. Sie will auch das Fell rein haben. Sie leckt ſich allen Schmuz ab; ſie iſt des Schweines Gegentheil.‟
„Sie hat körperlichen Höheſinn, der aber, weil er Schwindelfreiheit und tüchtige Nerven erfordert, mit dem geiſtigen verwandt iſt. Sie klettert an ſenkrechten Tannen bis zum Wipfel, ungewiß, ob und wie ſie wieder herunterkönne. Sie hat auch ein bischen Furcht und bleibt zuweilen, bis ſie hungert, droben und ruft um Hilfe; endlich wagt ſie ſich, aber nur rückwärts, herunter. Sie will immer das Höchſte, im Klettern die Vollendung, doch nicht, als ob ſie die Gefahr nicht merke, was nur bei Thieren der unteren Klaſſen der Fall iſt. Will man ſie herunterſtoßen, ſo klauet und klammert ſie ſich feſt an.‟
„Sie kennt den Raum und die Entfernungen, ſowie die geraden, ſchiefen und ſenkrechten Flächen genau, ſie ſchaut, wenn ſie einen ungewohnten Sprung thun will, berechnend nach, vergleicht dann ihre Kraft und Geſchicklichkeit und prüft ſich ſelbſt. Sie wagt ihn vielleicht lange nicht. Hat ſie ihn einmal gemacht und iſt er gelungen, ſo iſt er auf immer gemacht; gelang er nicht, ſo verſucht ſie ihn ſpäter mit vorwärts geſchrittener Kraft und Geſchicklichkeit wieder. Minder gut kennt ſie die Zeit. Daß ſie die Mittagszeit kenne, weiß man wohl; denn ſie kommt zur Stunde heim. Allein wegen ihres freiern Lebens auf den Höhen und ihrer Nachtaugen bedarf ſie mehr Raum- und Ort-, als Zeit- und Stunden- ſinn. Es mangelt ihr nicht an Farbenſinn, ihrem Gehörſinn nicht an Tonſinn. Sie kennt den Menſchen an ſeiner Kleidung und an ſeiner Stimme. Sie will zur Thür hinaus, wenn ſie gerufen wird; ſie hat ein vorzügliches Ortsgedächtniß und übt es. Jn der ganzen Nachbarſchaft, in allen Häuſern, Kammern, Kellern, unter allen Dächern, auf allen Holz- und Heuböden zieht ſie herum. Sie iſt ein völliges Ortsthier, daher ihre bekannte Anhänglichkeit mehr aus Haus, als an die Bewohner. Sie zieht entweder nicht mit aus oder läuft wieder ins alte Haus. Unbegreiflich iſt es, daß ſie, ſtunden- weit, in einem Sacke getragen, ihr Haus, ihre Heimat wiederfinden kann.‟
„Außerordentlich iſt ihr Muth ſelbſt gegen die allergrößten Hunde und Bullenbeißer, wie un- günſtig ihr Verhältniß in Bezug auf Größe und Stärke iſt. Sobald ſie einen Hund wahrnimmt, krümmt ſie den Rücken in einem ganz bezeichnenden Bogen, dem Katzenbuckel. Jhre Augen glühen Zorn oder plötzlich aufwallenden Muth nebſt einer Art Abſchen. Sie ſpeit ſchon von fern gegen ihn; ſie will vielleicht entweichen, fliehen; ſie ſpringt im Zimmer aufs Geſimſe, auf den Ofen oder will zur Thür hinaus. Hat ſie aber Junge, ſo ſtürzt ſie, wenn er dem Neſte nahe kommt, gräßlich auf ihn los, iſt mit einem Satze auf ſeinem Kopfe und zerkratzt ihm die Augen, das Geſicht gar jämmerlich. Geht unter dieſer Zeit ein Hund ſie an, ſo hebt ſie die Tatzen mit hervorgeſtreckten Klauen und weicht nicht. Hat ſie noch den Rücken frei, ſo iſt ſie getroſt; denn die Seiten kann ſie mit ihren Hieben ſichern; ſie kann die Tatzen, die Hände gebrauchen. Es können fünf und noch mehr Hunde kommen, ſie ordentlich belagern und gegen ſie prallen, ſie weicht nicht. Sie könnte mit einem Satze weit über ſie hinaus- ſpringen, aber ſie weiß, daß ſie aldann verloren ſei; denn der Hund holte ſie ein. Zieht ſich dieſer,
<TEI><text><body><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0349"n="285"/><fwplace="top"type="header">Nahrung. Jagd. Geiſtesgaben.</fw><lb/>
die Katzen gewöhnlich viel zu niedrig, weil wir ihre Diebereien haſſen, ihre Klauen fürchten, ihren<lb/>
Feind, den <hirendition="#g">Hund,</hi> hochſchätzen und keine Gegenfätze, wenn wir ſie nicht in einer Einheit auf-<lb/>
löſen, lieben können.</p><lb/><p>„Richten wir nun unſere Aufmerkſamkeit auf ihre Haupteigenheiten. Zuvörderſt fällt uns ihre<lb/>
Gewandtheit auf. Körper und Seele ſind gewandt, beide ſind aus einem Guſſe. Wie gewandt dreht<lb/>ſie ſich in der Luft, wenn ſie auch nur mit dem Rücken abwärts wenige Fuß hoch fällt. Schon der<lb/>
geringe Widerſtand der Luft vermittelt ihr, wie bei den Vögeln, die Möglichkeit der Drehung. Wie<lb/>
gewandt erhält ſie ſich auf ſchmalen Kanten und Baumzweigen, ſelbſt wenn dieſe kräftig geſchüttelt<lb/>
werden! Halb körperlich und halb geiſtig iſt ihre Liebe zur Reinlichkeit; ſie leckt und putzt ſich immerdar.<lb/>
Alle ihre Härchen vom Kopfe bis zur Schwanzſpitze ſollen in vollkommener Ordnung liegen; die Haare<lb/>
des Kopfes zu glätten und zu kämmen, beleckt ſie die Pfoten und ſtreicht dann dieſe über den Kopf, ſelbſt<lb/>
die Schwanzſpitze verſäumt ſie nicht. Den Unrath verbirgt ſie, verſcharrt ihn in ſelbſtgegrabene Erd-<lb/>
löcher. Hat eine Katze, durch einen Hund erſchreckt, ihre Haare geſträubt, ſo fängt ſie an, ſobald ſie<lb/>ſich in Sicherheit weiß, dieſelben am ganzen Leibe wieder in Ordnung zu bringen. Sie will auch das<lb/>
Fell rein haben. Sie leckt ſich allen Schmuz ab; ſie iſt des <hirendition="#g">Schweines</hi> Gegentheil.‟</p><lb/><p>„Sie hat körperlichen Höheſinn, der aber, weil er Schwindelfreiheit und tüchtige Nerven erfordert,<lb/>
mit dem geiſtigen verwandt iſt. Sie klettert an ſenkrechten Tannen bis zum Wipfel, ungewiß, ob und<lb/>
wie ſie wieder herunterkönne. Sie hat auch ein bischen Furcht und bleibt zuweilen, bis ſie hungert,<lb/>
droben und ruft um Hilfe; endlich wagt ſie ſich, aber nur rückwärts, herunter. Sie will immer<lb/>
das Höchſte, im Klettern die Vollendung, doch nicht, als ob ſie die Gefahr nicht merke, was<lb/>
nur bei Thieren der unteren Klaſſen der Fall iſt. Will man ſie herunterſtoßen, ſo klauet und klammert<lb/>ſie ſich feſt an.‟</p><lb/><p>„Sie kennt den Raum und die Entfernungen, ſowie die geraden, ſchiefen und ſenkrechten Flächen<lb/>
genau, ſie ſchaut, wenn ſie einen ungewohnten Sprung thun will, berechnend nach, vergleicht dann ihre<lb/>
Kraft und Geſchicklichkeit und prüft ſich ſelbſt. Sie wagt ihn vielleicht lange nicht. Hat ſie ihn einmal<lb/>
gemacht und iſt er gelungen, ſo iſt er auf immer gemacht; gelang er nicht, ſo verſucht ſie ihn ſpäter mit<lb/>
vorwärts geſchrittener Kraft und Geſchicklichkeit wieder. Minder gut kennt ſie die Zeit. Daß ſie die<lb/>
Mittagszeit kenne, weiß man wohl; denn ſie kommt zur Stunde heim. Allein wegen ihres freiern<lb/>
Lebens auf den Höhen und ihrer Nachtaugen bedarf ſie mehr Raum- und Ort-, als Zeit- und Stunden-<lb/>ſinn. Es mangelt ihr nicht an Farbenſinn, ihrem Gehörſinn nicht an Tonſinn. Sie kennt den<lb/>
Menſchen an ſeiner Kleidung und an ſeiner Stimme. Sie will zur Thür hinaus, wenn ſie gerufen<lb/>
wird; ſie hat ein vorzügliches Ortsgedächtniß und übt es. Jn der ganzen Nachbarſchaft, in allen<lb/>
Häuſern, Kammern, Kellern, unter allen Dächern, auf allen Holz- und Heuböden zieht ſie herum. Sie<lb/>
iſt ein völliges Ortsthier, daher ihre bekannte Anhänglichkeit mehr aus Haus, als an die Bewohner.<lb/>
Sie zieht entweder nicht mit aus oder läuft wieder ins alte Haus. Unbegreiflich iſt es, daß ſie, ſtunden-<lb/>
weit, in einem Sacke getragen, ihr Haus, ihre Heimat wiederfinden kann.‟</p><lb/><p>„Außerordentlich iſt ihr Muth ſelbſt gegen die allergrößten Hunde und Bullenbeißer, wie un-<lb/>
günſtig ihr Verhältniß in Bezug auf Größe und Stärke iſt. Sobald ſie einen Hund wahrnimmt,<lb/>
krümmt ſie den Rücken in einem ganz bezeichnenden Bogen, dem Katzenbuckel. Jhre Augen glühen<lb/>
Zorn oder plötzlich aufwallenden Muth nebſt einer Art Abſchen. Sie ſpeit ſchon von fern gegen ihn;<lb/>ſie will vielleicht entweichen, fliehen; ſie ſpringt im Zimmer aufs Geſimſe, auf den Ofen oder will zur<lb/>
Thür hinaus. Hat ſie aber Junge, ſo ſtürzt ſie, wenn er dem Neſte nahe kommt, gräßlich auf ihn los,<lb/>
iſt mit einem Satze auf ſeinem Kopfe und zerkratzt ihm die Augen, das Geſicht gar jämmerlich. Geht<lb/>
unter dieſer Zeit ein Hund ſie an, ſo hebt ſie die Tatzen mit hervorgeſtreckten Klauen und weicht nicht.<lb/>
Hat ſie noch den Rücken frei, ſo iſt ſie getroſt; denn die Seiten kann ſie mit ihren Hieben ſichern; ſie<lb/>
kann die Tatzen, die Hände gebrauchen. Es können fünf und noch mehr Hunde kommen, ſie ordentlich<lb/>
belagern und gegen ſie prallen, ſie weicht nicht. Sie könnte mit einem Satze weit über ſie hinaus-<lb/>ſpringen, aber ſie weiß, daß ſie aldann verloren ſei; denn der Hund holte ſie ein. Zieht ſich dieſer,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[285/0349]
Nahrung. Jagd. Geiſtesgaben.
die Katzen gewöhnlich viel zu niedrig, weil wir ihre Diebereien haſſen, ihre Klauen fürchten, ihren
Feind, den Hund, hochſchätzen und keine Gegenfätze, wenn wir ſie nicht in einer Einheit auf-
löſen, lieben können.
„Richten wir nun unſere Aufmerkſamkeit auf ihre Haupteigenheiten. Zuvörderſt fällt uns ihre
Gewandtheit auf. Körper und Seele ſind gewandt, beide ſind aus einem Guſſe. Wie gewandt dreht
ſie ſich in der Luft, wenn ſie auch nur mit dem Rücken abwärts wenige Fuß hoch fällt. Schon der
geringe Widerſtand der Luft vermittelt ihr, wie bei den Vögeln, die Möglichkeit der Drehung. Wie
gewandt erhält ſie ſich auf ſchmalen Kanten und Baumzweigen, ſelbſt wenn dieſe kräftig geſchüttelt
werden! Halb körperlich und halb geiſtig iſt ihre Liebe zur Reinlichkeit; ſie leckt und putzt ſich immerdar.
Alle ihre Härchen vom Kopfe bis zur Schwanzſpitze ſollen in vollkommener Ordnung liegen; die Haare
des Kopfes zu glätten und zu kämmen, beleckt ſie die Pfoten und ſtreicht dann dieſe über den Kopf, ſelbſt
die Schwanzſpitze verſäumt ſie nicht. Den Unrath verbirgt ſie, verſcharrt ihn in ſelbſtgegrabene Erd-
löcher. Hat eine Katze, durch einen Hund erſchreckt, ihre Haare geſträubt, ſo fängt ſie an, ſobald ſie
ſich in Sicherheit weiß, dieſelben am ganzen Leibe wieder in Ordnung zu bringen. Sie will auch das
Fell rein haben. Sie leckt ſich allen Schmuz ab; ſie iſt des Schweines Gegentheil.‟
„Sie hat körperlichen Höheſinn, der aber, weil er Schwindelfreiheit und tüchtige Nerven erfordert,
mit dem geiſtigen verwandt iſt. Sie klettert an ſenkrechten Tannen bis zum Wipfel, ungewiß, ob und
wie ſie wieder herunterkönne. Sie hat auch ein bischen Furcht und bleibt zuweilen, bis ſie hungert,
droben und ruft um Hilfe; endlich wagt ſie ſich, aber nur rückwärts, herunter. Sie will immer
das Höchſte, im Klettern die Vollendung, doch nicht, als ob ſie die Gefahr nicht merke, was
nur bei Thieren der unteren Klaſſen der Fall iſt. Will man ſie herunterſtoßen, ſo klauet und klammert
ſie ſich feſt an.‟
„Sie kennt den Raum und die Entfernungen, ſowie die geraden, ſchiefen und ſenkrechten Flächen
genau, ſie ſchaut, wenn ſie einen ungewohnten Sprung thun will, berechnend nach, vergleicht dann ihre
Kraft und Geſchicklichkeit und prüft ſich ſelbſt. Sie wagt ihn vielleicht lange nicht. Hat ſie ihn einmal
gemacht und iſt er gelungen, ſo iſt er auf immer gemacht; gelang er nicht, ſo verſucht ſie ihn ſpäter mit
vorwärts geſchrittener Kraft und Geſchicklichkeit wieder. Minder gut kennt ſie die Zeit. Daß ſie die
Mittagszeit kenne, weiß man wohl; denn ſie kommt zur Stunde heim. Allein wegen ihres freiern
Lebens auf den Höhen und ihrer Nachtaugen bedarf ſie mehr Raum- und Ort-, als Zeit- und Stunden-
ſinn. Es mangelt ihr nicht an Farbenſinn, ihrem Gehörſinn nicht an Tonſinn. Sie kennt den
Menſchen an ſeiner Kleidung und an ſeiner Stimme. Sie will zur Thür hinaus, wenn ſie gerufen
wird; ſie hat ein vorzügliches Ortsgedächtniß und übt es. Jn der ganzen Nachbarſchaft, in allen
Häuſern, Kammern, Kellern, unter allen Dächern, auf allen Holz- und Heuböden zieht ſie herum. Sie
iſt ein völliges Ortsthier, daher ihre bekannte Anhänglichkeit mehr aus Haus, als an die Bewohner.
Sie zieht entweder nicht mit aus oder läuft wieder ins alte Haus. Unbegreiflich iſt es, daß ſie, ſtunden-
weit, in einem Sacke getragen, ihr Haus, ihre Heimat wiederfinden kann.‟
„Außerordentlich iſt ihr Muth ſelbſt gegen die allergrößten Hunde und Bullenbeißer, wie un-
günſtig ihr Verhältniß in Bezug auf Größe und Stärke iſt. Sobald ſie einen Hund wahrnimmt,
krümmt ſie den Rücken in einem ganz bezeichnenden Bogen, dem Katzenbuckel. Jhre Augen glühen
Zorn oder plötzlich aufwallenden Muth nebſt einer Art Abſchen. Sie ſpeit ſchon von fern gegen ihn;
ſie will vielleicht entweichen, fliehen; ſie ſpringt im Zimmer aufs Geſimſe, auf den Ofen oder will zur
Thür hinaus. Hat ſie aber Junge, ſo ſtürzt ſie, wenn er dem Neſte nahe kommt, gräßlich auf ihn los,
iſt mit einem Satze auf ſeinem Kopfe und zerkratzt ihm die Augen, das Geſicht gar jämmerlich. Geht
unter dieſer Zeit ein Hund ſie an, ſo hebt ſie die Tatzen mit hervorgeſtreckten Klauen und weicht nicht.
Hat ſie noch den Rücken frei, ſo iſt ſie getroſt; denn die Seiten kann ſie mit ihren Hieben ſichern; ſie
kann die Tatzen, die Hände gebrauchen. Es können fünf und noch mehr Hunde kommen, ſie ordentlich
belagern und gegen ſie prallen, ſie weicht nicht. Sie könnte mit einem Satze weit über ſie hinaus-
ſpringen, aber ſie weiß, daß ſie aldann verloren ſei; denn der Hund holte ſie ein. Zieht ſich dieſer,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/349>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.