Plätschern unserer Ruder bewog ihn, langsam aufzustehen und sich in die Gebüsche zurückzuziehen. Die Geier benutzten den Augenblick, um das Wasserschwein zu verzehren, allein der Tiger sprang mitten unter sie und trug seine Mahlzeit zürnenden Blickes in den Wald."
Mehr als zweimal frißt nach Reuggers Angabe kein Jaguar von einem getödteten Thiere, und noch weniger würde er ein Aas berühren. Einige kehren, nachdem sie sich gesättigt haben, nicht einmal wieder zu ihrem Raube zurück. Dies sind gewöhnlich die wildesten, welche zugleich schon öfters gejagt worden sind. Hat der Jaguar seinen Fang in einiger Entfernung vom Walde gemacht, so schleppt er das erlegte Thier, es mag auch noch so schwer sein, dem Gebüsche zu. Unter Umständen trägt er selbst eine sehr schwere Beute sogar über einen Fluß hinweg. Nahe bei Azara's Wohnung tödtete ein Jaguar ein Pferd, schleppte dasselbe sechzig Schritte über einen Brachacker hinweg, sprang dann mit ihm in einen tiefen und reißenden Fluß und brachte es auf der andern Seite im Walde in Sicherheit. Andere Reisende haben beobachtet, daß der Jaguar von zwei zusammengekoppelten Mauleseln oder Pferden eines getödtet und das todte Thier trotz dem Sträuben des lebenden eine große Strecke Wegs fortge- schleppt hat. Niemals tödtet die Unze mehr als ein Stück Vieh auf einmal und unterscheidet sich hier- durch sehr zu ihrem Vortheile von anderen größeren Katzenarten. Wahrscheinlich ist der Grund darin zu suchen, daß sie das Fleisch dem blosen Blute vorzieht.
Ein Jaguar, welcher den Menschen nicht kennen gelernt hat, weicht ihm, wenn er ihm begegnet, stets ehrfurchtsvoll aus, oder sieht ihn neugierig, aber blos aus der Ferne an. "Nicht selten," sagt Rengger, "stießen wir während unserer Reise in die Wildniß in das nördliche Paraguay auf eine oder mehrere Unzen, welche entweder in das Dickicht des Waldes flohen oder sich am Saume nieder- setzten und unsern Zug ganz kaltblütig von weitem betrachteten. Es ist auch ohne Beispiel, daß in den unbewohnten Waldungen, wo das Paraguaykraut gesammelt wird, ein Mensch von einem Jaguar zerriffen worden ist. Diejenigen Unzen aber, welche sich in bewohnten Gegenden oder an Flüssen, wo viel Schifffahrt getrieben wird, aufhalten, verlieren gar bald die Scheu vor dem Menschen und greifen auch ihn an; hat ein Jaguar einmal Menschenfleisch gekostet, so wird ihm dies zur liebsten Speise, und nun fällt er nicht nur den Menschen an, wenn er von ungefähr auf den Menschen stößt, sondern er sucht ihn sogar gierig auf. Man hat jährlich der Beispiele genug, daß unvorsichtige Schiffer von diesen Thieren zerrissen werden. Der allgemeinen Sage nach sollen sie sich sogar des Nachts auf die an das Ufer angebundenen Fahrzeuge gewagt und aufgehängtes Fleisch oder Hunde weggeschleppt, ja selbst Matrosen tödlich verwundet haben; gewöhnlich aber büßen die Menschen nur durch Unvor- sichtigkeit ihr Leben ein: die Vorsichtigen wissen sich regelmäßig zu retten. So laufen die Besuche, welche die Raubthiere den Fischern abstatten, während sie bei widrigem Wind ihre Abendmahlzeit be- reiten, gewöhnlich unblutig ab, weil sich die Schiffer beim geringsten Geräusch an Bord flüchten. Sie überlassen dem Jaguar das am Feuer bratende Fleisch, und dieser nimmt damit gewöhnlich auch gern vorlieb. Daß er das Feuer keineswegs scheut, ist ganz sicher."
Azara behauptet, daß der Jaguar, wenn er einen Trupp schlafender Menschen anträfe, erst die Neger oder die Jndianer und nur nachher die Weißen tödte. Dies ist, wie Rengger berichtet, ein Jrrthum. Der Jaguar mordet, gleich wie bei den Thieren, nie mehr als einen Menschen auf einmal, wenn er sich nämlich nicht vertheidigen muß. Soviel aber ist richtig, daß er vorzugsweise den Neger, Mulatten oder Jndianer anfällt und den Farbigen dem Weißen vorzieht. Dies geht so weit, daß sich in Paraguay ein Weißer, der unter freiem Himmel an einem gefährlichen Orte die Nacht zubringen muß, für ganz sicher hält, wenn er Schwarze oder Jndianer zu Begleitern hat. Wahrscheinlich hat die starkriechende Hautausdünstung der farbigen Menschen etwas Anziehendes für ihn, wie für manche andere Raubthiere. Man erzählt in Paraguay, daß Menschen, welche am Tage unversehens auf einen Jaguar gestoßen sind, denselben im Augenblicke seines Sprunges durch einen lauten Zuruf oder durch unverwandtes und starres Anschauen zurückgeschreckt hätten; wahrscheinlich aber sind diese Jaguare, falls die Sache überhaupt wahr ist, solche gewesen, welche noch kein Menschenfleisch gekostet oder sich eben vorher ordentlich satt gefressen hatten.
Die Raubthiere. Katzen. — Jaguar.
Plätſchern unſerer Ruder bewog ihn, langſam aufzuſtehen und ſich in die Gebüſche zurückzuziehen. Die Geier benutzten den Augenblick, um das Waſſerſchwein zu verzehren, allein der Tiger ſprang mitten unter ſie und trug ſeine Mahlzeit zürnenden Blickes in den Wald.‟
Mehr als zweimal frißt nach Reuggers Angabe kein Jaguar von einem getödteten Thiere, und noch weniger würde er ein Aas berühren. Einige kehren, nachdem ſie ſich geſättigt haben, nicht einmal wieder zu ihrem Raube zurück. Dies ſind gewöhnlich die wildeſten, welche zugleich ſchon öfters gejagt worden ſind. Hat der Jaguar ſeinen Fang in einiger Entfernung vom Walde gemacht, ſo ſchleppt er das erlegte Thier, es mag auch noch ſo ſchwer ſein, dem Gebüſche zu. Unter Umſtänden trägt er ſelbſt eine ſehr ſchwere Beute ſogar über einen Fluß hinweg. Nahe bei Azara’s Wohnung tödtete ein Jaguar ein Pferd, ſchleppte daſſelbe ſechzig Schritte über einen Brachacker hinweg, ſprang dann mit ihm in einen tiefen und reißenden Fluß und brachte es auf der andern Seite im Walde in Sicherheit. Andere Reiſende haben beobachtet, daß der Jaguar von zwei zuſammengekoppelten Mauleſeln oder Pferden eines getödtet und das todte Thier trotz dem Sträuben des lebenden eine große Strecke Wegs fortge- ſchleppt hat. Niemals tödtet die Unze mehr als ein Stück Vieh auf einmal und unterſcheidet ſich hier- durch ſehr zu ihrem Vortheile von anderen größeren Katzenarten. Wahrſcheinlich iſt der Grund darin zu ſuchen, daß ſie das Fleiſch dem bloſen Blute vorzieht.
Ein Jaguar, welcher den Menſchen nicht kennen gelernt hat, weicht ihm, wenn er ihm begegnet, ſtets ehrfurchtsvoll aus, oder ſieht ihn neugierig, aber blos aus der Ferne an. „Nicht ſelten,‟ ſagt Rengger, „ſtießen wir während unſerer Reiſe in die Wildniß in das nördliche Paraguay auf eine oder mehrere Unzen, welche entweder in das Dickicht des Waldes flohen oder ſich am Saume nieder- ſetzten und unſern Zug ganz kaltblütig von weitem betrachteten. Es iſt auch ohne Beiſpiel, daß in den unbewohnten Waldungen, wo das Paraguaykraut geſammelt wird, ein Menſch von einem Jaguar zerriffen worden iſt. Diejenigen Unzen aber, welche ſich in bewohnten Gegenden oder an Flüſſen, wo viel Schifffahrt getrieben wird, aufhalten, verlieren gar bald die Scheu vor dem Menſchen und greifen auch ihn an; hat ein Jaguar einmal Menſchenfleiſch gekoſtet, ſo wird ihm dies zur liebſten Speiſe, und nun fällt er nicht nur den Menſchen an, wenn er von ungefähr auf den Menſchen ſtößt, ſondern er ſucht ihn ſogar gierig auf. Man hat jährlich der Beiſpiele genug, daß unvorſichtige Schiffer von dieſen Thieren zerriſſen werden. Der allgemeinen Sage nach ſollen ſie ſich ſogar des Nachts auf die an das Ufer angebundenen Fahrzeuge gewagt und aufgehängtes Fleiſch oder Hunde weggeſchleppt, ja ſelbſt Matroſen tödlich verwundet haben; gewöhnlich aber büßen die Menſchen nur durch Unvor- ſichtigkeit ihr Leben ein: die Vorſichtigen wiſſen ſich regelmäßig zu retten. So laufen die Beſuche, welche die Raubthiere den Fiſchern abſtatten, während ſie bei widrigem Wind ihre Abendmahlzeit be- reiten, gewöhnlich unblutig ab, weil ſich die Schiffer beim geringſten Geräuſch an Bord flüchten. Sie überlaſſen dem Jaguar das am Feuer bratende Fleiſch, und dieſer nimmt damit gewöhnlich auch gern vorlieb. Daß er das Feuer keineswegs ſcheut, iſt ganz ſicher.‟
Azara behauptet, daß der Jaguar, wenn er einen Trupp ſchlafender Menſchen anträfe, erſt die Neger oder die Jndianer und nur nachher die Weißen tödte. Dies iſt, wie Rengger berichtet, ein Jrrthum. Der Jaguar mordet, gleich wie bei den Thieren, nie mehr als einen Menſchen auf einmal, wenn er ſich nämlich nicht vertheidigen muß. Soviel aber iſt richtig, daß er vorzugsweiſe den Neger, Mulatten oder Jndianer anfällt und den Farbigen dem Weißen vorzieht. Dies geht ſo weit, daß ſich in Paraguay ein Weißer, der unter freiem Himmel an einem gefährlichen Orte die Nacht zubringen muß, für ganz ſicher hält, wenn er Schwarze oder Jndianer zu Begleitern hat. Wahrſcheinlich hat die ſtarkriechende Hautausdünſtung der farbigen Menſchen etwas Anziehendes für ihn, wie für manche andere Raubthiere. Man erzählt in Paraguay, daß Menſchen, welche am Tage unverſehens auf einen Jaguar geſtoßen ſind, denſelben im Augenblicke ſeines Sprunges durch einen lauten Zuruf oder durch unverwandtes und ſtarres Anſchauen zurückgeſchreckt hätten; wahrſcheinlich aber ſind dieſe Jaguare, falls die Sache überhaupt wahr iſt, ſolche geweſen, welche noch kein Menſchenfleiſch gekoſtet oder ſich eben vorher ordentlich ſatt gefreſſen hatten.
<TEI><text><body><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0306"n="242"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Die Raubthiere.</hi> Katzen. —<hirendition="#g">Jaguar.</hi></fw><lb/>
Plätſchern unſerer Ruder bewog ihn, langſam aufzuſtehen und ſich in die Gebüſche zurückzuziehen. Die<lb/>
Geier benutzten den Augenblick, um das Waſſerſchwein zu verzehren, allein der Tiger ſprang mitten<lb/>
unter ſie und trug ſeine Mahlzeit zürnenden Blickes in den Wald.‟</p><lb/><p>Mehr als zweimal frißt nach Reuggers Angabe kein Jaguar von einem getödteten Thiere, und<lb/>
noch weniger würde er ein Aas berühren. Einige kehren, nachdem ſie ſich geſättigt haben, nicht einmal<lb/>
wieder zu ihrem Raube zurück. Dies ſind gewöhnlich die wildeſten, welche zugleich ſchon öfters gejagt<lb/>
worden ſind. Hat der Jaguar ſeinen Fang in einiger Entfernung vom Walde gemacht, ſo ſchleppt er<lb/>
das erlegte Thier, es mag auch noch ſo ſchwer ſein, dem Gebüſche zu. Unter Umſtänden trägt er ſelbſt eine<lb/>ſehr ſchwere Beute ſogar über einen Fluß hinweg. Nahe bei Azara’s Wohnung tödtete ein Jaguar<lb/>
ein Pferd, ſchleppte daſſelbe ſechzig Schritte über einen Brachacker hinweg, ſprang dann mit ihm in einen<lb/>
tiefen und reißenden Fluß und brachte es auf der andern Seite im Walde in Sicherheit. Andere<lb/>
Reiſende haben beobachtet, daß der Jaguar von zwei zuſammengekoppelten Mauleſeln oder Pferden<lb/>
eines getödtet und das todte Thier trotz dem Sträuben des lebenden eine große Strecke Wegs fortge-<lb/>ſchleppt hat. Niemals tödtet die Unze mehr als ein Stück Vieh auf einmal und unterſcheidet ſich hier-<lb/>
durch ſehr zu ihrem Vortheile von anderen größeren Katzenarten. Wahrſcheinlich iſt der Grund darin<lb/>
zu ſuchen, daß ſie das Fleiſch dem bloſen Blute vorzieht.</p><lb/><p>Ein Jaguar, welcher den Menſchen nicht kennen gelernt hat, weicht ihm, wenn er ihm begegnet,<lb/>ſtets ehrfurchtsvoll aus, oder ſieht ihn neugierig, aber blos aus der Ferne an. „Nicht ſelten,‟ſagt<lb/>
Rengger, „ſtießen wir während unſerer Reiſe in die Wildniß in das nördliche Paraguay auf eine<lb/>
oder mehrere Unzen, welche entweder in das Dickicht des Waldes flohen oder ſich am Saume nieder-<lb/>ſetzten und unſern Zug ganz kaltblütig von weitem betrachteten. Es iſt auch ohne Beiſpiel, daß in<lb/>
den unbewohnten Waldungen, wo das Paraguaykraut geſammelt wird, ein Menſch von einem Jaguar<lb/>
zerriffen worden iſt. Diejenigen Unzen aber, welche ſich in bewohnten Gegenden oder an Flüſſen, wo<lb/>
viel Schifffahrt getrieben wird, aufhalten, verlieren gar bald die Scheu vor dem Menſchen und greifen<lb/>
auch ihn an; hat ein Jaguar einmal Menſchenfleiſch gekoſtet, ſo wird ihm dies zur liebſten Speiſe,<lb/>
und nun fällt er nicht nur den Menſchen an, wenn er von ungefähr auf den Menſchen ſtößt, ſondern<lb/>
er ſucht ihn ſogar gierig auf. Man hat jährlich der Beiſpiele genug, daß unvorſichtige Schiffer von<lb/>
dieſen Thieren zerriſſen werden. Der allgemeinen Sage nach ſollen ſie ſich ſogar des Nachts auf die<lb/>
an das Ufer angebundenen Fahrzeuge gewagt und aufgehängtes Fleiſch oder Hunde weggeſchleppt, ja<lb/>ſelbſt Matroſen tödlich verwundet haben; gewöhnlich aber büßen die Menſchen nur durch Unvor-<lb/>ſichtigkeit ihr Leben ein: die Vorſichtigen wiſſen ſich regelmäßig zu retten. So laufen die Beſuche,<lb/>
welche die Raubthiere den Fiſchern abſtatten, während ſie bei widrigem Wind ihre Abendmahlzeit be-<lb/>
reiten, gewöhnlich unblutig ab, weil ſich die Schiffer beim geringſten Geräuſch an Bord flüchten. Sie<lb/>
überlaſſen dem Jaguar das am Feuer bratende Fleiſch, und dieſer nimmt damit gewöhnlich auch gern<lb/>
vorlieb. Daß er das Feuer keineswegs ſcheut, iſt ganz ſicher.‟</p><lb/><p>Azara behauptet, daß der Jaguar, wenn er einen Trupp ſchlafender Menſchen anträfe, erſt die<lb/>
Neger oder die Jndianer und nur nachher die Weißen tödte. Dies iſt, wie Rengger berichtet, ein<lb/>
Jrrthum. Der Jaguar mordet, gleich wie bei den Thieren, nie mehr als einen Menſchen auf einmal,<lb/>
wenn er ſich nämlich nicht vertheidigen muß. Soviel aber iſt richtig, daß er vorzugsweiſe den Neger,<lb/>
Mulatten oder Jndianer anfällt und den Farbigen dem Weißen vorzieht. Dies geht ſo weit, daß ſich<lb/>
in Paraguay ein Weißer, der unter freiem Himmel an einem gefährlichen Orte die Nacht zubringen<lb/>
muß, für ganz ſicher hält, wenn er Schwarze oder Jndianer zu Begleitern hat. Wahrſcheinlich hat<lb/>
die ſtarkriechende Hautausdünſtung der farbigen Menſchen etwas Anziehendes für ihn, wie für manche<lb/>
andere Raubthiere. Man erzählt in Paraguay, daß Menſchen, welche am Tage unverſehens auf einen<lb/>
Jaguar geſtoßen ſind, denſelben im Augenblicke ſeines Sprunges durch einen lauten Zuruf oder durch<lb/>
unverwandtes und ſtarres Anſchauen zurückgeſchreckt hätten; wahrſcheinlich aber ſind dieſe Jaguare,<lb/>
falls die Sache überhaupt wahr iſt, ſolche geweſen, welche noch kein Menſchenfleiſch gekoſtet oder ſich<lb/>
eben vorher ordentlich ſatt gefreſſen hatten.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[242/0306]
Die Raubthiere. Katzen. — Jaguar.
Plätſchern unſerer Ruder bewog ihn, langſam aufzuſtehen und ſich in die Gebüſche zurückzuziehen. Die
Geier benutzten den Augenblick, um das Waſſerſchwein zu verzehren, allein der Tiger ſprang mitten
unter ſie und trug ſeine Mahlzeit zürnenden Blickes in den Wald.‟
Mehr als zweimal frißt nach Reuggers Angabe kein Jaguar von einem getödteten Thiere, und
noch weniger würde er ein Aas berühren. Einige kehren, nachdem ſie ſich geſättigt haben, nicht einmal
wieder zu ihrem Raube zurück. Dies ſind gewöhnlich die wildeſten, welche zugleich ſchon öfters gejagt
worden ſind. Hat der Jaguar ſeinen Fang in einiger Entfernung vom Walde gemacht, ſo ſchleppt er
das erlegte Thier, es mag auch noch ſo ſchwer ſein, dem Gebüſche zu. Unter Umſtänden trägt er ſelbſt eine
ſehr ſchwere Beute ſogar über einen Fluß hinweg. Nahe bei Azara’s Wohnung tödtete ein Jaguar
ein Pferd, ſchleppte daſſelbe ſechzig Schritte über einen Brachacker hinweg, ſprang dann mit ihm in einen
tiefen und reißenden Fluß und brachte es auf der andern Seite im Walde in Sicherheit. Andere
Reiſende haben beobachtet, daß der Jaguar von zwei zuſammengekoppelten Mauleſeln oder Pferden
eines getödtet und das todte Thier trotz dem Sträuben des lebenden eine große Strecke Wegs fortge-
ſchleppt hat. Niemals tödtet die Unze mehr als ein Stück Vieh auf einmal und unterſcheidet ſich hier-
durch ſehr zu ihrem Vortheile von anderen größeren Katzenarten. Wahrſcheinlich iſt der Grund darin
zu ſuchen, daß ſie das Fleiſch dem bloſen Blute vorzieht.
Ein Jaguar, welcher den Menſchen nicht kennen gelernt hat, weicht ihm, wenn er ihm begegnet,
ſtets ehrfurchtsvoll aus, oder ſieht ihn neugierig, aber blos aus der Ferne an. „Nicht ſelten,‟ ſagt
Rengger, „ſtießen wir während unſerer Reiſe in die Wildniß in das nördliche Paraguay auf eine
oder mehrere Unzen, welche entweder in das Dickicht des Waldes flohen oder ſich am Saume nieder-
ſetzten und unſern Zug ganz kaltblütig von weitem betrachteten. Es iſt auch ohne Beiſpiel, daß in
den unbewohnten Waldungen, wo das Paraguaykraut geſammelt wird, ein Menſch von einem Jaguar
zerriffen worden iſt. Diejenigen Unzen aber, welche ſich in bewohnten Gegenden oder an Flüſſen, wo
viel Schifffahrt getrieben wird, aufhalten, verlieren gar bald die Scheu vor dem Menſchen und greifen
auch ihn an; hat ein Jaguar einmal Menſchenfleiſch gekoſtet, ſo wird ihm dies zur liebſten Speiſe,
und nun fällt er nicht nur den Menſchen an, wenn er von ungefähr auf den Menſchen ſtößt, ſondern
er ſucht ihn ſogar gierig auf. Man hat jährlich der Beiſpiele genug, daß unvorſichtige Schiffer von
dieſen Thieren zerriſſen werden. Der allgemeinen Sage nach ſollen ſie ſich ſogar des Nachts auf die
an das Ufer angebundenen Fahrzeuge gewagt und aufgehängtes Fleiſch oder Hunde weggeſchleppt, ja
ſelbſt Matroſen tödlich verwundet haben; gewöhnlich aber büßen die Menſchen nur durch Unvor-
ſichtigkeit ihr Leben ein: die Vorſichtigen wiſſen ſich regelmäßig zu retten. So laufen die Beſuche,
welche die Raubthiere den Fiſchern abſtatten, während ſie bei widrigem Wind ihre Abendmahlzeit be-
reiten, gewöhnlich unblutig ab, weil ſich die Schiffer beim geringſten Geräuſch an Bord flüchten. Sie
überlaſſen dem Jaguar das am Feuer bratende Fleiſch, und dieſer nimmt damit gewöhnlich auch gern
vorlieb. Daß er das Feuer keineswegs ſcheut, iſt ganz ſicher.‟
Azara behauptet, daß der Jaguar, wenn er einen Trupp ſchlafender Menſchen anträfe, erſt die
Neger oder die Jndianer und nur nachher die Weißen tödte. Dies iſt, wie Rengger berichtet, ein
Jrrthum. Der Jaguar mordet, gleich wie bei den Thieren, nie mehr als einen Menſchen auf einmal,
wenn er ſich nämlich nicht vertheidigen muß. Soviel aber iſt richtig, daß er vorzugsweiſe den Neger,
Mulatten oder Jndianer anfällt und den Farbigen dem Weißen vorzieht. Dies geht ſo weit, daß ſich
in Paraguay ein Weißer, der unter freiem Himmel an einem gefährlichen Orte die Nacht zubringen
muß, für ganz ſicher hält, wenn er Schwarze oder Jndianer zu Begleitern hat. Wahrſcheinlich hat
die ſtarkriechende Hautausdünſtung der farbigen Menſchen etwas Anziehendes für ihn, wie für manche
andere Raubthiere. Man erzählt in Paraguay, daß Menſchen, welche am Tage unverſehens auf einen
Jaguar geſtoßen ſind, denſelben im Augenblicke ſeines Sprunges durch einen lauten Zuruf oder durch
unverwandtes und ſtarres Anſchauen zurückgeſchreckt hätten; wahrſcheinlich aber ſind dieſe Jaguare,
falls die Sache überhaupt wahr iſt, ſolche geweſen, welche noch kein Menſchenfleiſch gekoſtet oder ſich
eben vorher ordentlich ſatt gefreſſen hatten.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/306>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.