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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Schaden. Jagd.
ganze Gegend unsicher gemacht und wochenlang Rinder und Schafe aus den nächstgelegenen Dörfern
und Seribas geraubt. Endlich wurde es den Rubiern doch zu toll, und sie beschlossen, einen großen
Jagdzug auszuführen. Vier muthige Morharbie*) oder Abendländer, welche mit Feuergewehren be-
waffnet waren, vereinigten sich mit zwölf Rubiern, deren Bewaffnung in Lanzen bestand, und zogen
eines schönen Morgens nach dem Dickicht des Urwaldes hinaus, in welchem sich der Löwe regelmäßig
zu verstecken pflegte, wenn er Beute gemacht hatte. Man rückte ohne weiteres auf das Lager des
Löwen los, trieb ihn auf, und als er sich verwundert über den Morgenbesuch ruhig den Leuten gegen-
über stellte, feuerten die vier Morharbie zu gleicher Zeit ihre Gewehre ab. Ein Hagel von Lanzen
folgte einen Augenblick später. Der Löwe ward an mehreren Stellen verwundet, doch keine seiner
Verletzungen war tödlich, und deshalb stürzte er sich auch sofort auf seine Angreifer. Zufälliger Weise
bewahrte er dabei eine merkwürdige Mäßigung. Er brachte zunächst dem Einen einen Tatzenschlag
bei, welcher diesen gräßlich verwundete und zu Boden warf. Dann blieb er wieder stehen; ein Zweiter
nahte sich mit einer frischen Lanze und erhielt, noch ehe er diese anwenden konnte, einen ähnlichen
Tatzenschlag. Die Uebrigen dachten schon an die feige Flucht und würden ihre Gefährten dem nach
und nach immer wüthender werdenden Löwen überantwortet haben, wenn nicht ein junger Mensch
alle anderen Funfzehn beschämt hätte. Er führte außer seiner Lanze noch einen starken und langen
Stock, Nabuht genannt, bei sich und nahte sich mit dieser Waffe tolldreist dem Löwen. Dieser staunte
ihn an, bekam aber, ehe er es sich verfah, einen so gewaltigen Schlag in die Augengegend, daß ihm
Hören und Sehen verging und er unter der Wucht des Schlages zu Boden stürzte. Jetzt hatte der
kühne Bursche freilich gesiegt, er schlug so lange auf den Löwen los, bis dieser sich nicht mehr regte.

Jch selbst bin mehrere Male von den Eingebornen aufgefordert worden, ihnen einen Löwen
wegzuschießen, welcher in der Nacht vorher in ihrer Seriba geraubt hatte und, wie anzunehmen,
regungslos und faul im Schatten lag, um zu verdauen. Selbstverständlich brannte ich vor Jagd-
begierde und würde auch ganz entschieden diese Jagd ausgeführt haben, hätte mich nur ein einziger
meiner Gefährten begleiten wollen. Bei denen war jedoch alles Zureden vergebens. Jhre Furcht war
zu tief eingewurzelt, und nicht einmal meine europäischen Genossen wollten das Wagstück mit unter-
nehmen helfen. Allein aber zum ersten Male auf eine Löwenjagd zu gehen, wäre doch tollkühn
gewesen, und so mußte ich zu meinem innigen Bedauern die günstige Gelegenheit vorübergehen lassen,
meine Jagden mit der edelsten aller zu krönen.

Auf meinem letzten Jagdausfluge nach Habesch hatte ich Unglück. Mein Freund, Baron
van Arkel d'Ablaing und ich entdeckten bei hellem Tage in der Samchara, dem Wüstenstreifen an
der Westküste des südlichen Rothen Meeres, einen Löwen, welcher von einem Hügel aus Umschau über
sein Jagdgebiet hielt. Sofort machten wir Anstalt, den königlichen Recken von der Güte unserer
Büchsen einen Beweis zu geben. Zur Aushülfe luden wir noch beide Läufe unserer Doppelgewehre
mit Kugeln, gaben diese unseren beiden Dienern gespannt in die Hand und befahlen ihnen, dicht neben
uns her zu gehen. Unter Beobachtung aller Jagdregeln nahten wir uns dem Hügel. Bau Arkel,
welcher sich zum ersten Male zu solcher Jagd anschickte, zeigte einen so kühlen Mannesmuth, daß mir
das Herz vor Stolz und Freude schwoll; unsere afrikanischen Diener zitterten wie Espenlaub. Wir
nahten uns langsam und höchst vorsichtig, weil die Oertlichkeit eine mehr als wünschenswerthe An-
näherung bedingte. Wie Katzen schlichen wir an dem Hügel hinauf, die Büchsen erhoben, den Finger
am Drücker. Das Jagdfeuer wollte fast übermächtig werden. Wir hatten uns aber umsonst gefreut
-- der edle Recke hatte feig den Platz verlassen und wahrscheinlich in dem nächsten, uns undurchdring-
lichen Buschdickicht eine Zuflucht gefunden.

Jm Atlas wird der Löwe auf sehr verschiedene Weise gejagt. Wenn er die Nähe des Lagers eines
Beduinenstammes aufsucht, verbreitet sich der Schrecken unter den Zelten, und überall werden unter

*) Unter diesem Namen bezeichnet man in ganz Ostafrika die Araber aus Marokko, Algier und Tunis,
welche im Heere des Bicekönigs freiwillige Dienste thun.

Schaden. Jagd.
ganze Gegend unſicher gemacht und wochenlang Rinder und Schafe aus den nächſtgelegenen Dörfern
und Seribas geraubt. Endlich wurde es den Rubiern doch zu toll, und ſie beſchloſſen, einen großen
Jagdzug auszuführen. Vier muthige Morharbïe*) oder Abendländer, welche mit Feuergewehren be-
waffnet waren, vereinigten ſich mit zwölf Rubiern, deren Bewaffnung in Lanzen beſtand, und zogen
eines ſchönen Morgens nach dem Dickicht des Urwaldes hinaus, in welchem ſich der Löwe regelmäßig
zu verſtecken pflegte, wenn er Beute gemacht hatte. Man rückte ohne weiteres auf das Lager des
Löwen los, trieb ihn auf, und als er ſich verwundert über den Morgenbeſuch ruhig den Leuten gegen-
über ſtellte, feuerten die vier Morharbïe zu gleicher Zeit ihre Gewehre ab. Ein Hagel von Lanzen
folgte einen Augenblick ſpäter. Der Löwe ward an mehreren Stellen verwundet, doch keine ſeiner
Verletzungen war tödlich, und deshalb ſtürzte er ſich auch ſofort auf ſeine Angreifer. Zufälliger Weiſe
bewahrte er dabei eine merkwürdige Mäßigung. Er brachte zunächſt dem Einen einen Tatzenſchlag
bei, welcher dieſen gräßlich verwundete und zu Boden warf. Dann blieb er wieder ſtehen; ein Zweiter
nahte ſich mit einer friſchen Lanze und erhielt, noch ehe er dieſe anwenden konnte, einen ähnlichen
Tatzenſchlag. Die Uebrigen dachten ſchon an die feige Flucht und würden ihre Gefährten dem nach
und nach immer wüthender werdenden Löwen überantwortet haben, wenn nicht ein junger Menſch
alle anderen Funfzehn beſchämt hätte. Er führte außer ſeiner Lanze noch einen ſtarken und langen
Stock, Nabuht genannt, bei ſich und nahte ſich mit dieſer Waffe tolldreiſt dem Löwen. Dieſer ſtaunte
ihn an, bekam aber, ehe er es ſich verfah, einen ſo gewaltigen Schlag in die Augengegend, daß ihm
Hören und Sehen verging und er unter der Wucht des Schlages zu Boden ſtürzte. Jetzt hatte der
kühne Burſche freilich geſiegt, er ſchlug ſo lange auf den Löwen los, bis dieſer ſich nicht mehr regte.

Jch ſelbſt bin mehrere Male von den Eingebornen aufgefordert worden, ihnen einen Löwen
wegzuſchießen, welcher in der Nacht vorher in ihrer Seriba geraubt hatte und, wie anzunehmen,
regungslos und faul im Schatten lag, um zu verdauen. Selbſtverſtändlich brannte ich vor Jagd-
begierde und würde auch ganz entſchieden dieſe Jagd ausgeführt haben, hätte mich nur ein einziger
meiner Gefährten begleiten wollen. Bei denen war jedoch alles Zureden vergebens. Jhre Furcht war
zu tief eingewurzelt, und nicht einmal meine europäiſchen Genoſſen wollten das Wagſtück mit unter-
nehmen helfen. Allein aber zum erſten Male auf eine Löwenjagd zu gehen, wäre doch tollkühn
geweſen, und ſo mußte ich zu meinem innigen Bedauern die günſtige Gelegenheit vorübergehen laſſen,
meine Jagden mit der edelſten aller zu krönen.

Auf meinem letzten Jagdausfluge nach Habeſch hatte ich Unglück. Mein Freund, Baron
van Arkel d’Ablaing und ich entdeckten bei hellem Tage in der Samchara, dem Wüſtenſtreifen an
der Weſtküſte des ſüdlichen Rothen Meeres, einen Löwen, welcher von einem Hügel aus Umſchau über
ſein Jagdgebiet hielt. Sofort machten wir Anſtalt, den königlichen Recken von der Güte unſerer
Büchſen einen Beweis zu geben. Zur Aushülfe luden wir noch beide Läufe unſerer Doppelgewehre
mit Kugeln, gaben dieſe unſeren beiden Dienern geſpannt in die Hand und befahlen ihnen, dicht neben
uns her zu gehen. Unter Beobachtung aller Jagdregeln nahten wir uns dem Hügel. Bau Arkel,
welcher ſich zum erſten Male zu ſolcher Jagd anſchickte, zeigte einen ſo kühlen Mannesmuth, daß mir
das Herz vor Stolz und Freude ſchwoll; unſere afrikaniſchen Diener zitterten wie Espenlaub. Wir
nahten uns langſam und höchſt vorſichtig, weil die Oertlichkeit eine mehr als wünſchenswerthe An-
näherung bedingte. Wie Katzen ſchlichen wir an dem Hügel hinauf, die Büchſen erhoben, den Finger
am Drücker. Das Jagdfeuer wollte faſt übermächtig werden. Wir hatten uns aber umſonſt gefreut
— der edle Recke hatte feig den Platz verlaſſen und wahrſcheinlich in dem nächſten, uns undurchdring-
lichen Buſchdickicht eine Zuflucht gefunden.

Jm Atlas wird der Löwe auf ſehr verſchiedene Weiſe gejagt. Wenn er die Nähe des Lagers eines
Beduinenſtammes aufſucht, verbreitet ſich der Schrecken unter den Zelten, und überall werden unter

*) Unter dieſem Namen bezeichnet man in ganz Oſtafrika die Araber aus Marokko, Algier und Tunis,
welche im Heere des Bicekönigs freiwillige Dienſte thun.
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[205/0265] Schaden. Jagd. ganze Gegend unſicher gemacht und wochenlang Rinder und Schafe aus den nächſtgelegenen Dörfern und Seribas geraubt. Endlich wurde es den Rubiern doch zu toll, und ſie beſchloſſen, einen großen Jagdzug auszuführen. Vier muthige Morharbïe *) oder Abendländer, welche mit Feuergewehren be- waffnet waren, vereinigten ſich mit zwölf Rubiern, deren Bewaffnung in Lanzen beſtand, und zogen eines ſchönen Morgens nach dem Dickicht des Urwaldes hinaus, in welchem ſich der Löwe regelmäßig zu verſtecken pflegte, wenn er Beute gemacht hatte. Man rückte ohne weiteres auf das Lager des Löwen los, trieb ihn auf, und als er ſich verwundert über den Morgenbeſuch ruhig den Leuten gegen- über ſtellte, feuerten die vier Morharbïe zu gleicher Zeit ihre Gewehre ab. Ein Hagel von Lanzen folgte einen Augenblick ſpäter. Der Löwe ward an mehreren Stellen verwundet, doch keine ſeiner Verletzungen war tödlich, und deshalb ſtürzte er ſich auch ſofort auf ſeine Angreifer. Zufälliger Weiſe bewahrte er dabei eine merkwürdige Mäßigung. Er brachte zunächſt dem Einen einen Tatzenſchlag bei, welcher dieſen gräßlich verwundete und zu Boden warf. Dann blieb er wieder ſtehen; ein Zweiter nahte ſich mit einer friſchen Lanze und erhielt, noch ehe er dieſe anwenden konnte, einen ähnlichen Tatzenſchlag. Die Uebrigen dachten ſchon an die feige Flucht und würden ihre Gefährten dem nach und nach immer wüthender werdenden Löwen überantwortet haben, wenn nicht ein junger Menſch alle anderen Funfzehn beſchämt hätte. Er führte außer ſeiner Lanze noch einen ſtarken und langen Stock, Nabuht genannt, bei ſich und nahte ſich mit dieſer Waffe tolldreiſt dem Löwen. Dieſer ſtaunte ihn an, bekam aber, ehe er es ſich verfah, einen ſo gewaltigen Schlag in die Augengegend, daß ihm Hören und Sehen verging und er unter der Wucht des Schlages zu Boden ſtürzte. Jetzt hatte der kühne Burſche freilich geſiegt, er ſchlug ſo lange auf den Löwen los, bis dieſer ſich nicht mehr regte. Jch ſelbſt bin mehrere Male von den Eingebornen aufgefordert worden, ihnen einen Löwen wegzuſchießen, welcher in der Nacht vorher in ihrer Seriba geraubt hatte und, wie anzunehmen, regungslos und faul im Schatten lag, um zu verdauen. Selbſtverſtändlich brannte ich vor Jagd- begierde und würde auch ganz entſchieden dieſe Jagd ausgeführt haben, hätte mich nur ein einziger meiner Gefährten begleiten wollen. Bei denen war jedoch alles Zureden vergebens. Jhre Furcht war zu tief eingewurzelt, und nicht einmal meine europäiſchen Genoſſen wollten das Wagſtück mit unter- nehmen helfen. Allein aber zum erſten Male auf eine Löwenjagd zu gehen, wäre doch tollkühn geweſen, und ſo mußte ich zu meinem innigen Bedauern die günſtige Gelegenheit vorübergehen laſſen, meine Jagden mit der edelſten aller zu krönen. Auf meinem letzten Jagdausfluge nach Habeſch hatte ich Unglück. Mein Freund, Baron van Arkel d’Ablaing und ich entdeckten bei hellem Tage in der Samchara, dem Wüſtenſtreifen an der Weſtküſte des ſüdlichen Rothen Meeres, einen Löwen, welcher von einem Hügel aus Umſchau über ſein Jagdgebiet hielt. Sofort machten wir Anſtalt, den königlichen Recken von der Güte unſerer Büchſen einen Beweis zu geben. Zur Aushülfe luden wir noch beide Läufe unſerer Doppelgewehre mit Kugeln, gaben dieſe unſeren beiden Dienern geſpannt in die Hand und befahlen ihnen, dicht neben uns her zu gehen. Unter Beobachtung aller Jagdregeln nahten wir uns dem Hügel. Bau Arkel, welcher ſich zum erſten Male zu ſolcher Jagd anſchickte, zeigte einen ſo kühlen Mannesmuth, daß mir das Herz vor Stolz und Freude ſchwoll; unſere afrikaniſchen Diener zitterten wie Espenlaub. Wir nahten uns langſam und höchſt vorſichtig, weil die Oertlichkeit eine mehr als wünſchenswerthe An- näherung bedingte. Wie Katzen ſchlichen wir an dem Hügel hinauf, die Büchſen erhoben, den Finger am Drücker. Das Jagdfeuer wollte faſt übermächtig werden. Wir hatten uns aber umſonſt gefreut — der edle Recke hatte feig den Platz verlaſſen und wahrſcheinlich in dem nächſten, uns undurchdring- lichen Buſchdickicht eine Zuflucht gefunden. Jm Atlas wird der Löwe auf ſehr verſchiedene Weiſe gejagt. Wenn er die Nähe des Lagers eines Beduinenſtammes aufſucht, verbreitet ſich der Schrecken unter den Zelten, und überall werden unter *) Unter dieſem Namen bezeichnet man in ganz Oſtafrika die Araber aus Marokko, Algier und Tunis, welche im Heere des Bicekönigs freiwillige Dienſte thun.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/265>, abgerufen am 25.11.2024.