nicht mehr regt. Dann tritt er seinen Rückzug an. Er muß zurück über die hohe Umzäunung und will auch seine Beute nicht lassen. Seine ganze ungeheure Kraft ist erforderlich, um mit dem Rind im Nachen den Rücksprung auszuführen. Aber er gelingt: ich habe selbst eine neun Fuß hohe Seriba gesehen, über welche der Löwe mit einem zweijährigen Rind im Rachen hinweggesetzt war; ich selbst den Eindruck noch wahrgenommen, welchen die schwere Last auf der Firste des Zaunes bewirkt hatte, und auf der andern Seite noch die Vertiefung im Sande bemerkt, welche das herabstürzende Rind zurückließ, bevor es der Löwe weiter schleppte. Mit Leichtigkeit trägt er eine solche Last seinem vielleicht eine halbe Meile entfernten Lager zu, und man sieht die Furche, welche ein so geschlepptes Thier im Sande zog, oft mit der größten Deutlichkeit bis zum Platze, an welchem es zerrissen wurde.
Erst nach Abzug des Löwen athmet alles Lebende in dem Lager freier auf; denn es schien geradezu durch die Furcht gebannt zu sein. Der Hirte ergiebt sich gefaßt in sein Schicksal: er weiß, daß er in dem Löwen einen König erkennen muß, der ihn fast ebenso arg brandschatzt, als der Menschenkönig, unter welchem er steht.
Man begreift, daß alle Thiere, welche diesen fürchterlichen Ränber kennen, vor Entsetzen fast die Besinnung verlieren, sobald sie ihn nur brüllen hören. Dieses Gebrüll ist bezeichnend für das Thier selbst. Man könnte es einen Ausdruck seiner Kraft nennen, es ist einzig in seiner Art und wird von keiner Stimme eines andern lebenden Wesens übertroffen. Die Araber haben ein sehr bezeichnendes Wort dafür: "raad", d. b. donnern. Beschreiben läßt sich das Löwengebrüll nicht. Tief aus der Brust scheint es hervorzukommen, es scheint diese zersprengen zu wollen. Es ist schwer, die Richtung zu erkennen, von woher es erschallt, denn der Löwe brüllt gegen die Erde hin, und auf dieser pflanzt sich der Schall wirklich wie Donner fort. Das Gebrüll selbst besteht aus Lauten, welche zwischen O und U in der Mitte liegen und überaus kräftig sind. Jn der Regel beginnt es mit drei oder vier langsam hervorgestoßenen Lauten, welche fast wie ein Stöhnen klingen, dann folgen diese einzelnen Laute immer schneller und schneller, gegen das Ende hin aber werden sie wieder langsamer und dabei nehmen sie auch mehr und mehr an Stärke ab, so daß die letzten eigentlich mehr einem Geknurr gleichen. Sobald ein Löwe seine gewaltige Stimme erhebt, fallen alle übrigen, welche es hören, augenblicklich mit ein, und so kommt es, daß man im Urwalde zuweilen eine wirklich groß- artige Musik vernehmen kann.
Unbeschreiblich ist die Wirkung, welche des Königs Stimme unter seinen Unterthanen hervorruft. Die heulende Hiäne verstummt, wenn auch nur auf Augenblicke, der Leopard hört auf, zu grunzen, die Affen beginnen, laut zu gurgeln, und steigen angsterfüllt zu den höchsten Zweigen empor. Die blökende Herde wird todtenstill; die Antilopen brechen in rasender Flucht durchs Gezweig; das beladene Kamel zittert, gehorcht keinem Zurufe seines Treibers mehr, wirft seine Lasten, seinen Reiter ab und sucht sein Heil in eiliger Flucht; das Pferd bäumt sich, schnauft, bläst die Nüstern auf und stürzt rückwärts; der nicht zur Jagd gewöhnte Hund sucht winselnd Schutz bei seinem Herrn: kurz, Freiligraths Beschreibung ist vollkommen richtig:
"Dem Panther starrt das Rosenfell, Erzitternd stüchtet die Gazell', Es lauscht Kamel und Krokodil Des Königs zürnendem Gebrüll."
Und selbst der Mann, in dessen Ohr zum ersten Mal diese Stimme schlägt, in der Nacht des Urwaldes, selbst er fragt sich, ob er auch Held genug sei Dem gegenüber, welcher diesen Donner hervorruft. -- Dasselbe Angstgefühl, welches das Löwengebrüll hervorruft, bemächtigt sich auch dann der Thiere, wenn sie den Löwen durch einen andern Sinn wahrnehmen, schon, wenn sie ihn blos wittern, ohne ihn zu sehen: sie wissen alle, daß die Nähe des Löwen für sie Tod bedeutet.
Wo es der Löwe haben kann, siedelt er sich in der Nähe der Dörfer an und richtet seine Streif- züge einzig und allein nach diesen hin. Er ist ein unangenehmer Gast und läßt sich nicht so leicht ver- treiben, zumal weil er auch einen nicht unbedeutenden Grad von Schlauheit bei seinen Ueberfällen
Die Raubthiere. Katzen. — Der Löwe.
nicht mehr regt. Dann tritt er ſeinen Rückzug an. Er muß zurück über die hohe Umzäunung und will auch ſeine Beute nicht laſſen. Seine ganze ungeheure Kraft iſt erforderlich, um mit dem Rind im Nachen den Rückſprung auszuführen. Aber er gelingt: ich habe ſelbſt eine neun Fuß hohe Seriba geſehen, über welche der Löwe mit einem zweijährigen Rind im Rachen hinweggeſetzt war; ich ſelbſt den Eindruck noch wahrgenommen, welchen die ſchwere Laſt auf der Firſte des Zaunes bewirkt hatte, und auf der andern Seite noch die Vertiefung im Sande bemerkt, welche das herabſtürzende Rind zurückließ, bevor es der Löwe weiter ſchleppte. Mit Leichtigkeit trägt er eine ſolche Laſt ſeinem vielleicht eine halbe Meile entfernten Lager zu, und man ſieht die Furche, welche ein ſo geſchlepptes Thier im Sande zog, oft mit der größten Deutlichkeit bis zum Platze, an welchem es zerriſſen wurde.
Erſt nach Abzug des Löwen athmet alles Lebende in dem Lager freier auf; denn es ſchien geradezu durch die Furcht gebannt zu ſein. Der Hirte ergiebt ſich gefaßt in ſein Schickſal: er weiß, daß er in dem Löwen einen König erkennen muß, der ihn faſt ebenſo arg brandſchatzt, als der Menſchenkönig, unter welchem er ſteht.
Man begreift, daß alle Thiere, welche dieſen fürchterlichen Ränber kennen, vor Entſetzen faſt die Beſinnung verlieren, ſobald ſie ihn nur brüllen hören. Dieſes Gebrüll iſt bezeichnend für das Thier ſelbſt. Man könnte es einen Ausdruck ſeiner Kraft nennen, es iſt einzig in ſeiner Art und wird von keiner Stimme eines andern lebenden Weſens übertroffen. Die Araber haben ein ſehr bezeichnendes Wort dafür: „raad‟, d. b. donnern. Beſchreiben läßt ſich das Löwengebrüll nicht. Tief aus der Bruſt ſcheint es hervorzukommen, es ſcheint dieſe zerſprengen zu wollen. Es iſt ſchwer, die Richtung zu erkennen, von woher es erſchallt, denn der Löwe brüllt gegen die Erde hin, und auf dieſer pflanzt ſich der Schall wirklich wie Donner fort. Das Gebrüll ſelbſt beſteht aus Lauten, welche zwiſchen O und U in der Mitte liegen und überaus kräftig ſind. Jn der Regel beginnt es mit drei oder vier langſam hervorgeſtoßenen Lauten, welche faſt wie ein Stöhnen klingen, dann folgen dieſe einzelnen Laute immer ſchneller und ſchneller, gegen das Ende hin aber werden ſie wieder langſamer und dabei nehmen ſie auch mehr und mehr an Stärke ab, ſo daß die letzten eigentlich mehr einem Geknurr gleichen. Sobald ein Löwe ſeine gewaltige Stimme erhebt, fallen alle übrigen, welche es hören, augenblicklich mit ein, und ſo kommt es, daß man im Urwalde zuweilen eine wirklich groß- artige Muſik vernehmen kann.
Unbeſchreiblich iſt die Wirkung, welche des Königs Stimme unter ſeinen Unterthanen hervorruft. Die heulende Hiäne verſtummt, wenn auch nur auf Augenblicke, der Leopard hört auf, zu grunzen, die Affen beginnen, laut zu gurgeln, und ſteigen angſterfüllt zu den höchſten Zweigen empor. Die blökende Herde wird todtenſtill; die Antilopen brechen in raſender Flucht durchs Gezweig; das beladene Kamel zittert, gehorcht keinem Zurufe ſeines Treibers mehr, wirft ſeine Laſten, ſeinen Reiter ab und ſucht ſein Heil in eiliger Flucht; das Pferd bäumt ſich, ſchnauft, bläſt die Nüſtern auf und ſtürzt rückwärts; der nicht zur Jagd gewöhnte Hund ſucht winſelnd Schutz bei ſeinem Herrn: kurz, Freiligraths Beſchreibung iſt vollkommen richtig:
„Dem Panther ſtarrt das Roſenfell, Erzitternd ſtüchtet die Gazell’, Es lauſcht Kamel und Krokodil Des Königs zürnendem Gebrüll.‟
Und ſelbſt der Mann, in deſſen Ohr zum erſten Mal dieſe Stimme ſchlägt, in der Nacht des Urwaldes, ſelbſt er fragt ſich, ob er auch Held genug ſei Dem gegenüber, welcher dieſen Donner hervorruft. — Daſſelbe Angſtgefühl, welches das Löwengebrüll hervorruft, bemächtigt ſich auch dann der Thiere, wenn ſie den Löwen durch einen andern Sinn wahrnehmen, ſchon, wenn ſie ihn blos wittern, ohne ihn zu ſehen: ſie wiſſen alle, daß die Nähe des Löwen für ſie Tod bedeutet.
Wo es der Löwe haben kann, ſiedelt er ſich in der Nähe der Dörfer an und richtet ſeine Streif- züge einzig und allein nach dieſen hin. Er iſt ein unangenehmer Gaſt und läßt ſich nicht ſo leicht ver- treiben, zumal weil er auch einen nicht unbedeutenden Grad von Schlauheit bei ſeinen Ueberfällen
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[194/0254]
Die Raubthiere. Katzen. — Der Löwe.
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im Nachen den Rückſprung auszuführen. Aber er gelingt: ich habe ſelbſt eine neun Fuß hohe Seriba
geſehen, über welche der Löwe mit einem zweijährigen Rind im Rachen hinweggeſetzt war; ich ſelbſt
den Eindruck noch wahrgenommen, welchen die ſchwere Laſt auf der Firſte des Zaunes bewirkt
hatte, und auf der andern Seite noch die Vertiefung im Sande bemerkt, welche das herabſtürzende
Rind zurückließ, bevor es der Löwe weiter ſchleppte. Mit Leichtigkeit trägt er eine ſolche Laſt ſeinem
vielleicht eine halbe Meile entfernten Lager zu, und man ſieht die Furche, welche ein ſo geſchlepptes
Thier im Sande zog, oft mit der größten Deutlichkeit bis zum Platze, an welchem es zerriſſen wurde.
Erſt nach Abzug des Löwen athmet alles Lebende in dem Lager freier auf; denn es ſchien geradezu
durch die Furcht gebannt zu ſein. Der Hirte ergiebt ſich gefaßt in ſein Schickſal: er weiß, daß er in
dem Löwen einen König erkennen muß, der ihn faſt ebenſo arg brandſchatzt, als der Menſchenkönig,
unter welchem er ſteht.
Man begreift, daß alle Thiere, welche dieſen fürchterlichen Ränber kennen, vor Entſetzen faſt die
Beſinnung verlieren, ſobald ſie ihn nur brüllen hören. Dieſes Gebrüll iſt bezeichnend für das Thier
ſelbſt. Man könnte es einen Ausdruck ſeiner Kraft nennen, es iſt einzig in ſeiner Art und wird von
keiner Stimme eines andern lebenden Weſens übertroffen. Die Araber haben ein ſehr bezeichnendes
Wort dafür: „raad‟, d. b. donnern. Beſchreiben läßt ſich das Löwengebrüll nicht. Tief aus
der Bruſt ſcheint es hervorzukommen, es ſcheint dieſe zerſprengen zu wollen. Es iſt ſchwer, die
Richtung zu erkennen, von woher es erſchallt, denn der Löwe brüllt gegen die Erde hin, und auf
dieſer pflanzt ſich der Schall wirklich wie Donner fort. Das Gebrüll ſelbſt beſteht aus Lauten, welche
zwiſchen O und U in der Mitte liegen und überaus kräftig ſind. Jn der Regel beginnt es mit drei
oder vier langſam hervorgeſtoßenen Lauten, welche faſt wie ein Stöhnen klingen, dann folgen dieſe
einzelnen Laute immer ſchneller und ſchneller, gegen das Ende hin aber werden ſie wieder langſamer
und dabei nehmen ſie auch mehr und mehr an Stärke ab, ſo daß die letzten eigentlich mehr einem
Geknurr gleichen. Sobald ein Löwe ſeine gewaltige Stimme erhebt, fallen alle übrigen, welche es
hören, augenblicklich mit ein, und ſo kommt es, daß man im Urwalde zuweilen eine wirklich groß-
artige Muſik vernehmen kann.
Unbeſchreiblich iſt die Wirkung, welche des Königs Stimme unter ſeinen Unterthanen hervorruft.
Die heulende Hiäne verſtummt, wenn auch nur auf Augenblicke, der Leopard hört auf, zu grunzen,
die Affen beginnen, laut zu gurgeln, und ſteigen angſterfüllt zu den höchſten Zweigen empor. Die
blökende Herde wird todtenſtill; die Antilopen brechen in raſender Flucht durchs Gezweig; das
beladene Kamel zittert, gehorcht keinem Zurufe ſeines Treibers mehr, wirft ſeine Laſten, ſeinen Reiter
ab und ſucht ſein Heil in eiliger Flucht; das Pferd bäumt ſich, ſchnauft, bläſt die Nüſtern auf und
ſtürzt rückwärts; der nicht zur Jagd gewöhnte Hund ſucht winſelnd Schutz bei ſeinem Herrn: kurz,
Freiligraths Beſchreibung iſt vollkommen richtig:
„Dem Panther ſtarrt das Roſenfell,
Erzitternd ſtüchtet die Gazell’,
Es lauſcht Kamel und Krokodil
Des Königs zürnendem Gebrüll.‟
Und ſelbſt der Mann, in deſſen Ohr zum erſten Mal dieſe Stimme ſchlägt, in der Nacht des
Urwaldes, ſelbſt er fragt ſich, ob er auch Held genug ſei Dem gegenüber, welcher dieſen Donner
hervorruft. — Daſſelbe Angſtgefühl, welches das Löwengebrüll hervorruft, bemächtigt ſich auch dann
der Thiere, wenn ſie den Löwen durch einen andern Sinn wahrnehmen, ſchon, wenn ſie ihn blos
wittern, ohne ihn zu ſehen: ſie wiſſen alle, daß die Nähe des Löwen für ſie Tod bedeutet.
Wo es der Löwe haben kann, ſiedelt er ſich in der Nähe der Dörfer an und richtet ſeine Streif-
züge einzig und allein nach dieſen hin. Er iſt ein unangenehmer Gaſt und läßt ſich nicht ſo leicht ver-
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/254>, abgerufen am 16.07.2024.
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