Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Flatterthiere. Glattnasen. -- Ohrenfledermaus, Mops- und frühfliegende Fledermaus.

Die großöhrige Fledermaus hält die Gefangenschaft länger, als andere Fledermäuse aus; sie
kann in ihr sogar mehrere Monate oder Jahre ausdauern, obgleich nur bei sorgsamster Pflege. Wegen
dieser Eigenschaft wählt man sie gewöhnlich, wenn man Beobachtungen an Fledermäusen überhaupt
anstellen will. Man kann sie in gewissem Grade zähmen und sie lernt auch ihren Herrn kennen, wenn
auch nur in beschränktem Maßstabe. Faber besaß eine mehrere Wochen lang und beobachtete sie
sehr genau. Das Thier war äußerst munter, namentlich in der Abenddämmerung. Sie flog übrigens
auch häufig bei Tage, war dagegen in den Mitternachtsstunden ruhig. Jn der Stube flog sie mit
der größten Leichtigkeit anhaltend herum, meist mit stillgehaltenen Flügeln, jedoch konnte sie dieselben
auch im Fluge zusammenziehen und wieder ausbreiten. Wenn sie Gegenständen ausweichen mußte,
machte sie einen Bogen, schwirrte hurtig auf dem Boden hin und hob sich ohne Schwierigkeit in die Luft

[Abbildung] Die Ohrenfledermaus (Plecotus auritus).
An den Wänden kletterte sie mit Hilfe des Daumens sehr geschickt herum. Die langen Ohren bewegte sie
beständig bei dem geringsten Geräusch, spitzte dieselben, wie Pferde es thun oder krümmte sie wie Widder-
hörner, wenn das Geräusch fortdauerte oder stark war. Jn der Ruhe legte sie die Ohren stets zurück.
Sie drehte oft den Kopf, leckte sich mit der Zunge und witterte mit der Nase. Wie alle Fledermäuse
wurde sie viel von Schmarotzern geplagt und kratzte sich oft an der Seite des Kopfes mit den Nägeln.
Bei kalter Witterung saß sie still. Sobald die Sonne auf sie schien, wurde sie munter und lief in
ihrem Käfig hin und her. Der Geruch, welchen sie von sich gab, war unangenehm, doch weniger, als
anderer Arten. Jhre Gefräßigkeit war sehr groß, auch in der Gefangenschaft. Wenn man Stuben-
fliegen zu ihr setzte, machte sie augenblicklich Jagd darauf; zu einer einzigen ihrer Mahlzeiten bedurfte
sie aber sechzig bis siebzig dieser Thiere. Sie verdaute fast ebenso schnell, als sie fraß, und füllte,

Die Flatterthiere. Glattnaſen. — Ohrenfledermaus, Mops- und frühfliegende Fledermaus.

Die großöhrige Fledermaus hält die Gefangenſchaft länger, als andere Fledermäuſe aus; ſie
kann in ihr ſogar mehrere Monate oder Jahre ausdauern, obgleich nur bei ſorgſamſter Pflege. Wegen
dieſer Eigenſchaft wählt man ſie gewöhnlich, wenn man Beobachtungen an Fledermäuſen überhaupt
anſtellen will. Man kann ſie in gewiſſem Grade zähmen und ſie lernt auch ihren Herrn kennen, wenn
auch nur in beſchränktem Maßſtabe. Faber beſaß eine mehrere Wochen lang und beobachtete ſie
ſehr genau. Das Thier war äußerſt munter, namentlich in der Abenddämmerung. Sie flog übrigens
auch häufig bei Tage, war dagegen in den Mitternachtsſtunden ruhig. Jn der Stube flog ſie mit
der größten Leichtigkeit anhaltend herum, meiſt mit ſtillgehaltenen Flügeln, jedoch konnte ſie dieſelben
auch im Fluge zuſammenziehen und wieder ausbreiten. Wenn ſie Gegenſtänden ausweichen mußte,
machte ſie einen Bogen, ſchwirrte hurtig auf dem Boden hin und hob ſich ohne Schwierigkeit in die Luft

[Abbildung] Die Ohrenfledermaus (Plecotus auritus).
An den Wänden kletterte ſie mit Hilfe des Daumens ſehr geſchickt herum. Die langen Ohren bewegte ſie
beſtändig bei dem geringſten Geräuſch, ſpitzte dieſelben, wie Pferde es thun oder krümmte ſie wie Widder-
hörner, wenn das Geräuſch fortdauerte oder ſtark war. Jn der Ruhe legte ſie die Ohren ſtets zurück.
Sie drehte oft den Kopf, leckte ſich mit der Zunge und witterte mit der Naſe. Wie alle Fledermäuſe
wurde ſie viel von Schmarotzern geplagt und kratzte ſich oft an der Seite des Kopfes mit den Nägeln.
Bei kalter Witterung ſaß ſie ſtill. Sobald die Sonne auf ſie ſchien, wurde ſie munter und lief in
ihrem Käfig hin und her. Der Geruch, welchen ſie von ſich gab, war unangenehm, doch weniger, als
anderer Arten. Jhre Gefräßigkeit war ſehr groß, auch in der Gefangenſchaft. Wenn man Stuben-
fliegen zu ihr ſetzte, machte ſie augenblicklich Jagd darauf; zu einer einzigen ihrer Mahlzeiten bedurfte
ſie aber ſechzig bis ſiebzig dieſer Thiere. Sie verdaute faſt ebenſo ſchnell, als ſie fraß, und füllte,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="3">
          <pb facs="#f0226" n="168"/>
          <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Die Flatterthiere.</hi> Glattna&#x017F;en. &#x2014; <hi rendition="#g">Ohrenfledermaus, Mops-</hi> und <hi rendition="#g">frühfliegende Fledermaus.</hi></fw><lb/>
          <p>Die großöhrige Fledermaus hält die Gefangen&#x017F;chaft länger, als andere Fledermäu&#x017F;e aus; &#x017F;ie<lb/>
kann in ihr &#x017F;ogar mehrere Monate oder Jahre ausdauern, obgleich nur bei &#x017F;org&#x017F;am&#x017F;ter Pflege. Wegen<lb/>
die&#x017F;er Eigen&#x017F;chaft wählt man &#x017F;ie gewöhnlich, wenn man Beobachtungen an Fledermäu&#x017F;en überhaupt<lb/>
an&#x017F;tellen will. Man kann &#x017F;ie in gewi&#x017F;&#x017F;em Grade zähmen und &#x017F;ie lernt auch ihren Herrn kennen, wenn<lb/>
auch nur in be&#x017F;chränktem Maß&#x017F;tabe. <hi rendition="#g">Faber</hi> be&#x017F;aß eine mehrere Wochen lang und beobachtete &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ehr genau. Das Thier war äußer&#x017F;t munter, namentlich in der Abenddämmerung. Sie flog übrigens<lb/>
auch häufig bei Tage, war dagegen in den Mitternachts&#x017F;tunden ruhig. Jn der Stube flog &#x017F;ie mit<lb/>
der größten Leichtigkeit anhaltend herum, mei&#x017F;t mit &#x017F;tillgehaltenen Flügeln, jedoch konnte &#x017F;ie die&#x017F;elben<lb/>
auch im Fluge zu&#x017F;ammenziehen und wieder ausbreiten. Wenn &#x017F;ie Gegen&#x017F;tänden ausweichen mußte,<lb/>
machte &#x017F;ie einen Bogen, &#x017F;chwirrte hurtig auf dem Boden hin und hob &#x017F;ich ohne Schwierigkeit in die Luft<lb/><figure><head><hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Die Ohrenfledermaus</hi> (<hi rendition="#aq">Plecotus auritus</hi>).</hi></head></figure><lb/>
An den Wänden kletterte &#x017F;ie mit Hilfe des Daumens &#x017F;ehr ge&#x017F;chickt herum. Die langen Ohren bewegte &#x017F;ie<lb/>
be&#x017F;tändig bei dem gering&#x017F;ten Geräu&#x017F;ch, &#x017F;pitzte die&#x017F;elben, wie Pferde es thun oder krümmte &#x017F;ie wie Widder-<lb/>
hörner, wenn das Geräu&#x017F;ch fortdauerte oder &#x017F;tark war. Jn der Ruhe legte &#x017F;ie die Ohren &#x017F;tets zurück.<lb/>
Sie drehte oft den Kopf, leckte &#x017F;ich mit der Zunge und witterte mit der Na&#x017F;e. Wie alle Fledermäu&#x017F;e<lb/>
wurde &#x017F;ie viel von Schmarotzern geplagt und kratzte &#x017F;ich oft an der Seite des Kopfes mit den Nägeln.<lb/>
Bei kalter Witterung &#x017F;&#x017F;ie &#x017F;till. Sobald die Sonne auf &#x017F;ie &#x017F;chien, wurde &#x017F;ie munter und lief in<lb/>
ihrem Käfig hin und her. Der Geruch, welchen &#x017F;ie von &#x017F;ich gab, war unangenehm, doch weniger, als<lb/>
anderer Arten. Jhre Gefräßigkeit war &#x017F;ehr groß, auch in der Gefangen&#x017F;chaft. Wenn man Stuben-<lb/>
fliegen zu ihr &#x017F;etzte, machte &#x017F;ie augenblicklich Jagd darauf; zu einer einzigen ihrer Mahlzeiten bedurfte<lb/>
&#x017F;ie aber &#x017F;echzig bis &#x017F;iebzig die&#x017F;er Thiere. Sie verdaute fa&#x017F;t eben&#x017F;o &#x017F;chnell, als &#x017F;ie fraß, und füllte,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[168/0226] Die Flatterthiere. Glattnaſen. — Ohrenfledermaus, Mops- und frühfliegende Fledermaus. Die großöhrige Fledermaus hält die Gefangenſchaft länger, als andere Fledermäuſe aus; ſie kann in ihr ſogar mehrere Monate oder Jahre ausdauern, obgleich nur bei ſorgſamſter Pflege. Wegen dieſer Eigenſchaft wählt man ſie gewöhnlich, wenn man Beobachtungen an Fledermäuſen überhaupt anſtellen will. Man kann ſie in gewiſſem Grade zähmen und ſie lernt auch ihren Herrn kennen, wenn auch nur in beſchränktem Maßſtabe. Faber beſaß eine mehrere Wochen lang und beobachtete ſie ſehr genau. Das Thier war äußerſt munter, namentlich in der Abenddämmerung. Sie flog übrigens auch häufig bei Tage, war dagegen in den Mitternachtsſtunden ruhig. Jn der Stube flog ſie mit der größten Leichtigkeit anhaltend herum, meiſt mit ſtillgehaltenen Flügeln, jedoch konnte ſie dieſelben auch im Fluge zuſammenziehen und wieder ausbreiten. Wenn ſie Gegenſtänden ausweichen mußte, machte ſie einen Bogen, ſchwirrte hurtig auf dem Boden hin und hob ſich ohne Schwierigkeit in die Luft [Abbildung Die Ohrenfledermaus (Plecotus auritus).] An den Wänden kletterte ſie mit Hilfe des Daumens ſehr geſchickt herum. Die langen Ohren bewegte ſie beſtändig bei dem geringſten Geräuſch, ſpitzte dieſelben, wie Pferde es thun oder krümmte ſie wie Widder- hörner, wenn das Geräuſch fortdauerte oder ſtark war. Jn der Ruhe legte ſie die Ohren ſtets zurück. Sie drehte oft den Kopf, leckte ſich mit der Zunge und witterte mit der Naſe. Wie alle Fledermäuſe wurde ſie viel von Schmarotzern geplagt und kratzte ſich oft an der Seite des Kopfes mit den Nägeln. Bei kalter Witterung ſaß ſie ſtill. Sobald die Sonne auf ſie ſchien, wurde ſie munter und lief in ihrem Käfig hin und her. Der Geruch, welchen ſie von ſich gab, war unangenehm, doch weniger, als anderer Arten. Jhre Gefräßigkeit war ſehr groß, auch in der Gefangenſchaft. Wenn man Stuben- fliegen zu ihr ſetzte, machte ſie augenblicklich Jagd darauf; zu einer einzigen ihrer Mahlzeiten bedurfte ſie aber ſechzig bis ſiebzig dieſer Thiere. Sie verdaute faſt ebenſo ſchnell, als ſie fraß, und füllte,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/226
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/226>, abgerufen am 05.05.2024.