Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

Bild:
<< vorherige Seite

Geist. Nutzen, Schaden. Arten.
ist groß und besitzt Windungen. Hierdurch ist schon angedeutet, daß ihr Verstand kein geringer sein
kann. Alle Flatterthiere zeichnen sich durch einen ziemlich hohen Grad von Gedächtniß und einige
sogar durch verständige Ueberlegung aus. Daß sie nach dem Flattern stets dieselben Orte wieder auf-
suchen und sich für den Winterschlaf immer äußerst zweckmäßige Orte wählen: Dies allein schon be-
weist, daß sie nicht so dumm sind, als sie aussehen. Jhre Feinde kennen sie sehr gut und verstehen
ihnen ganz schlau zu begegnen, wie sie ihrerseits wieder die kleineren Thiere, denen sie nachstellen, zu
überlisten wissen. So erzählt Kolenati, daß eine Fledermaus, welche in einer Lindenallee jagte
das Weibchen eines Schmetterlings verschonte, weil sie bemerkt hatte, daß dieses viele Männchen
heranlockte, welche sie nun nach und nach wegschnappen konnte. Daß die Fledermäuse bei guter Be-
handlung sehr zahm und ihrem Herrn zugethan werden können, ist von vielen Gelehrten und Natur-
freunden beobachtet worden. Einzelne Forscher brachten die Thiere bald dahin, ihnen Nahrung aus
der Hand wegzunehmen oder sich solche aus Gläsern herauszuholen, sobald sie einmal bemerkt hatten,
um was es sich handele. Mein Bruder hatte eine Ohrenfledermaus soweit gezähmt, daß sie ihm
durch alle Zimmer folgte und, wenn er ihr eine Fliege hinhielt, sich augenblicklich auf seine Hand
setzte, um jene zu fressen. Die größeren Flatterthiere sind wirklich liebenswürdig in der Gefangen-
schaft; sie werden außerordentlich zahm und zeigen sich sehr verständig. Wenn man Schmetterlinge
an Angeln hängt, um sie damit zu fangen, wird man sich stets vergeblich bemühen. Sie kommen
heran, untersuchen das schwebende Kerbthier, bemerken aber auch sehr bald das seine Roßhaar, an
welches die Angel befestigt ist, und lassen es dann vorsichtig unberührt, selbst wenn sie wenig Futter
haben sollten.

Der Nutzen, welchen die meisten Mitglieder der sehr zahlreichen Ordnung dem Menschen leisten,
übertrifft den Schaden, welchen sie ihm unmittelbar zufügen, weit. Gerade während der Nachtzeit
fliegen sehr viele von den schädlichsten Kerbthieren und zeigen sich somit dem Auge ihrer Feinde.
Außer den Ziegenmelkern, den Kröten, den Zieseln und Spitzmäusen stellen um diese Zeit
nur noch die Fledermäuse dem ewig kriegsbereiten, verderblichen Heere nach, und die auffallende
Gefräßigkeit, welche allen Fledermäusen eigen ist, vermag in der Vertilgung der Kerfe wirklich
Großes zu leisten. Jedermann, der Dies bedenkt, muß einsehen, welch großes Unrecht man thut,
wenn man aus bloser Abneigung und ohne Zweck, wie es so häufig geschieht, die unschädlichen
Thiere geradezu todt schlägt, sobald man sie findet. Es wäre wirklich zu wünschen, daß auch von
Regierungs wegen ihre Verfolgung streng untersagt würde. Daß sie eine besondere Lust verspüren
sollten, Frauen in die Haare zu fliegen, ist eine alberne Erfindung von Leuten, welche sich niemals
mit Naturgeschichte beschäftigt haben, und die Zimperlichkeit, mit welcher viele Menschen, namentlich
Frauen, die Thiere ansehen, ist einestheils nicht zu entschuldigen und auf der andern Seite doch
wahrhaftig nicht bestimmend, um Vertilgungsmaßregeln gegen so nützliche Thiere irgendwie zu recht-
fertigen. Die bei uns wohnenden Fledermäuse bringen, wie eben bemerkt, nur Nutzen, und die,
welche schädlich werden, gehen uns eben zunächst Nichts an. Der Schaden dieser Wenigen ist
übrigens auch nicht so bedeutend, als gewöhnlich gesagt wird. Nach den neueren und zuverlässigsten
Berichten tödten die blutsaugenden Fledermäuse niemals größere Thiere oder Menschen, selbst wenn
sie mehrere Nächte nach einander ihre Nahrung aus deren Leibern schöpfen sollten, und die
fruchtfressenden Flatterthiere leben in Ländern, wo die Natur ihre Nahrung so reichlich erzeugt,
daß der Verbrauch derselben durch sie eben nur da bemerklich wird, wo der Mensch mit besonderer
Sorgfalt sich gewisse Früchte erzeugt, z. B. in Gärten; Früchte aber kann man durch Netze und der-
gleichen vor ihnen schützen. Somit dürfen wir die ganze Ordnung als ein höchst nützliches Glied in
der Kette der Wesen betrachten.

Die Zahl der vorweltlichen Fledermäuse, von denen man Kunde erlangt hat, ist sehr gering.
Jn dem Berusteine hat man Fledermaushaare und in verschiedenen Steinbrüchen versteinerte Knochen-
überreste der Handflügler gefunden. Die Zahl der jetzt lebenden Flatterthiere aber ist sehr bedeutend.
Man kennt etwa 250 sicher unterschiedene Arten, von denen auf Europa ungefähr 30 kommen. Dabei

Brehm, Thierleben. 11

Geiſt. Nutzen, Schaden. Arten.
iſt groß und beſitzt Windungen. Hierdurch iſt ſchon angedeutet, daß ihr Verſtand kein geringer ſein
kann. Alle Flatterthiere zeichnen ſich durch einen ziemlich hohen Grad von Gedächtniß und einige
ſogar durch verſtändige Ueberlegung aus. Daß ſie nach dem Flattern ſtets dieſelben Orte wieder auf-
ſuchen und ſich für den Winterſchlaf immer äußerſt zweckmäßige Orte wählen: Dies allein ſchon be-
weiſt, daß ſie nicht ſo dumm ſind, als ſie ausſehen. Jhre Feinde kennen ſie ſehr gut und verſtehen
ihnen ganz ſchlau zu begegnen, wie ſie ihrerſeits wieder die kleineren Thiere, denen ſie nachſtellen, zu
überliſten wiſſen. So erzählt Kolenati, daß eine Fledermaus, welche in einer Lindenallee jagte
das Weibchen eines Schmetterlings verſchonte, weil ſie bemerkt hatte, daß dieſes viele Männchen
heranlockte, welche ſie nun nach und nach wegſchnappen konnte. Daß die Fledermäuſe bei guter Be-
handlung ſehr zahm und ihrem Herrn zugethan werden können, iſt von vielen Gelehrten und Natur-
freunden beobachtet worden. Einzelne Forſcher brachten die Thiere bald dahin, ihnen Nahrung aus
der Hand wegzunehmen oder ſich ſolche aus Gläſern herauszuholen, ſobald ſie einmal bemerkt hatten,
um was es ſich handele. Mein Bruder hatte eine Ohrenfledermaus ſoweit gezähmt, daß ſie ihm
durch alle Zimmer folgte und, wenn er ihr eine Fliege hinhielt, ſich augenblicklich auf ſeine Hand
ſetzte, um jene zu freſſen. Die größeren Flatterthiere ſind wirklich liebenswürdig in der Gefangen-
ſchaft; ſie werden außerordentlich zahm und zeigen ſich ſehr verſtändig. Wenn man Schmetterlinge
an Angeln hängt, um ſie damit zu fangen, wird man ſich ſtets vergeblich bemühen. Sie kommen
heran, unterſuchen das ſchwebende Kerbthier, bemerken aber auch ſehr bald das ſeine Roßhaar, an
welches die Angel befeſtigt iſt, und laſſen es dann vorſichtig unberührt, ſelbſt wenn ſie wenig Futter
haben ſollten.

Der Nutzen, welchen die meiſten Mitglieder der ſehr zahlreichen Ordnung dem Menſchen leiſten,
übertrifft den Schaden, welchen ſie ihm unmittelbar zufügen, weit. Gerade während der Nachtzeit
fliegen ſehr viele von den ſchädlichſten Kerbthieren und zeigen ſich ſomit dem Auge ihrer Feinde.
Außer den Ziegenmelkern, den Kröten, den Zieſeln und Spitzmäuſen ſtellen um dieſe Zeit
nur noch die Fledermäuſe dem ewig kriegsbereiten, verderblichen Heere nach, und die auffallende
Gefräßigkeit, welche allen Fledermäuſen eigen iſt, vermag in der Vertilgung der Kerfe wirklich
Großes zu leiſten. Jedermann, der Dies bedenkt, muß einſehen, welch großes Unrecht man thut,
wenn man aus bloſer Abneigung und ohne Zweck, wie es ſo häufig geſchieht, die unſchädlichen
Thiere geradezu todt ſchlägt, ſobald man ſie findet. Es wäre wirklich zu wünſchen, daß auch von
Regierungs wegen ihre Verfolgung ſtreng unterſagt würde. Daß ſie eine beſondere Luſt verſpüren
ſollten, Frauen in die Haare zu fliegen, iſt eine alberne Erfindung von Leuten, welche ſich niemals
mit Naturgeſchichte beſchäftigt haben, und die Zimperlichkeit, mit welcher viele Menſchen, namentlich
Frauen, die Thiere anſehen, iſt einestheils nicht zu entſchuldigen und auf der andern Seite doch
wahrhaftig nicht beſtimmend, um Vertilgungsmaßregeln gegen ſo nützliche Thiere irgendwie zu recht-
fertigen. Die bei uns wohnenden Fledermäuſe bringen, wie eben bemerkt, nur Nutzen, und die,
welche ſchädlich werden, gehen uns eben zunächſt Nichts an. Der Schaden dieſer Wenigen iſt
übrigens auch nicht ſo bedeutend, als gewöhnlich geſagt wird. Nach den neueren und zuverläſſigſten
Berichten tödten die blutſaugenden Fledermäuſe niemals größere Thiere oder Menſchen, ſelbſt wenn
ſie mehrere Nächte nach einander ihre Nahrung aus deren Leibern ſchöpfen ſollten, und die
fruchtfreſſenden Flatterthiere leben in Ländern, wo die Natur ihre Nahrung ſo reichlich erzeugt,
daß der Verbrauch derſelben durch ſie eben nur da bemerklich wird, wo der Menſch mit beſonderer
Sorgfalt ſich gewiſſe Früchte erzeugt, z. B. in Gärten; Früchte aber kann man durch Netze und der-
gleichen vor ihnen ſchützen. Somit dürfen wir die ganze Ordnung als ein höchſt nützliches Glied in
der Kette der Weſen betrachten.

Die Zahl der vorweltlichen Fledermäuſe, von denen man Kunde erlangt hat, iſt ſehr gering.
Jn dem Beruſteine hat man Fledermaushaare und in verſchiedenen Steinbrüchen verſteinerte Knochen-
überreſte der Handflügler gefunden. Die Zahl der jetzt lebenden Flatterthiere aber iſt ſehr bedeutend.
Man kennt etwa 250 ſicher unterſchiedene Arten, von denen auf Europa ungefähr 30 kommen. Dabei

Brehm, Thierleben. 11
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="3">
          <p><pb facs="#f0219" n="161"/><fw place="top" type="header">Gei&#x017F;t. Nutzen, Schaden. Arten.</fw><lb/>
i&#x017F;t groß und be&#x017F;itzt Windungen. Hierdurch i&#x017F;t &#x017F;chon angedeutet, daß ihr Ver&#x017F;tand kein geringer &#x017F;ein<lb/>
kann. Alle Flatterthiere zeichnen &#x017F;ich durch einen ziemlich hohen Grad von Gedächtniß und einige<lb/>
&#x017F;ogar durch ver&#x017F;tändige Ueberlegung aus. Daß &#x017F;ie nach dem Flattern &#x017F;tets die&#x017F;elben Orte wieder auf-<lb/>
&#x017F;uchen und &#x017F;ich für den Winter&#x017F;chlaf immer äußer&#x017F;t zweckmäßige Orte wählen: Dies allein &#x017F;chon be-<lb/>
wei&#x017F;t, daß &#x017F;ie nicht &#x017F;o dumm &#x017F;ind, als &#x017F;ie aus&#x017F;ehen. Jhre Feinde kennen &#x017F;ie &#x017F;ehr gut und ver&#x017F;tehen<lb/>
ihnen ganz &#x017F;chlau zu begegnen, wie &#x017F;ie ihrer&#x017F;eits wieder die kleineren Thiere, denen &#x017F;ie nach&#x017F;tellen, zu<lb/>
überli&#x017F;ten wi&#x017F;&#x017F;en. So erzählt <hi rendition="#g">Kolenati,</hi> daß eine Fledermaus, welche in einer Lindenallee jagte<lb/>
das Weibchen eines Schmetterlings ver&#x017F;chonte, weil &#x017F;ie bemerkt hatte, daß die&#x017F;es viele Männchen<lb/>
heranlockte, welche &#x017F;ie nun nach und nach weg&#x017F;chnappen konnte. Daß die Fledermäu&#x017F;e bei guter Be-<lb/>
handlung &#x017F;ehr zahm und ihrem Herrn zugethan werden können, i&#x017F;t von vielen Gelehrten und Natur-<lb/>
freunden beobachtet worden. Einzelne For&#x017F;cher brachten die Thiere bald dahin, ihnen Nahrung aus<lb/>
der Hand wegzunehmen oder &#x017F;ich &#x017F;olche aus Glä&#x017F;ern herauszuholen, &#x017F;obald &#x017F;ie einmal bemerkt hatten,<lb/>
um was es &#x017F;ich handele. Mein Bruder hatte eine <hi rendition="#g">Ohrenfledermaus</hi> &#x017F;oweit gezähmt, daß &#x017F;ie ihm<lb/>
durch alle Zimmer folgte und, wenn er ihr eine Fliege hinhielt, &#x017F;ich augenblicklich auf &#x017F;eine Hand<lb/>
&#x017F;etzte, um jene zu fre&#x017F;&#x017F;en. Die größeren Flatterthiere &#x017F;ind wirklich liebenswürdig in der Gefangen-<lb/>
&#x017F;chaft; &#x017F;ie werden außerordentlich zahm und zeigen &#x017F;ich &#x017F;ehr ver&#x017F;tändig. Wenn man Schmetterlinge<lb/>
an Angeln hängt, um &#x017F;ie damit zu fangen, wird man &#x017F;ich &#x017F;tets vergeblich bemühen. Sie kommen<lb/>
heran, unter&#x017F;uchen das &#x017F;chwebende Kerbthier, bemerken aber auch &#x017F;ehr bald das &#x017F;eine Roßhaar, an<lb/>
welches die Angel befe&#x017F;tigt i&#x017F;t, und la&#x017F;&#x017F;en es dann vor&#x017F;ichtig unberührt, &#x017F;elb&#x017F;t wenn &#x017F;ie wenig Futter<lb/>
haben &#x017F;ollten.</p><lb/>
          <p>Der Nutzen, welchen die mei&#x017F;ten Mitglieder der &#x017F;ehr zahlreichen Ordnung dem Men&#x017F;chen lei&#x017F;ten,<lb/>
übertrifft den Schaden, welchen &#x017F;ie ihm unmittelbar zufügen, weit. Gerade während der Nachtzeit<lb/>
fliegen &#x017F;ehr viele von den &#x017F;chädlich&#x017F;ten Kerbthieren und zeigen &#x017F;ich &#x017F;omit dem Auge ihrer Feinde.<lb/>
Außer den <hi rendition="#g">Ziegenmelkern,</hi> den <hi rendition="#g">Kröten,</hi> den <hi rendition="#g">Zie&#x017F;eln</hi> und <hi rendition="#g">Spitzmäu&#x017F;en</hi> &#x017F;tellen um die&#x017F;e Zeit<lb/>
nur noch die <hi rendition="#g">Fledermäu&#x017F;e</hi> dem ewig kriegsbereiten, verderblichen Heere nach, und die auffallende<lb/>
Gefräßigkeit, welche allen Fledermäu&#x017F;en eigen i&#x017F;t, vermag in der Vertilgung der Kerfe wirklich<lb/>
Großes zu lei&#x017F;ten. Jedermann, der Dies bedenkt, muß ein&#x017F;ehen, welch großes Unrecht man thut,<lb/>
wenn man aus blo&#x017F;er Abneigung und ohne Zweck, wie es &#x017F;o häufig ge&#x017F;chieht, die un&#x017F;chädlichen<lb/>
Thiere geradezu todt &#x017F;chlägt, &#x017F;obald man &#x017F;ie findet. Es wäre wirklich zu wün&#x017F;chen, daß auch von<lb/>
Regierungs wegen ihre Verfolgung &#x017F;treng unter&#x017F;agt würde. Daß &#x017F;ie eine be&#x017F;ondere Lu&#x017F;t ver&#x017F;püren<lb/>
&#x017F;ollten, Frauen in die Haare zu fliegen, i&#x017F;t eine alberne Erfindung von Leuten, welche &#x017F;ich niemals<lb/>
mit Naturge&#x017F;chichte be&#x017F;chäftigt haben, und die Zimperlichkeit, mit welcher viele Men&#x017F;chen, namentlich<lb/>
Frauen, die Thiere an&#x017F;ehen, i&#x017F;t einestheils nicht zu ent&#x017F;chuldigen und auf der andern Seite doch<lb/>
wahrhaftig nicht be&#x017F;timmend, um Vertilgungsmaßregeln gegen &#x017F;o nützliche Thiere irgendwie zu recht-<lb/>
fertigen. Die bei uns wohnenden Fledermäu&#x017F;e bringen, wie eben bemerkt, <hi rendition="#g">nur Nutzen,</hi> und die,<lb/>
welche &#x017F;chädlich werden, gehen uns eben zunäch&#x017F;t Nichts an. Der Schaden die&#x017F;er Wenigen i&#x017F;t<lb/>
übrigens auch nicht &#x017F;o bedeutend, als gewöhnlich ge&#x017F;agt wird. Nach den neueren und zuverlä&#x017F;&#x017F;ig&#x017F;ten<lb/>
Berichten tödten die blut&#x017F;augenden Fledermäu&#x017F;e niemals größere Thiere oder Men&#x017F;chen, &#x017F;elb&#x017F;t wenn<lb/>
&#x017F;ie mehrere Nächte nach einander ihre Nahrung aus deren Leibern &#x017F;chöpfen &#x017F;ollten, und die<lb/>
fruchtfre&#x017F;&#x017F;enden Flatterthiere leben in Ländern, wo die Natur ihre Nahrung &#x017F;o reichlich erzeugt,<lb/>
daß der Verbrauch der&#x017F;elben durch &#x017F;ie eben nur da bemerklich wird, wo der Men&#x017F;ch mit be&#x017F;onderer<lb/>
Sorgfalt &#x017F;ich gewi&#x017F;&#x017F;e Früchte erzeugt, z. B. in Gärten; Früchte aber kann man durch Netze und der-<lb/>
gleichen vor ihnen &#x017F;chützen. Somit dürfen wir die ganze Ordnung als ein höch&#x017F;t nützliches Glied in<lb/>
der Kette der We&#x017F;en betrachten.</p><lb/>
          <p>Die Zahl der vorweltlichen Fledermäu&#x017F;e, von denen man Kunde erlangt hat, i&#x017F;t &#x017F;ehr gering.<lb/>
Jn dem Beru&#x017F;teine hat man Fledermaushaare und in ver&#x017F;chiedenen Steinbrüchen ver&#x017F;teinerte Knochen-<lb/>
überre&#x017F;te der Handflügler gefunden. Die Zahl der jetzt lebenden Flatterthiere aber i&#x017F;t &#x017F;ehr bedeutend.<lb/>
Man kennt etwa 250 &#x017F;icher unter&#x017F;chiedene Arten, von denen auf Europa ungefähr 30 kommen. Dabei<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Brehm,</hi> Thierleben. 11</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[161/0219] Geiſt. Nutzen, Schaden. Arten. iſt groß und beſitzt Windungen. Hierdurch iſt ſchon angedeutet, daß ihr Verſtand kein geringer ſein kann. Alle Flatterthiere zeichnen ſich durch einen ziemlich hohen Grad von Gedächtniß und einige ſogar durch verſtändige Ueberlegung aus. Daß ſie nach dem Flattern ſtets dieſelben Orte wieder auf- ſuchen und ſich für den Winterſchlaf immer äußerſt zweckmäßige Orte wählen: Dies allein ſchon be- weiſt, daß ſie nicht ſo dumm ſind, als ſie ausſehen. Jhre Feinde kennen ſie ſehr gut und verſtehen ihnen ganz ſchlau zu begegnen, wie ſie ihrerſeits wieder die kleineren Thiere, denen ſie nachſtellen, zu überliſten wiſſen. So erzählt Kolenati, daß eine Fledermaus, welche in einer Lindenallee jagte das Weibchen eines Schmetterlings verſchonte, weil ſie bemerkt hatte, daß dieſes viele Männchen heranlockte, welche ſie nun nach und nach wegſchnappen konnte. Daß die Fledermäuſe bei guter Be- handlung ſehr zahm und ihrem Herrn zugethan werden können, iſt von vielen Gelehrten und Natur- freunden beobachtet worden. Einzelne Forſcher brachten die Thiere bald dahin, ihnen Nahrung aus der Hand wegzunehmen oder ſich ſolche aus Gläſern herauszuholen, ſobald ſie einmal bemerkt hatten, um was es ſich handele. Mein Bruder hatte eine Ohrenfledermaus ſoweit gezähmt, daß ſie ihm durch alle Zimmer folgte und, wenn er ihr eine Fliege hinhielt, ſich augenblicklich auf ſeine Hand ſetzte, um jene zu freſſen. Die größeren Flatterthiere ſind wirklich liebenswürdig in der Gefangen- ſchaft; ſie werden außerordentlich zahm und zeigen ſich ſehr verſtändig. Wenn man Schmetterlinge an Angeln hängt, um ſie damit zu fangen, wird man ſich ſtets vergeblich bemühen. Sie kommen heran, unterſuchen das ſchwebende Kerbthier, bemerken aber auch ſehr bald das ſeine Roßhaar, an welches die Angel befeſtigt iſt, und laſſen es dann vorſichtig unberührt, ſelbſt wenn ſie wenig Futter haben ſollten. Der Nutzen, welchen die meiſten Mitglieder der ſehr zahlreichen Ordnung dem Menſchen leiſten, übertrifft den Schaden, welchen ſie ihm unmittelbar zufügen, weit. Gerade während der Nachtzeit fliegen ſehr viele von den ſchädlichſten Kerbthieren und zeigen ſich ſomit dem Auge ihrer Feinde. Außer den Ziegenmelkern, den Kröten, den Zieſeln und Spitzmäuſen ſtellen um dieſe Zeit nur noch die Fledermäuſe dem ewig kriegsbereiten, verderblichen Heere nach, und die auffallende Gefräßigkeit, welche allen Fledermäuſen eigen iſt, vermag in der Vertilgung der Kerfe wirklich Großes zu leiſten. Jedermann, der Dies bedenkt, muß einſehen, welch großes Unrecht man thut, wenn man aus bloſer Abneigung und ohne Zweck, wie es ſo häufig geſchieht, die unſchädlichen Thiere geradezu todt ſchlägt, ſobald man ſie findet. Es wäre wirklich zu wünſchen, daß auch von Regierungs wegen ihre Verfolgung ſtreng unterſagt würde. Daß ſie eine beſondere Luſt verſpüren ſollten, Frauen in die Haare zu fliegen, iſt eine alberne Erfindung von Leuten, welche ſich niemals mit Naturgeſchichte beſchäftigt haben, und die Zimperlichkeit, mit welcher viele Menſchen, namentlich Frauen, die Thiere anſehen, iſt einestheils nicht zu entſchuldigen und auf der andern Seite doch wahrhaftig nicht beſtimmend, um Vertilgungsmaßregeln gegen ſo nützliche Thiere irgendwie zu recht- fertigen. Die bei uns wohnenden Fledermäuſe bringen, wie eben bemerkt, nur Nutzen, und die, welche ſchädlich werden, gehen uns eben zunächſt Nichts an. Der Schaden dieſer Wenigen iſt übrigens auch nicht ſo bedeutend, als gewöhnlich geſagt wird. Nach den neueren und zuverläſſigſten Berichten tödten die blutſaugenden Fledermäuſe niemals größere Thiere oder Menſchen, ſelbſt wenn ſie mehrere Nächte nach einander ihre Nahrung aus deren Leibern ſchöpfen ſollten, und die fruchtfreſſenden Flatterthiere leben in Ländern, wo die Natur ihre Nahrung ſo reichlich erzeugt, daß der Verbrauch derſelben durch ſie eben nur da bemerklich wird, wo der Menſch mit beſonderer Sorgfalt ſich gewiſſe Früchte erzeugt, z. B. in Gärten; Früchte aber kann man durch Netze und der- gleichen vor ihnen ſchützen. Somit dürfen wir die ganze Ordnung als ein höchſt nützliches Glied in der Kette der Weſen betrachten. Die Zahl der vorweltlichen Fledermäuſe, von denen man Kunde erlangt hat, iſt ſehr gering. Jn dem Beruſteine hat man Fledermaushaare und in verſchiedenen Steinbrüchen verſteinerte Knochen- überreſte der Handflügler gefunden. Die Zahl der jetzt lebenden Flatterthiere aber iſt ſehr bedeutend. Man kennt etwa 250 ſicher unterſchiedene Arten, von denen auf Europa ungefähr 30 kommen. Dabei Brehm, Thierleben. 11

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/219
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/219>, abgerufen am 06.05.2024.