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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Beschreibung. Eigenschaften. Die Affen auf dem Felsen von Gibraltar.

A. G. Smith berichtet im "Zoologist" (Mai 1862) über seine an Ort und Stelle gesammelten
Erfahrungen. Er theilt zunächst mit, daß das Vorkommen der Thiere in Europa wiederholt in
Zweifel gezogen, ja, als einfältiges Märchen betrachtet und selbst von einem vielfach in Gibraltar
verkehrenden Schiffskapitän geläugnet worden sei, und versichert, daß er beinahe selbst allen Glauben
verloren gehabt habe. Aber er wurde eines Bessern belehrt, als er den Flaggenstock auf dem Gipfel
des Felsens besuchte, um sich an der herrlichen Rundschau zu laben. Der Flaggenwächter theilte ihm
ganz gelegentlich mit, daß "die Affen im Umzuge begriffen seien". Sofort zog unser Gewährsmann
nunmehr die sorgsamsten Erkundigungen ein, und ihnen danken wir das Nachstehende.

"Auf diesem Felsen haben die Affen seit unvordenklichen Zeiten Fuß gefaßt; wann aber oder
wie sie über die See gekommen sind, ist nicht leicht zu bestimmen, und die maurische Sage, daß sie
zwischen Gibraltar und Marokko noch jetzt durch einen unterirdischen Gang unter der Meerenge ab-
und zugehen, ist doch etwas gar zu märchenhaft. Gewiß ist nur, daß sie da sind, obschon bedeutend
an Zahl zurückgebracht, so, daß während einiger Jahre die ganze Gesellschaft sich auf eine kleine
Bande von vier belief. Man sieht sie selten; sobald aber der Wind wechselt, ändern auch sie ge-

[Abbildung] Der Magot (Inuus ecaudatus).
wöhnlich ihren Aufenthalt. Weichlich und zärtlich, wie sie sind, scheuen sie jede plötzliche Abwechselung
des Wetters, namentlich das Umsetzen des Windes von Ost nach West oder umgekehrt, und suchen
sich dagegen zu schützen, indem sie sich hinter die Felsen ducken. Sie sind sehr lebendig und wählen
zu ihrer Wohnung am liebsten die steileren Abgründe, wo sie im ungestörten Besitze vieler Höhlen und
Löcher in dem lockern Felsen sind. Jedenfalls kann es ihnen nicht schwer werden, sich ihre Nahrung
zu verschaffen; denn sie erscheinen sehr wohlgenährt. Ueppig wachsen zwischen den losen Steinen viele
Pflanzen, deren Blätter und Früchte sie fressen; besonders aber lieben sie die süßen Wurzeln der
Zwergpalme, welche dort sehr häufig ist; zur Abwechselung verzehren sie sonst auch Käfer und
andere Kerbthiere. Manchmal sollen sie auch (ich kann es aber nicht verbürgen) die Felsen herunter-
kommen und die Gärten der Stadt plündern, wenn reifes Obst allzusehr lockt, als daß es nicht ihre
natürliche Liebe zur Einsamkeit besiegen sollte. Man hält sie gewöhnlich für außerordentlich schen
und sagt, daß sie bei dem geringsten Geräusch flüchteten; mein Berichterstatter stellte Dies jedoch in
Abrede und zeigte mir zum Beweise seiner Behauptung einige Felsen, von wo aus sie ihn an dem-
selben Morgen angestiert hatten, ohne durch die Farbe seiner englischen Uniform oder durch seinen

Beſchreibung. Eigenſchaften. Die Affen auf dem Felſen von Gibraltar.

A. G. Smith berichtet im „Zoologiſt‟ (Mai 1862) über ſeine an Ort und Stelle geſammelten
Erfahrungen. Er theilt zunächſt mit, daß das Vorkommen der Thiere in Europa wiederholt in
Zweifel gezogen, ja, als einfältiges Märchen betrachtet und ſelbſt von einem vielfach in Gibraltar
verkehrenden Schiffskapitän geläugnet worden ſei, und verſichert, daß er beinahe ſelbſt allen Glauben
verloren gehabt habe. Aber er wurde eines Beſſern belehrt, als er den Flaggenſtock auf dem Gipfel
des Felſens beſuchte, um ſich an der herrlichen Rundſchau zu laben. Der Flaggenwächter theilte ihm
ganz gelegentlich mit, daß „die Affen im Umzuge begriffen ſeien‟. Sofort zog unſer Gewährsmann
nunmehr die ſorgſamſten Erkundigungen ein, und ihnen danken wir das Nachſtehende.

„Auf dieſem Felſen haben die Affen ſeit unvordenklichen Zeiten Fuß gefaßt; wann aber oder
wie ſie über die See gekommen ſind, iſt nicht leicht zu beſtimmen, und die mauriſche Sage, daß ſie
zwiſchen Gibraltar und Marokko noch jetzt durch einen unterirdiſchen Gang unter der Meerenge ab-
und zugehen, iſt doch etwas gar zu märchenhaft. Gewiß iſt nur, daß ſie da ſind, obſchon bedeutend
an Zahl zurückgebracht, ſo, daß während einiger Jahre die ganze Geſellſchaft ſich auf eine kleine
Bande von vier belief. Man ſieht ſie ſelten; ſobald aber der Wind wechſelt, ändern auch ſie ge-

[Abbildung] Der Magot (Inuus ecaudatus).
wöhnlich ihren Aufenthalt. Weichlich und zärtlich, wie ſie ſind, ſcheuen ſie jede plötzliche Abwechſelung
des Wetters, namentlich das Umſetzen des Windes von Oſt nach Weſt oder umgekehrt, und ſuchen
ſich dagegen zu ſchützen, indem ſie ſich hinter die Felſen ducken. Sie ſind ſehr lebendig und wählen
zu ihrer Wohnung am liebſten die ſteileren Abgründe, wo ſie im ungeſtörten Beſitze vieler Höhlen und
Löcher in dem lockern Felſen ſind. Jedenfalls kann es ihnen nicht ſchwer werden, ſich ihre Nahrung
zu verſchaffen; denn ſie erſcheinen ſehr wohlgenährt. Ueppig wachſen zwiſchen den loſen Steinen viele
Pflanzen, deren Blätter und Früchte ſie freſſen; beſonders aber lieben ſie die ſüßen Wurzeln der
Zwergpalme, welche dort ſehr häufig iſt; zur Abwechſelung verzehren ſie ſonſt auch Käfer und
andere Kerbthiere. Manchmal ſollen ſie auch (ich kann es aber nicht verbürgen) die Felſen herunter-
kommen und die Gärten der Stadt plündern, wenn reifes Obſt allzuſehr lockt, als daß es nicht ihre
natürliche Liebe zur Einſamkeit beſiegen ſollte. Man hält ſie gewöhnlich für außerordentlich ſchen
und ſagt, daß ſie bei dem geringſten Geräuſch flüchteten; mein Berichterſtatter ſtellte Dies jedoch in
Abrede und zeigte mir zum Beweiſe ſeiner Behauptung einige Felſen, von wo aus ſie ihn an dem-
ſelben Morgen angeſtiert hatten, ohne durch die Farbe ſeiner engliſchen Uniform oder durch ſeinen

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[69/0123] Beſchreibung. Eigenſchaften. Die Affen auf dem Felſen von Gibraltar. A. G. Smith berichtet im „Zoologiſt‟ (Mai 1862) über ſeine an Ort und Stelle geſammelten Erfahrungen. Er theilt zunächſt mit, daß das Vorkommen der Thiere in Europa wiederholt in Zweifel gezogen, ja, als einfältiges Märchen betrachtet und ſelbſt von einem vielfach in Gibraltar verkehrenden Schiffskapitän geläugnet worden ſei, und verſichert, daß er beinahe ſelbſt allen Glauben verloren gehabt habe. Aber er wurde eines Beſſern belehrt, als er den Flaggenſtock auf dem Gipfel des Felſens beſuchte, um ſich an der herrlichen Rundſchau zu laben. Der Flaggenwächter theilte ihm ganz gelegentlich mit, daß „die Affen im Umzuge begriffen ſeien‟. Sofort zog unſer Gewährsmann nunmehr die ſorgſamſten Erkundigungen ein, und ihnen danken wir das Nachſtehende. „Auf dieſem Felſen haben die Affen ſeit unvordenklichen Zeiten Fuß gefaßt; wann aber oder wie ſie über die See gekommen ſind, iſt nicht leicht zu beſtimmen, und die mauriſche Sage, daß ſie zwiſchen Gibraltar und Marokko noch jetzt durch einen unterirdiſchen Gang unter der Meerenge ab- und zugehen, iſt doch etwas gar zu märchenhaft. Gewiß iſt nur, daß ſie da ſind, obſchon bedeutend an Zahl zurückgebracht, ſo, daß während einiger Jahre die ganze Geſellſchaft ſich auf eine kleine Bande von vier belief. Man ſieht ſie ſelten; ſobald aber der Wind wechſelt, ändern auch ſie ge- [Abbildung Der Magot (Inuus ecaudatus).] wöhnlich ihren Aufenthalt. Weichlich und zärtlich, wie ſie ſind, ſcheuen ſie jede plötzliche Abwechſelung des Wetters, namentlich das Umſetzen des Windes von Oſt nach Weſt oder umgekehrt, und ſuchen ſich dagegen zu ſchützen, indem ſie ſich hinter die Felſen ducken. Sie ſind ſehr lebendig und wählen zu ihrer Wohnung am liebſten die ſteileren Abgründe, wo ſie im ungeſtörten Beſitze vieler Höhlen und Löcher in dem lockern Felſen ſind. Jedenfalls kann es ihnen nicht ſchwer werden, ſich ihre Nahrung zu verſchaffen; denn ſie erſcheinen ſehr wohlgenährt. Ueppig wachſen zwiſchen den loſen Steinen viele Pflanzen, deren Blätter und Früchte ſie freſſen; beſonders aber lieben ſie die ſüßen Wurzeln der Zwergpalme, welche dort ſehr häufig iſt; zur Abwechſelung verzehren ſie ſonſt auch Käfer und andere Kerbthiere. Manchmal ſollen ſie auch (ich kann es aber nicht verbürgen) die Felſen herunter- kommen und die Gärten der Stadt plündern, wenn reifes Obſt allzuſehr lockt, als daß es nicht ihre natürliche Liebe zur Einſamkeit beſiegen ſollte. Man hält ſie gewöhnlich für außerordentlich ſchen und ſagt, daß ſie bei dem geringſten Geräuſch flüchteten; mein Berichterſtatter ſtellte Dies jedoch in Abrede und zeigte mir zum Beweiſe ſeiner Behauptung einige Felſen, von wo aus ſie ihn an dem- ſelben Morgen angeſtiert hatten, ohne durch die Farbe ſeiner engliſchen Uniform oder durch ſeinen

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/123>, abgerufen am 30.04.2024.