der Vogel im Hofe frei herumlaufen konnte. Erst der Tod des Letztern löste das schöne Verhältniß. Koko war wieder allein und langweilte sich. Nun versuchte er zwar, sich mit gelegentlich vorüber- schleichenden Katzen abzugeben, bekam aber von diesen gewöhnlich Ohrfeigen anstatt Freundschafts- bezeigungen und wurde einmal auch in einen ernsthaften Kampf mit einem bissigen Kater verwickelt, welcher unter entsetzlichem Fauchen, Miauen, Gurgeln und Schreien ausgefochten wurde, aber unent- schieden blieb, wenn er auch mit dem Rückzuge des jedenfalls unversehens gepackten Mausejägers endete.
Ein junger, mutterloser Affe gewährte endlich Kokos Herzen die nöthige Beschäftigung. Gleich als er das kleine Thierchen erblickte, war er außer sich vor Freuden und streckte verlangend die Hände nach ihm aus; wir ließen den Kleinen los und sahen, daß er sofort selbst zu Koko hinlief. Dieser erstickte den angenommmenen Pflegesohn fast mit Freundschaftsbezeigungen, drückte ihn an sich, gurgelte vergnügt und begann dann sogleich die allersorgfältigste Reinigung seines vernachlässigten Fells. Jedes Stäubchen, jeder Stachel, jeder Splitter, welche in jenen kletten-, distel- und dornenreichen
[Abbildung]
Der Mohrenaffe (Ceropithecus oder Cercocebus fuliginosus).
Ländern immer im Felle der Säugethiere hängen bleiben, wurden herausgelesen und weggekratzt. Dann folgte wieder neue Umarmung und andere Beweise der größten Zärtlichkeit. Wenn einer von uns Koko sein Pflegekind entreißen wollte, wurde er wüthend, und wenn wir den Kleinen ihm wirklich abgenommen hatten, traurig und unruhig. Er benahm sich ganz, als ob er ein Weibchen, ja als ob er die Mutter des kleinen Waisenkindes wäre. Dieses hing nun auch mit großer Hingabe an seinem Wohlthäter und gehorchte ihm auf das Wort.
Leider starb dieses Aeffchen trotz aller ihm erwiesenen Sorgfalt schon nach wenig Wochen. Koko war außer sich vor Schmerz. Jch habe oft tiefe Trauer bei Thieren beobachtet, niemals aber in dem Grade, wie sie unser Affe jetzt zeigte. Zuerst nahm er seinen todten Liebling in die Arme, hätschelte und liebkoste ihn, ließ die zärtlichsten Töne hören, setzte ihn dann an seinen bevorzugten Platz an dem Boden, sah ihn immer wieder zusammenbrechen, immer unbeweglich bleiben und brach nun von neuem in wahrhaft herzbrechende Klagen aus. Die Gurgeltöne gewannen einen Ausdruck, den ich
der Vogel im Hofe frei herumlaufen konnte. Erſt der Tod des Letztern löſte das ſchöne Verhältniß. Koko war wieder allein und langweilte ſich. Nun verſuchte er zwar, ſich mit gelegentlich vorüber- ſchleichenden Katzen abzugeben, bekam aber von dieſen gewöhnlich Ohrfeigen anſtatt Freundſchafts- bezeigungen und wurde einmal auch in einen ernſthaften Kampf mit einem biſſigen Kater verwickelt, welcher unter entſetzlichem Fauchen, Miauen, Gurgeln und Schreien ausgefochten wurde, aber unent- ſchieden blieb, wenn er auch mit dem Rückzuge des jedenfalls unverſehens gepackten Mauſejägers endete.
Ein junger, mutterloſer Affe gewährte endlich Kokos Herzen die nöthige Beſchäftigung. Gleich als er das kleine Thierchen erblickte, war er außer ſich vor Freuden und ſtreckte verlangend die Hände nach ihm aus; wir ließen den Kleinen los und ſahen, daß er ſofort ſelbſt zu Koko hinlief. Dieſer erſtickte den angenommmenen Pflegeſohn faſt mit Freundſchaftsbezeigungen, drückte ihn an ſich, gurgelte vergnügt und begann dann ſogleich die allerſorgfältigſte Reinigung ſeines vernachläſſigten Fells. Jedes Stäubchen, jeder Stachel, jeder Splitter, welche in jenen kletten-, diſtel- und dornenreichen
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Der Mohrenaffe (Ceropithecus oder Cercocebus fuliginosus).
Ländern immer im Felle der Säugethiere hängen bleiben, wurden herausgeleſen und weggekratzt. Dann folgte wieder neue Umarmung und andere Beweiſe der größten Zärtlichkeit. Wenn einer von uns Koko ſein Pflegekind entreißen wollte, wurde er wüthend, und wenn wir den Kleinen ihm wirklich abgenommen hatten, traurig und unruhig. Er benahm ſich ganz, als ob er ein Weibchen, ja als ob er die Mutter des kleinen Waiſenkindes wäre. Dieſes hing nun auch mit großer Hingabe an ſeinem Wohlthäter und gehorchte ihm auf das Wort.
Leider ſtarb dieſes Aeffchen trotz aller ihm erwieſenen Sorgfalt ſchon nach wenig Wochen. Koko war außer ſich vor Schmerz. Jch habe oft tiefe Trauer bei Thieren beobachtet, niemals aber in dem Grade, wie ſie unſer Affe jetzt zeigte. Zuerſt nahm er ſeinen todten Liebling in die Arme, hätſchelte und liebkoſte ihn, ließ die zärtlichſten Töne hören, ſetzte ihn dann an ſeinen bevorzugten Platz an dem Boden, ſah ihn immer wieder zuſammenbrechen, immer unbeweglich bleiben und brach nun von neuem in wahrhaft herzbrechende Klagen aus. Die Gurgeltöne gewannen einen Ausdruck, den ich
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Gefangenleben. Freundſchaften. Pflegeluſt. Mutterliebe. Streiche.
der Vogel im Hofe frei herumlaufen konnte. Erſt der Tod des Letztern löſte das ſchöne Verhältniß.
Koko war wieder allein und langweilte ſich. Nun verſuchte er zwar, ſich mit gelegentlich vorüber-
ſchleichenden Katzen abzugeben, bekam aber von dieſen gewöhnlich Ohrfeigen anſtatt Freundſchafts-
bezeigungen und wurde einmal auch in einen ernſthaften Kampf mit einem biſſigen Kater verwickelt,
welcher unter entſetzlichem Fauchen, Miauen, Gurgeln und Schreien ausgefochten wurde, aber unent-
ſchieden blieb, wenn er auch mit dem Rückzuge des jedenfalls unverſehens gepackten Mauſejägers endete.
Ein junger, mutterloſer Affe gewährte endlich Kokos Herzen die nöthige Beſchäftigung. Gleich
als er das kleine Thierchen erblickte, war er außer ſich vor Freuden und ſtreckte verlangend die Hände
nach ihm aus; wir ließen den Kleinen los und ſahen, daß er ſofort ſelbſt zu Koko hinlief. Dieſer
erſtickte den angenommmenen Pflegeſohn faſt mit Freundſchaftsbezeigungen, drückte ihn an ſich, gurgelte
vergnügt und begann dann ſogleich die allerſorgfältigſte Reinigung ſeines vernachläſſigten Fells.
Jedes Stäubchen, jeder Stachel, jeder Splitter, welche in jenen kletten-, diſtel- und dornenreichen
[Abbildung Der Mohrenaffe (Ceropithecus oder Cercocebus fuliginosus).]
Ländern immer im Felle der Säugethiere hängen bleiben, wurden herausgeleſen und weggekratzt.
Dann folgte wieder neue Umarmung und andere Beweiſe der größten Zärtlichkeit. Wenn einer von
uns Koko ſein Pflegekind entreißen wollte, wurde er wüthend, und wenn wir den Kleinen ihm wirklich
abgenommen hatten, traurig und unruhig. Er benahm ſich ganz, als ob er ein Weibchen, ja als ob
er die Mutter des kleinen Waiſenkindes wäre. Dieſes hing nun auch mit großer Hingabe an ſeinem
Wohlthäter und gehorchte ihm auf das Wort.
Leider ſtarb dieſes Aeffchen trotz aller ihm erwieſenen Sorgfalt ſchon nach wenig Wochen. Koko
war außer ſich vor Schmerz. Jch habe oft tiefe Trauer bei Thieren beobachtet, niemals aber in dem
Grade, wie ſie unſer Affe jetzt zeigte. Zuerſt nahm er ſeinen todten Liebling in die Arme, hätſchelte
und liebkoſte ihn, ließ die zärtlichſten Töne hören, ſetzte ihn dann an ſeinen bevorzugten Platz an dem
Boden, ſah ihn immer wieder zuſammenbrechen, immer unbeweglich bleiben und brach nun von
neuem in wahrhaft herzbrechende Klagen aus. Die Gurgeltöne gewannen einen Ausdruck, den ich
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/113>, abgerufen am 23.07.2024.
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