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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Kennzeichnung. Wesen. Heimat. Ein Raubzug. Flucht.
in der oben beschriebenen Weise am Bauche, die Kleinen haben aber noch zum Ueberfluß auch mit
ihrem Schwänzchen ein Häkchen um den Schwanz der Frau Mamma geschlagen. Anfangs nähert sich
die Rotte mit großer Vorsicht, am liebsten, indem sie ihren Weg noch von einem Baumwipfel zum
andern verfolgt. Der alte Herr geht stets voran, die übrige Herde richtet sich nach ihm Schritt für
Schritt und betritt nicht nur dieselben Bäume, sondern sogar dieselben Aeste, wie er. Nicht selten
steigt der vorsichtige Führer auf einen Baum bis in die höchste Spitze hinauf und hält von dort aus
sorgfältige Umschau; wenn das Ergebniß derselben ein günstiges ist, wird es durch beruhigende
Gurgeltöne seinen Unterthanen angezeigt, wenn nicht, die nöthige Warnung gegeben. Von einem dem
Felde nahen Baume steigt die Bande ab, und nun geht es mit rüstigem Springen dem Paradiese zu.
Hier beginnt jetzt eine wirklich beispiellose Thätigkeit. Man deckt sich zunächst für alle Fälle. Rasch
werden einige Maiskolben oder Durrahähren abgerissen, die Körner enthülst und nun mit ihnen die
weiten Backentaschen so voll gepfropft, als nur immer möglich; erst, wenn diese Vorrathskammern
gefüllt sind, gestattet sich die Herde etwas mehr Lässigkeit, zeigt sich aber auch zugleich immer wähle-
rischer, immer heikler in der Auswahl der Nahrung. Jetzt werden alle Aehren und Kolben, nach-
dem sie abgebrochen worden sind, erst sorgsam berochen, und wenn sie, was sehr häufig geschieht, diese
Probe nicht aushalten, sofort ungefressen weggeworfen, und die Vergeudung, welche sich alle Affen
zu schulden kommen lassen, zeigt sich im höchsten Grade. Man darf darauf rechnen, daß von zehn
Kolben erst einer wirklich gefressen wird; in der Regel nehmen die Schlecker blos ein Paar Körner
aus jeder Aehre und werfen das Uebrige weg. Dies ist es eben, welches ihnen den grenzenlosen Haß
der Eingebornen zugezogen hat.

Wenn sich die Affenherde im Fruchtfelde völlig sicher fühlt, erlauben die Mütter ihren Kindern,
sie zu verlassen und mit Jhresgleichen zu spielen. Die strenge Aufsicht, unter welcher alle Kleinen
von ihren Erzieherinnen gehalten werden, endet deshalb jedoch nicht, und jede Affenmutter beobachtet
mit wachsamen Blicken ihren Liebling; keine aber kümmert sich um die Sicherheit der Gesammtheit,
sondern verläßt sich, wie alle übrigen Mitglieder der Bande, ganz auf die Umsicht des Herdenführers.
Dieser erhebt sich selbst während der schmackhaftesten Mahlzeit von Zeit zu Zeit auf die Hinterfüße,
stellt sich aufrecht wie ein Mensch und schaut in die Runde. Nach jeder Umschau hört man beruhigende
Gurgeltöne, wenn er nämlich nichts Unsicheres bemerkt hat; im entgegengesetzten Falle stößt er einen
unnachahmlichen, zitternden oder meckernden Ton zur Warnung aus. Hierauf sammelt sich augen-
blicklich die Schar seiner Untergebenen, jede Mutter ruft ihr Kind zu sich heran, und im Nu sind
Alle zur Flucht bereit; Jeder aber sucht in der Eile noch soviel Futter aufzuraffen, als er nur fort-
bringen zu können glaubt. Jch habe es mehrmals gesehen, daß Affen fünf große Maiskolben mit sich
nahmen. Davon umklammerten sie zwei mit dem rechten Vorderarm, die übrigen nahmen sie in die
drei anderen Hände und zwar so, daß sie beim Gehen mit den Kolben den Boden berührten. Bei
wirklicher Gefahr wird nach und nach mit sauren Mienen alle Last abgeworfen, der letzte Kolben aber
nur, wenn der Verfolger ihnen sehr nahe auf den Leib geht und die Thiere wirklich alle vier Hände
zum Klettern nothwendig haben. Jmmer wendet sich die Flucht dem ersten besten Baume zu. Jch
habe beobachtet, daß die Meerkatzen auch auf ganz einzeln stehende Bäume kletterten, von denen sie
wieder absteigen und weiterfliehen mußten, wenn ich sie dort aufstörte; sowie sie aber einmal den
Wald erreicht haben und wirklich flüchten wollen, sind sie geborgen; denn ihre Gewandtheit im
Klettern ist fast eben so groß, wie die der Langarmaffen. Es scheint kein Hinderniß für sie zu geben,
die furchtbarsten Dornen, die dichtesten Hecken, weit von einander stehende Bäume -- Nichts hält sie
auf. Jeder Sprung wird mit einer Sicherheit ansgeführt, welche uns in größtes Erstaunen setzen muß,
weil kein bei uns heimisches Kletterthier es dem Affen auch nur annähernd nachthun kann. Sie sind
im Stande, mit Hilfe des steuernden Schwanzes noch im Sprunge die von ihnen anfangs beabsichtigte
Richtung in eine andere umzuwandeln; sie fassen, wenn sie einen Ast verfehlten, einen zweiten; sie
werfen sich vom Wipfel des Baumes auf die Spitze eines tiefstehenden Astes und lassen sich weiter
schnellen; sie setzen mit einem Sprunge von dem Wipfel auf die Erde, fliegen gleichsam, über Gräben

Kennzeichnung. Weſen. Heimat. Ein Raubzug. Flucht.
in der oben beſchriebenen Weiſe am Bauche, die Kleinen haben aber noch zum Ueberfluß auch mit
ihrem Schwänzchen ein Häkchen um den Schwanz der Frau Mamma geſchlagen. Anfangs nähert ſich
die Rotte mit großer Vorſicht, am liebſten, indem ſie ihren Weg noch von einem Baumwipfel zum
andern verfolgt. Der alte Herr geht ſtets voran, die übrige Herde richtet ſich nach ihm Schritt für
Schritt und betritt nicht nur dieſelben Bäume, ſondern ſogar dieſelben Aeſte, wie er. Nicht ſelten
ſteigt der vorſichtige Führer auf einen Baum bis in die höchſte Spitze hinauf und hält von dort aus
ſorgfältige Umſchau; wenn das Ergebniß derſelben ein günſtiges iſt, wird es durch beruhigende
Gurgeltöne ſeinen Unterthanen angezeigt, wenn nicht, die nöthige Warnung gegeben. Von einem dem
Felde nahen Baume ſteigt die Bande ab, und nun geht es mit rüſtigem Springen dem Paradieſe zu.
Hier beginnt jetzt eine wirklich beiſpielloſe Thätigkeit. Man deckt ſich zunächſt für alle Fälle. Raſch
werden einige Maiskolben oder Durrahähren abgeriſſen, die Körner enthülſt und nun mit ihnen die
weiten Backentaſchen ſo voll gepfropft, als nur immer möglich; erſt, wenn dieſe Vorrathskammern
gefüllt ſind, geſtattet ſich die Herde etwas mehr Läſſigkeit, zeigt ſich aber auch zugleich immer wähle-
riſcher, immer heikler in der Auswahl der Nahrung. Jetzt werden alle Aehren und Kolben, nach-
dem ſie abgebrochen worden ſind, erſt ſorgſam berochen, und wenn ſie, was ſehr häufig geſchieht, dieſe
Probe nicht aushalten, ſofort ungefreſſen weggeworfen, und die Vergeudung, welche ſich alle Affen
zu ſchulden kommen laſſen, zeigt ſich im höchſten Grade. Man darf darauf rechnen, daß von zehn
Kolben erſt einer wirklich gefreſſen wird; in der Regel nehmen die Schlecker blos ein Paar Körner
aus jeder Aehre und werfen das Uebrige weg. Dies iſt es eben, welches ihnen den grenzenloſen Haß
der Eingebornen zugezogen hat.

Wenn ſich die Affenherde im Fruchtfelde völlig ſicher fühlt, erlauben die Mütter ihren Kindern,
ſie zu verlaſſen und mit Jhresgleichen zu ſpielen. Die ſtrenge Aufſicht, unter welcher alle Kleinen
von ihren Erzieherinnen gehalten werden, endet deshalb jedoch nicht, und jede Affenmutter beobachtet
mit wachſamen Blicken ihren Liebling; keine aber kümmert ſich um die Sicherheit der Geſammtheit,
ſondern verläßt ſich, wie alle übrigen Mitglieder der Bande, ganz auf die Umſicht des Herdenführers.
Dieſer erhebt ſich ſelbſt während der ſchmackhafteſten Mahlzeit von Zeit zu Zeit auf die Hinterfüße,
ſtellt ſich aufrecht wie ein Menſch und ſchaut in die Runde. Nach jeder Umſchau hört man beruhigende
Gurgeltöne, wenn er nämlich nichts Unſicheres bemerkt hat; im entgegengeſetzten Falle ſtößt er einen
unnachahmlichen, zitternden oder meckernden Ton zur Warnung aus. Hierauf ſammelt ſich augen-
blicklich die Schar ſeiner Untergebenen, jede Mutter ruft ihr Kind zu ſich heran, und im Nu ſind
Alle zur Flucht bereit; Jeder aber ſucht in der Eile noch ſoviel Futter aufzuraffen, als er nur fort-
bringen zu können glaubt. Jch habe es mehrmals geſehen, daß Affen fünf große Maiskolben mit ſich
nahmen. Davon umklammerten ſie zwei mit dem rechten Vorderarm, die übrigen nahmen ſie in die
drei anderen Hände und zwar ſo, daß ſie beim Gehen mit den Kolben den Boden berührten. Bei
wirklicher Gefahr wird nach und nach mit ſauren Mienen alle Laſt abgeworfen, der letzte Kolben aber
nur, wenn der Verfolger ihnen ſehr nahe auf den Leib geht und die Thiere wirklich alle vier Hände
zum Klettern nothwendig haben. Jmmer wendet ſich die Flucht dem erſten beſten Baume zu. Jch
habe beobachtet, daß die Meerkatzen auch auf ganz einzeln ſtehende Bäume kletterten, von denen ſie
wieder abſteigen und weiterfliehen mußten, wenn ich ſie dort aufſtörte; ſowie ſie aber einmal den
Wald erreicht haben und wirklich flüchten wollen, ſind ſie geborgen; denn ihre Gewandtheit im
Klettern iſt faſt eben ſo groß, wie die der Langarmaffen. Es ſcheint kein Hinderniß für ſie zu geben,
die furchtbarſten Dornen, die dichteſten Hecken, weit von einander ſtehende Bäume — Nichts hält ſie
auf. Jeder Sprung wird mit einer Sicherheit ansgeführt, welche uns in größtes Erſtaunen ſetzen muß,
weil kein bei uns heimiſches Kletterthier es dem Affen auch nur annähernd nachthun kann. Sie ſind
im Stande, mit Hilfe des ſteuernden Schwanzes noch im Sprunge die von ihnen anfangs beabſichtigte
Richtung in eine andere umzuwandeln; ſie faſſen, wenn ſie einen Aſt verfehlten, einen zweiten; ſie
werfen ſich vom Wipfel des Baumes auf die Spitze eines tiefſtehenden Aſtes und laſſen ſich weiter
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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/107>, abgerufen am 30.04.2024.