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Braun, Karl: Die Vagabundenfrage. Berlin, 1883.

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Schlözer's "Staatsanzeigen", Band XIV, Heft 56, wo sich eine
sehr interessante Beschreibung, Charakteristik und Kritik des
Verhaltens der so zahlreichen Klöster in der Wetterau findet,
wie dieselben durch zweck- und planlose Verabreichung von Al-
mosen an Jeden den Müßiggang gefördert und nicht nur ein-
heimische Bettler großgezogen, sondern auch fremde Vagabunden
angelockt und in ihren "heiligen Schutz" genommen haben.
Gleichwohl haben wir heute wieder Staatsweise, welche die Rück-
kehr zu jenem Zustande der Gebundenheit und der Absperrung
als unfehlbares Mittel gegen die Vagabondage empfehlen.

Wenn wir in unserem heutigen Deutschland wirklich in dem
Sinne, wie es in einheitlichen Staaten der Fall ist, eine einheit-
liche und generelle Landespolizei hätten, dann hätten wir
schon lange nicht mehr den Grad von Vagabondage, den wir
gegenwärtig beklagen. Man könnte dann in einem und dem-
selben Tage oder in einer Nacht unvermutheter Weise eine
Generalstreife über und durch ganz Deutschland machen, etwa
unter der Centralleitung der Berliner Polizei, und ähnlich wie im
Kleinen bei einer Razzia im Berliner Thiergarten, im Großen alle
das fahrende Volk aufbringen, welches der öffentlichen Sicher-
heit gefährlich ist.

Wenn, wie die Dinge heute stehen, eine solche durch-
greifende Maaßregel zur energischen Repression der Vagabon-
dage unmöglich erscheint, so ist das eine Thatsache, die viel-
leicht zu bedauern, die aber mit unseren jetzigen Zuständen un-
trennbar verbunden ist, und für die man gewiß am allerwenig-
sten die wirthschaftlich-freisinnige Bundes- und Reichs-Gesetz-
gebung der Jahre 1867--1876 verantwortlich machen kann.

Endlich wäre noch zu erörtern die Frage der Arbeits-
häuser,
d. h. der Zwangsarbeitsanstalten. Ich weiß, daß bei
uns in Deutschland viele weichherzige Seelen dieses Institut nicht
sehr goutiren. Aber ist es denn am Ende so unvernünftig, daß
der Staat oder der Communalverband zu einem Menschen, der
den öffentlichen Fonds, sei es der Staatsfonds oder der Commu-
nalfonds, zwingt ihn zu ernähren, sagt: "Du zwingst mich,
dich zu ernähren, und deswegen zwinge ich dich, für mich
zu arbeiten?" Warum soll denn der öffentliche Verband, mag es
Staat oder Gemeinde sein, dem Vagabunden gegenüber, der, trotz-
dem er Gelegenheit zur Arbeit hat, sich darauf capricirt zu faul-

Schlözer’s «Staatsanzeigen», Band XIV, Heft 56, wo sich eine
sehr interessante Beschreibung, Charakteristik und Kritik des
Verhaltens der so zahlreichen Klöster in der Wetterau findet,
wie dieselben durch zweck- und planlose Verabreichung von Al-
mosen an Jeden den Müßiggang gefördert und nicht nur ein-
heimische Bettler großgezogen, sondern auch fremde Vagabunden
angelockt und in ihren «heiligen Schutz» genommen haben.
Gleichwohl haben wir heute wieder Staatsweise, welche die Rück-
kehr zu jenem Zustande der Gebundenheit und der Absperrung
als unfehlbares Mittel gegen die Vagabondage empfehlen.

Wenn wir in unserem heutigen Deutschland wirklich in dem
Sinne, wie es in einheitlichen Staaten der Fall ist, eine einheit-
liche und generelle Landespolizei hätten, dann hätten wir
schon lange nicht mehr den Grad von Vagabondage, den wir
gegenwärtig beklagen. Man könnte dann in einem und dem-
selben Tage oder in einer Nacht unvermutheter Weise eine
Generalstreife über und durch ganz Deutschland machen, etwa
unter der Centralleitung der Berliner Polizei, und ähnlich wie im
Kleinen bei einer Razzia im Berliner Thiergarten, im Großen alle
das fahrende Volk aufbringen, welches der öffentlichen Sicher-
heit gefährlich ist.

Wenn, wie die Dinge heute stehen, eine solche durch-
greifende Maaßregel zur energischen Repression der Vagabon-
dage unmöglich erscheint, so ist das eine Thatsache, die viel-
leicht zu bedauern, die aber mit unseren jetzigen Zuständen un-
trennbar verbunden ist, und für die man gewiß am allerwenig-
sten die wirthschaftlich-freisinnige Bundes- und Reichs-Gesetz-
gebung der Jahre 1867—1876 verantwortlich machen kann.

Endlich wäre noch zu erörtern die Frage der Arbeits-
häuser,
d. h. der Zwangsarbeitsanstalten. Ich weiß, daß bei
uns in Deutschland viele weichherzige Seelen dieses Institut nicht
sehr goutiren. Aber ist es denn am Ende so unvernünftig, daß
der Staat oder der Communalverband zu einem Menschen, der
den öffentlichen Fonds, sei es der Staatsfonds oder der Commu-
nalfonds, zwingt ihn zu ernähren, sagt: «Du zwingst mich,
dich zu ernähren, und deswegen zwinge ich dich, für mich
zu arbeiten?» Warum soll denn der öffentliche Verband, mag es
Staat oder Gemeinde sein, dem Vagabunden gegenüber, der, trotz-
dem er Gelegenheit zur Arbeit hat, sich darauf capricirt zu faul-

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[15/0017] Schlözer’s «Staatsanzeigen», Band XIV, Heft 56, wo sich eine sehr interessante Beschreibung, Charakteristik und Kritik des Verhaltens der so zahlreichen Klöster in der Wetterau findet, wie dieselben durch zweck- und planlose Verabreichung von Al- mosen an Jeden den Müßiggang gefördert und nicht nur ein- heimische Bettler großgezogen, sondern auch fremde Vagabunden angelockt und in ihren «heiligen Schutz» genommen haben. Gleichwohl haben wir heute wieder Staatsweise, welche die Rück- kehr zu jenem Zustande der Gebundenheit und der Absperrung als unfehlbares Mittel gegen die Vagabondage empfehlen. Wenn wir in unserem heutigen Deutschland wirklich in dem Sinne, wie es in einheitlichen Staaten der Fall ist, eine einheit- liche und generelle Landespolizei hätten, dann hätten wir schon lange nicht mehr den Grad von Vagabondage, den wir gegenwärtig beklagen. Man könnte dann in einem und dem- selben Tage oder in einer Nacht unvermutheter Weise eine Generalstreife über und durch ganz Deutschland machen, etwa unter der Centralleitung der Berliner Polizei, und ähnlich wie im Kleinen bei einer Razzia im Berliner Thiergarten, im Großen alle das fahrende Volk aufbringen, welches der öffentlichen Sicher- heit gefährlich ist. Wenn, wie die Dinge heute stehen, eine solche durch- greifende Maaßregel zur energischen Repression der Vagabon- dage unmöglich erscheint, so ist das eine Thatsache, die viel- leicht zu bedauern, die aber mit unseren jetzigen Zuständen un- trennbar verbunden ist, und für die man gewiß am allerwenig- sten die wirthschaftlich-freisinnige Bundes- und Reichs-Gesetz- gebung der Jahre 1867—1876 verantwortlich machen kann. Endlich wäre noch zu erörtern die Frage der Arbeits- häuser, d. h. der Zwangsarbeitsanstalten. Ich weiß, daß bei uns in Deutschland viele weichherzige Seelen dieses Institut nicht sehr goutiren. Aber ist es denn am Ende so unvernünftig, daß der Staat oder der Communalverband zu einem Menschen, der den öffentlichen Fonds, sei es der Staatsfonds oder der Commu- nalfonds, zwingt ihn zu ernähren, sagt: «Du zwingst mich, dich zu ernähren, und deswegen zwinge ich dich, für mich zu arbeiten?» Warum soll denn der öffentliche Verband, mag es Staat oder Gemeinde sein, dem Vagabunden gegenüber, der, trotz- dem er Gelegenheit zur Arbeit hat, sich darauf capricirt zu faul-

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Zitationshilfe: Braun, Karl: Die Vagabundenfrage. Berlin, 1883, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braun_vagabundenfrage_1883/17>, abgerufen am 09.11.2024.