Braun, Karl: Die Vagabundenfrage. Berlin, 1883.Erbettelte verzehren und dann Abends schaarenweise in die Ort- Hierdurch wird in solchen Grenzorten der Erfolg des Systems Dieser Mittheilung der württembergischen "Blätter für das Wenn ich mich nach dieser Andeutung wieder der Betrach- Immerhin ist diese Leistung an Naturalien billiger und Erbettelte verzehren und dann Abends schaarenweise in die Ort- Hierdurch wird in solchen Grenzorten der Erfolg des Systems Dieser Mittheilung der württembergischen «Blätter für das Wenn ich mich nach dieser Andeutung wieder der Betrach- Immerhin ist diese Leistung an Naturalien billiger und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0011" n="9"/> Erbettelte verzehren und dann Abends schaarenweise in die Ort-<lb/> schaften derjenigen Bezirke, welche sich auf Naturalverpflegung<lb/> beschränken, einfallen, um freies Nachtquartier und Frühstück<lb/> zu erhalten und alsdann am anderen Tage wieder in die dem<lb/> freien Bettel offen stehenden und Aussicht auf zu «erfechtendes»<lb/> Geld gewährenden Gebiete zurückkehren und so diese angenehme<lb/> Abwechslung zwischen Natural- und Geld-Reichnissen, wie der<lb/> Dichter in seinem berühmten Kukuks-Liede sagt, «mit Grazie in<lb/> infinitum» fortzusetzen beflissen sind.</p><lb/> <p>Hierdurch wird in solchen Grenzorten der Erfolg des Systems<lb/> der Naturalverpflegung gefährdet, ja geradezu illusorisch gemacht;<lb/> und es ist daher nicht zu verwundern, wenn dadurch den Ge-<lb/> meinden und Bezirken, auf welche in der geschilderten Weise<lb/> Seitens ihrer Nachbarn so große Lasten ab- und übergewälzt<lb/> werden, der Muth geraubt wird, den durch das Verhalten ihrer<lb/> Nachbarn erschwerten, ja fast aussichtslos gemachten Kampf<lb/> gegen das übermächtige Vagantenthum fortzusetzen.</p><lb/> <p>Dieser Mittheilung der württembergischen «Blätter für das<lb/> Armenwesen» (Num. 41 vom 14. October 1881, Seite 171), welche<lb/> mir von württembergischen Reichstagsabgeordneten bestätigt<lb/> wird und auch für die Gegenwart noch vollkommen zutrifft, kann<lb/> ich nicht umhin, schon an dieser Stelle die Bemerkung hinzuzu-<lb/> fügen, daß die von allen Seiten anerkannte Schwierigkeit, dieser<lb/> gesellschaftlichen Krankheit zu steuern, ihren Grund zum Theil<lb/> auch darin hat, daß Deutschland in so und so viele einzelne<lb/> Länder und Territorien zersplittert ist, und daß Jeder zunächst<lb/> nur für sich sorgt, ohne eine allgemeine Verpflichtung dem<lb/> Ganzen gegenüber auf allen Gebieten der Verwaltung in dem<lb/> Maaße anzuerkennen, in welchem es wünschenswerth wäre.</p><lb/> <p>Wenn ich mich nach dieser Andeutung wieder der Betrach-<lb/> tung des Württembergischen Systems der Naturalverpflegung<lb/> zuwende, so habe ich noch Folgendes hervorzuheben:</p><lb/> <p>Immerhin ist diese Leistung an Naturalien billiger und<lb/> ersprießlicher, als die Hingabe von Geld. Wie hoch sich die<lb/> letztere in einem Bezirke beläuft, entzieht sich jeder Berech-<lb/> nung, da weder der Geber noch der Empfänger geneigt oder<lb/> im Stande ist, wahrheitsgemäße und zuverläßige Angaben dar-<lb/> über zu machen. Der letztere schon deshalb nicht, weil er<lb/> sonst wegen Bettelns bestraft wird.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [9/0011]
Erbettelte verzehren und dann Abends schaarenweise in die Ort-
schaften derjenigen Bezirke, welche sich auf Naturalverpflegung
beschränken, einfallen, um freies Nachtquartier und Frühstück
zu erhalten und alsdann am anderen Tage wieder in die dem
freien Bettel offen stehenden und Aussicht auf zu «erfechtendes»
Geld gewährenden Gebiete zurückkehren und so diese angenehme
Abwechslung zwischen Natural- und Geld-Reichnissen, wie der
Dichter in seinem berühmten Kukuks-Liede sagt, «mit Grazie in
infinitum» fortzusetzen beflissen sind.
Hierdurch wird in solchen Grenzorten der Erfolg des Systems
der Naturalverpflegung gefährdet, ja geradezu illusorisch gemacht;
und es ist daher nicht zu verwundern, wenn dadurch den Ge-
meinden und Bezirken, auf welche in der geschilderten Weise
Seitens ihrer Nachbarn so große Lasten ab- und übergewälzt
werden, der Muth geraubt wird, den durch das Verhalten ihrer
Nachbarn erschwerten, ja fast aussichtslos gemachten Kampf
gegen das übermächtige Vagantenthum fortzusetzen.
Dieser Mittheilung der württembergischen «Blätter für das
Armenwesen» (Num. 41 vom 14. October 1881, Seite 171), welche
mir von württembergischen Reichstagsabgeordneten bestätigt
wird und auch für die Gegenwart noch vollkommen zutrifft, kann
ich nicht umhin, schon an dieser Stelle die Bemerkung hinzuzu-
fügen, daß die von allen Seiten anerkannte Schwierigkeit, dieser
gesellschaftlichen Krankheit zu steuern, ihren Grund zum Theil
auch darin hat, daß Deutschland in so und so viele einzelne
Länder und Territorien zersplittert ist, und daß Jeder zunächst
nur für sich sorgt, ohne eine allgemeine Verpflichtung dem
Ganzen gegenüber auf allen Gebieten der Verwaltung in dem
Maaße anzuerkennen, in welchem es wünschenswerth wäre.
Wenn ich mich nach dieser Andeutung wieder der Betrach-
tung des Württembergischen Systems der Naturalverpflegung
zuwende, so habe ich noch Folgendes hervorzuheben:
Immerhin ist diese Leistung an Naturalien billiger und
ersprießlicher, als die Hingabe von Geld. Wie hoch sich die
letztere in einem Bezirke beläuft, entzieht sich jeder Berech-
nung, da weder der Geber noch der Empfänger geneigt oder
im Stande ist, wahrheitsgemäße und zuverläßige Angaben dar-
über zu machen. Der letztere schon deshalb nicht, weil er
sonst wegen Bettelns bestraft wird.
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