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Braun, Karl: Die Vagabundenfrage. Berlin, 1883.

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essen, und dann müssen sie wieder fort. Zur Noth bekommen
sie auch ein abgelegtes Kleidungsstück oder dergleichen. Die
Privatmildthätigkeit auf diesem Gebiete aber ist absolut inhibirt;
der Hausbettel darf nicht mehr stattfinden. Die Einwohner des
Ortes oder des Verbandes verpflichten sich, die fahrenden Leute
an diese Behörde zu verweisen. Diese Einrichtung hat die besten
Folgen gehabt; ich muß jedoch bemerken, sie kann solche nur
dann haben, wenn das System unterstützt wird durch die Selbst-
thätigkeit und gewissenhafte Beihülfe Seitens der Privaten
und Verbände, die ja insoweit es leicht haben dem Hausbettel
zu steuern, als sie die Leute an diejenige Stelle verweisen können,
wo diese Verabreichung stattfindet. Mir liegen außer der bereits
empfohlenen Schrift des Herrn Huzel noch verschiedene Num-
mern der Württembergischen Blätter für das Armenwesen, heraus-
gegeben von der Centralleitung der Wohlthätigkeitsvereine in
Württemberg, vor. Auch darin wird diese Einrichtung des
Näheren geschildert, und es ist nicht zu leugnen, daß danach
in denjenigen Oberamtsbezirken, wo diese Einrichtung besteht
-- und es ist das die Mehrzahl -- die Wirkung eine außer-
ordentlich vortheilhafte ist. Wenn früher täglich wenigstens acht
solcher "armen Reisenden" in einer Gemeinde "vorsprachen",
so ist es jetzt höchstens noch einer.

Aber es steht der vollständigen Entfaltung dieser wohl-
thätigen Einrichtung noch der Umstand im Wege, daß sie nicht
allgemeine Geltung hat, daß sie auf dem guten Willen und nicht
auf irgend einer gesetzlichen Anordnung beruht. So geschieht
es denn, daß die Bettler und Vagabunden zuerst den Bezirk ab-
grasen, wo eine solche Einrichtung nicht besteht und da Geld
"zusammenfechten" und nachdem sie dieß zusammengebettelte
Geld vertrunken haben, dann in diejenigen Orte gehen, wo sie
zu essen bekommen. Dies wird auch in dem Bericht der Würt-
temberger Commission eingestanden. Es heißt dort ungefähr so:

Aus allen denjenigen Oberamtsbezirken, deren Nachbar-
bezirke sich noch nicht zur Einführung des Systems der Natural-
verpflegung entschlossen haben, -- und ganz besonders aus den-
jenigen Bezirken, welche an die Nachbarländer Baden, Bayern
und Hohenzollern (Preußen) grenzen, kommt einstimmig die
Klage, daß die Vaganten in den angrenzenden Bezirken, die
keine Naturalverpflegung haben, den Tag über betteln und das

essen, und dann müssen sie wieder fort. Zur Noth bekommen
sie auch ein abgelegtes Kleidungsstück oder dergleichen. Die
Privatmildthätigkeit auf diesem Gebiete aber ist absolut inhibirt;
der Hausbettel darf nicht mehr stattfinden. Die Einwohner des
Ortes oder des Verbandes verpflichten sich, die fahrenden Leute
an diese Behörde zu verweisen. Diese Einrichtung hat die besten
Folgen gehabt; ich muß jedoch bemerken, sie kann solche nur
dann haben, wenn das System unterstützt wird durch die Selbst-
thätigkeit und gewissenhafte Beihülfe Seitens der Privaten
und Verbände, die ja insoweit es leicht haben dem Hausbettel
zu steuern, als sie die Leute an diejenige Stelle verweisen können,
wo diese Verabreichung stattfindet. Mir liegen außer der bereits
empfohlenen Schrift des Herrn Huzel noch verschiedene Num-
mern der Württembergischen Blätter für das Armenwesen, heraus-
gegeben von der Centralleitung der Wohlthätigkeitsvereine in
Württemberg, vor. Auch darin wird diese Einrichtung des
Näheren geschildert, und es ist nicht zu leugnen, daß danach
in denjenigen Oberamtsbezirken, wo diese Einrichtung besteht
— und es ist das die Mehrzahl — die Wirkung eine außer-
ordentlich vortheilhafte ist. Wenn früher täglich wenigstens acht
solcher «armen Reisenden» in einer Gemeinde «vorsprachen»,
so ist es jetzt höchstens noch einer.

Aber es steht der vollständigen Entfaltung dieser wohl-
thätigen Einrichtung noch der Umstand im Wege, daß sie nicht
allgemeine Geltung hat, daß sie auf dem guten Willen und nicht
auf irgend einer gesetzlichen Anordnung beruht. So geschieht
es denn, daß die Bettler und Vagabunden zuerst den Bezirk ab-
grasen, wo eine solche Einrichtung nicht besteht und da Geld
«zusammenfechten» und nachdem sie dieß zusammengebettelte
Geld vertrunken haben, dann in diejenigen Orte gehen, wo sie
zu essen bekommen. Dies wird auch in dem Bericht der Würt-
temberger Commission eingestanden. Es heißt dort ungefähr so:

Aus allen denjenigen Oberamtsbezirken, deren Nachbar-
bezirke sich noch nicht zur Einführung des Systems der Natural-
verpflegung entschlossen haben, — und ganz besonders aus den-
jenigen Bezirken, welche an die Nachbarländer Baden, Bayern
und Hohenzollern (Preußen) grenzen, kommt einstimmig die
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[8/0010] essen, und dann müssen sie wieder fort. Zur Noth bekommen sie auch ein abgelegtes Kleidungsstück oder dergleichen. Die Privatmildthätigkeit auf diesem Gebiete aber ist absolut inhibirt; der Hausbettel darf nicht mehr stattfinden. Die Einwohner des Ortes oder des Verbandes verpflichten sich, die fahrenden Leute an diese Behörde zu verweisen. Diese Einrichtung hat die besten Folgen gehabt; ich muß jedoch bemerken, sie kann solche nur dann haben, wenn das System unterstützt wird durch die Selbst- thätigkeit und gewissenhafte Beihülfe Seitens der Privaten und Verbände, die ja insoweit es leicht haben dem Hausbettel zu steuern, als sie die Leute an diejenige Stelle verweisen können, wo diese Verabreichung stattfindet. Mir liegen außer der bereits empfohlenen Schrift des Herrn Huzel noch verschiedene Num- mern der Württembergischen Blätter für das Armenwesen, heraus- gegeben von der Centralleitung der Wohlthätigkeitsvereine in Württemberg, vor. Auch darin wird diese Einrichtung des Näheren geschildert, und es ist nicht zu leugnen, daß danach in denjenigen Oberamtsbezirken, wo diese Einrichtung besteht — und es ist das die Mehrzahl — die Wirkung eine außer- ordentlich vortheilhafte ist. Wenn früher täglich wenigstens acht solcher «armen Reisenden» in einer Gemeinde «vorsprachen», so ist es jetzt höchstens noch einer. Aber es steht der vollständigen Entfaltung dieser wohl- thätigen Einrichtung noch der Umstand im Wege, daß sie nicht allgemeine Geltung hat, daß sie auf dem guten Willen und nicht auf irgend einer gesetzlichen Anordnung beruht. So geschieht es denn, daß die Bettler und Vagabunden zuerst den Bezirk ab- grasen, wo eine solche Einrichtung nicht besteht und da Geld «zusammenfechten» und nachdem sie dieß zusammengebettelte Geld vertrunken haben, dann in diejenigen Orte gehen, wo sie zu essen bekommen. Dies wird auch in dem Bericht der Würt- temberger Commission eingestanden. Es heißt dort ungefähr so: Aus allen denjenigen Oberamtsbezirken, deren Nachbar- bezirke sich noch nicht zur Einführung des Systems der Natural- verpflegung entschlossen haben, — und ganz besonders aus den- jenigen Bezirken, welche an die Nachbarländer Baden, Bayern und Hohenzollern (Preußen) grenzen, kommt einstimmig die Klage, daß die Vaganten in den angrenzenden Bezirken, die keine Naturalverpflegung haben, den Tag über betteln und das

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Zitationshilfe: Braun, Karl: Die Vagabundenfrage. Berlin, 1883, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braun_vagabundenfrage_1883/10>, abgerufen am 23.11.2024.