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Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903.

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Kein Weib kann sagen, daß der Militarismus, der Marinismus,
die Weltmachtspolitik sie nichts angeht; ein pflichtvergessener Mensch,
eine schlechte Mutter ist sie vielmehr, wenn sie Augen und Ohren
verschließt vor dem, was draußen vorgeht, was über ihr und ihrer
Kinder Wohl und Wehe verhandelt und entschieden wird.

Eine weitere Frage jedoch ist nicht weniger geeignet, gerade
die Frauen aufs tiefste zu erregen: die Erhöhung der
Schutzzölle,
wie sie durch die Annahme des Zolltarif-Gesetzes
durch die Reichstagsmehrheit beschlossen wurde. Jst doch die Folge
keine andere als eine Vertheuerung der Lebensmittel - eine Ver-
theuerung, die nothwendigerweise gerade die Aermsten am härtesten
treffen muß. Sie müssen oft mehr als die Hälfte ihrer Einnahmen
auf die Beschaffung der Lebensmittel verwenden und, um dazu im
Stande zu sein, alle anderen Ausgaben - z. B. die für Kleidung,
Wohnung, Bildung und Erholung - auf das Aeußerste einschränken.
Je reicher die Familie, desto geringer ist der Prozentsatz ihrer Ein-
nahmen, die sie auf die Ernährung verwendet, kann doch selbst der
Schlemmer in Bezug auf die Konsumirung von Lebensmitteln über
eine gewisse Grenze nicht hinaus. Wir sehen daher, daß die Lebens-
mittelzölle in der großen Hauptsache die Armen belasten. Das gilt
vor allem von den Kornzöllen und der Vertheuerung des Brotes,
die sie im Gefolge haben. Mit der Zahl der Kinder und der Ab-
nahme der Einnahmen steigt nachgewiesenermaßen der Brotkonsum.
Schon bei dem alten Zoll von 3,50 Mk. hatte eine Arbeiterfamilie
jährlich etwa 32 Mk. dafür aufzubringen, nach dem Minimalzoll
von 5 Mk. steigert sich diese Summe auf 45 Mk. Bei einem
Jahresverdienst von unter 500 Mk., wie er für 2 1/2 Millionen
Deutsche nachgewiesen wurde, stellt sie einen wesentlichen Theil von
ihm dar; fehlt sie, so bedeutet das nicht, wie für die Wohlhabenden,
die Entbehrung von ein paar kleinen Luxusbedürfnissen, sondern es
bedeutet Noth und Entbehrung selbst. Diese Summe, die die Junker
als etwas ganz Geringfügiges hinstellen, raubt der Proletarier-
familie das bischen Fleisch, das sie noch gewohnt war, raubt ihren
Kindern die schützenden Kleider und den Rest von belebenden
Sonnenschein, der bisher vielleicht noch in ihre Kammer dringen
konnte. Diese Summen bedeuten wochenlange Arbeit, die, wie zur
Zeit des Frohndienstes, für die großen Herren geleistet werden muß.
Und um die schreiende Ungerechtigkeit der Kornzölle noch krasser
hervortreten zu lassen: diese aus dem Schweiß der Aermsten heraus-
gepreßten Summen haben keine andere Folge, als die Taschen der
Reichen zu füllen, denn je begüterter der Großgrundbesitzer ist, in
desto höherem Maße kommen ihm die Erträgnisse der Getreidezölle
zu Gute, während der kleine Bauer, der genöthigt ist, zur Deckung
seines Bedarfs noch Korn zuzukaufen, nichts oder fast nichts davon
zu sehen bekommt, vielmehr selbst zu der Blutsteuer des Volkes sein
Scherflein beitragen muß.


Kein Weib kann sagen, daß der Militarismus, der Marinismus,
die Weltmachtspolitik sie nichts angeht; ein pflichtvergessener Mensch,
eine schlechte Mutter ist sie vielmehr, wenn sie Augen und Ohren
verschließt vor dem, was draußen vorgeht, was über ihr und ihrer
Kinder Wohl und Wehe verhandelt und entschieden wird.

Eine weitere Frage jedoch ist nicht weniger geeignet, gerade
die Frauen aufs tiefste zu erregen: die Erhöhung der
Schutzzölle,
wie sie durch die Annahme des Zolltarif-Gesetzes
durch die Reichstagsmehrheit beschlossen wurde. Jst doch die Folge
keine andere als eine Vertheuerung der Lebensmittel – eine Ver-
theuerung, die nothwendigerweise gerade die Aermsten am härtesten
treffen muß. Sie müssen oft mehr als die Hälfte ihrer Einnahmen
auf die Beschaffung der Lebensmittel verwenden und, um dazu im
Stande zu sein, alle anderen Ausgaben – z. B. die für Kleidung,
Wohnung, Bildung und Erholung – auf das Aeußerste einschränken.
Je reicher die Familie, desto geringer ist der Prozentsatz ihrer Ein-
nahmen, die sie auf die Ernährung verwendet, kann doch selbst der
Schlemmer in Bezug auf die Konsumirung von Lebensmitteln über
eine gewisse Grenze nicht hinaus. Wir sehen daher, daß die Lebens-
mittelzölle in der großen Hauptsache die Armen belasten. Das gilt
vor allem von den Kornzöllen und der Vertheuerung des Brotes,
die sie im Gefolge haben. Mit der Zahl der Kinder und der Ab-
nahme der Einnahmen steigt nachgewiesenermaßen der Brotkonsum.
Schon bei dem alten Zoll von 3,50 Mk. hatte eine Arbeiterfamilie
jährlich etwa 32 Mk. dafür aufzubringen, nach dem Minimalzoll
von 5 Mk. steigert sich diese Summe auf 45 Mk. Bei einem
Jahresverdienst von unter 500 Mk., wie er für 2 ½ Millionen
Deutsche nachgewiesen wurde, stellt sie einen wesentlichen Theil von
ihm dar; fehlt sie, so bedeutet das nicht, wie für die Wohlhabenden,
die Entbehrung von ein paar kleinen Luxusbedürfnissen, sondern es
bedeutet Noth und Entbehrung selbst. Diese Summe, die die Junker
als etwas ganz Geringfügiges hinstellen, raubt der Proletarier-
familie das bischen Fleisch, das sie noch gewohnt war, raubt ihren
Kindern die schützenden Kleider und den Rest von belebenden
Sonnenschein, der bisher vielleicht noch in ihre Kammer dringen
konnte. Diese Summen bedeuten wochenlange Arbeit, die, wie zur
Zeit des Frohndienstes, für die großen Herren geleistet werden muß.
Und um die schreiende Ungerechtigkeit der Kornzölle noch krasser
hervortreten zu lassen: diese aus dem Schweiß der Aermsten heraus-
gepreßten Summen haben keine andere Folge, als die Taschen der
Reichen zu füllen, denn je begüterter der Großgrundbesitzer ist, in
desto höherem Maße kommen ihm die Erträgnisse der Getreidezölle
zu Gute, während der kleine Bauer, der genöthigt ist, zur Deckung
seines Bedarfs noch Korn zuzukaufen, nichts oder fast nichts davon
zu sehen bekommt, vielmehr selbst zu der Blutsteuer des Volkes sein
Scherflein beitragen muß.


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[25/0024] Kein Weib kann sagen, daß der Militarismus, der Marinismus, die Weltmachtspolitik sie nichts angeht; ein pflichtvergessener Mensch, eine schlechte Mutter ist sie vielmehr, wenn sie Augen und Ohren verschließt vor dem, was draußen vorgeht, was über ihr und ihrer Kinder Wohl und Wehe verhandelt und entschieden wird. Eine weitere Frage jedoch ist nicht weniger geeignet, gerade die Frauen aufs tiefste zu erregen: die Erhöhung der Schutzzölle, wie sie durch die Annahme des Zolltarif-Gesetzes durch die Reichstagsmehrheit beschlossen wurde. Jst doch die Folge keine andere als eine Vertheuerung der Lebensmittel – eine Ver- theuerung, die nothwendigerweise gerade die Aermsten am härtesten treffen muß. Sie müssen oft mehr als die Hälfte ihrer Einnahmen auf die Beschaffung der Lebensmittel verwenden und, um dazu im Stande zu sein, alle anderen Ausgaben – z. B. die für Kleidung, Wohnung, Bildung und Erholung – auf das Aeußerste einschränken. Je reicher die Familie, desto geringer ist der Prozentsatz ihrer Ein- nahmen, die sie auf die Ernährung verwendet, kann doch selbst der Schlemmer in Bezug auf die Konsumirung von Lebensmitteln über eine gewisse Grenze nicht hinaus. Wir sehen daher, daß die Lebens- mittelzölle in der großen Hauptsache die Armen belasten. Das gilt vor allem von den Kornzöllen und der Vertheuerung des Brotes, die sie im Gefolge haben. Mit der Zahl der Kinder und der Ab- nahme der Einnahmen steigt nachgewiesenermaßen der Brotkonsum. Schon bei dem alten Zoll von 3,50 Mk. hatte eine Arbeiterfamilie jährlich etwa 32 Mk. dafür aufzubringen, nach dem Minimalzoll von 5 Mk. steigert sich diese Summe auf 45 Mk. Bei einem Jahresverdienst von unter 500 Mk., wie er für 2 ½ Millionen Deutsche nachgewiesen wurde, stellt sie einen wesentlichen Theil von ihm dar; fehlt sie, so bedeutet das nicht, wie für die Wohlhabenden, die Entbehrung von ein paar kleinen Luxusbedürfnissen, sondern es bedeutet Noth und Entbehrung selbst. Diese Summe, die die Junker als etwas ganz Geringfügiges hinstellen, raubt der Proletarier- familie das bischen Fleisch, das sie noch gewohnt war, raubt ihren Kindern die schützenden Kleider und den Rest von belebenden Sonnenschein, der bisher vielleicht noch in ihre Kammer dringen konnte. Diese Summen bedeuten wochenlange Arbeit, die, wie zur Zeit des Frohndienstes, für die großen Herren geleistet werden muß. Und um die schreiende Ungerechtigkeit der Kornzölle noch krasser hervortreten zu lassen: diese aus dem Schweiß der Aermsten heraus- gepreßten Summen haben keine andere Folge, als die Taschen der Reichen zu füllen, denn je begüterter der Großgrundbesitzer ist, in desto höherem Maße kommen ihm die Erträgnisse der Getreidezölle zu Gute, während der kleine Bauer, der genöthigt ist, zur Deckung seines Bedarfs noch Korn zuzukaufen, nichts oder fast nichts davon zu sehen bekommt, vielmehr selbst zu der Blutsteuer des Volkes sein Scherflein beitragen muß.

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Zitationshilfe: Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braun_frauen_1903/24>, abgerufen am 23.11.2024.