Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903.

Bild:
<< vorherige Seite

Für Viele mag es ohne Weiteres einleuchtend sein, daß Arbeiter-
schutz und Arbeiterinnenversicherung in die Lebensinteressen der
Frauen eingreifen und sie daher die Pflicht haben, sich mit ihnen zu
beschäftigen; darüber hinaus aber, so sagen sie, reiche ihr Jnteresse
nicht und dürfe es nicht reichen. Und doch ist es leicht, in jeder
politischen Frage nachzuweisen, daß das Leben der Frauen ebenso
von ihr berührt wird, wie das der Männer. Nur einige der wichtigsten
Fragen seien zum Beweis hierfür herangezogen.

Seit der Gründung des Deutschen Reiches hat die Regierung
im Verein mit den herrschenden Parteien es für nothwendig er-
achtet, ihm alljährlich eine immer kostbarere Rüstung anzulegen, es
bis an die Zähne zu bewaffnen. Die laufenden Ausgaben für das
Landheer, die sich 1872 noch auf 250 Millionen Mark beliefen, sind
bis auf 569 Millionen Mark gestiegen, die für die Marine aber gar
von 12 auf 87 Millionen im Jahre 1902. Rechnen wir die ein-
maligen Ausgaben hinzu, so beträgt der Militäretat jetzt nicht weniger
als 1016 Millionen Mark. Daß diese Steigerung der Ausgaben in
absehbarer Zeit ein Ende nimmt, ist nicht anzunehmen, im Gegen-
theil: wie der Junge sich unter seinen Spielkameraden für den
größten hält, der am meisten Bleisoldaten besitzt, und jeder es dem
anderen darin zuvorthun möchte, so benehmen sich die Nationen
unter einander. Zwar predigt man Frieden und spricht in stimmungs-
vollen Thronreden von den "guten Beziehungen" zu den Nachbar-
staaten, verkündet zuweilen sogar in Momenten geschwellter Ge-
fühle, wie einst der Kaiser von Rußland, die Mär von der all-
gemeinen Abrüstung, - jedes Jahr aber legt man dem Volke immer
längere Rechnungen vor für neue Mordwerkzeuge, neue Schiffe,
neue Uniformen. Kaum hat der eine Staat seine alten Gewehre
durch neue ersetzt, so sucht der andere ihm schon mit noch neueren
zuvorzukommen. Kaum hat der eine Staat seine Flotte um ein
neues Schiff vermehrt, so müssen es bei dem anderen mindestens
zwei sein, um die die seine vermehrt wird. Dieser starke Ausbau
der Flotte unterstützt unwillkürlich die Neigung zu einer Weltpolitik,
die über fremde Erdtheile die Macht Deutschlands auszudehnen
wünscht: es werden Kolonien gegründet, mit gepanzerter Faust
wird in die Geschicke ferner Länder eingegriffen und bei schwarzen
und gelben Völkern wird mit Flinte und Knute "Kultur" und
"Christenthum" verbreitet. Die präsentirte Rechnung hierfür be-
läuft sich auf fast 30 Millionen Mark. Und wer bezahlt all diese
riesigen Summen? Wer anders als die deutschen Steuerzahler,
denen das Geld durch Zölle und Steuern auf die wichtigsten Lebens-
mittel millionenfach aus der Tasche gezogen wird. Sollten die
Frauen so dumm sein, daß sie, weil ihnen diese Steuern nicht in
baarem Gelde abgenommen werben, sondern in den Ausgaben für
den täglichen Hausbedarf enthalten sind, die Last nicht spüren, die
ihnen damit auferlegt wurde? Ach, sie fühlen sie wohl; sie wissen

Für Viele mag es ohne Weiteres einleuchtend sein, daß Arbeiter-
schutz und Arbeiterinnenversicherung in die Lebensinteressen der
Frauen eingreifen und sie daher die Pflicht haben, sich mit ihnen zu
beschäftigen; darüber hinaus aber, so sagen sie, reiche ihr Jnteresse
nicht und dürfe es nicht reichen. Und doch ist es leicht, in jeder
politischen Frage nachzuweisen, daß das Leben der Frauen ebenso
von ihr berührt wird, wie das der Männer. Nur einige der wichtigsten
Fragen seien zum Beweis hierfür herangezogen.

Seit der Gründung des Deutschen Reiches hat die Regierung
im Verein mit den herrschenden Parteien es für nothwendig er-
achtet, ihm alljährlich eine immer kostbarere Rüstung anzulegen, es
bis an die Zähne zu bewaffnen. Die laufenden Ausgaben für das
Landheer, die sich 1872 noch auf 250 Millionen Mark beliefen, sind
bis auf 569 Millionen Mark gestiegen, die für die Marine aber gar
von 12 auf 87 Millionen im Jahre 1902. Rechnen wir die ein-
maligen Ausgaben hinzu, so beträgt der Militäretat jetzt nicht weniger
als 1016 Millionen Mark. Daß diese Steigerung der Ausgaben in
absehbarer Zeit ein Ende nimmt, ist nicht anzunehmen, im Gegen-
theil: wie der Junge sich unter seinen Spielkameraden für den
größten hält, der am meisten Bleisoldaten besitzt, und jeder es dem
anderen darin zuvorthun möchte, so benehmen sich die Nationen
unter einander. Zwar predigt man Frieden und spricht in stimmungs-
vollen Thronreden von den „guten Beziehungen“ zu den Nachbar-
staaten, verkündet zuweilen sogar in Momenten geschwellter Ge-
fühle, wie einst der Kaiser von Rußland, die Mär von der all-
gemeinen Abrüstung, – jedes Jahr aber legt man dem Volke immer
längere Rechnungen vor für neue Mordwerkzeuge, neue Schiffe,
neue Uniformen. Kaum hat der eine Staat seine alten Gewehre
durch neue ersetzt, so sucht der andere ihm schon mit noch neueren
zuvorzukommen. Kaum hat der eine Staat seine Flotte um ein
neues Schiff vermehrt, so müssen es bei dem anderen mindestens
zwei sein, um die die seine vermehrt wird. Dieser starke Ausbau
der Flotte unterstützt unwillkürlich die Neigung zu einer Weltpolitik,
die über fremde Erdtheile die Macht Deutschlands auszudehnen
wünscht: es werden Kolonien gegründet, mit gepanzerter Faust
wird in die Geschicke ferner Länder eingegriffen und bei schwarzen
und gelben Völkern wird mit Flinte und Knute „Kultur“ und
„Christenthum“ verbreitet. Die präsentirte Rechnung hierfür be-
läuft sich auf fast 30 Millionen Mark. Und wer bezahlt all diese
riesigen Summen? Wer anders als die deutschen Steuerzahler,
denen das Geld durch Zölle und Steuern auf die wichtigsten Lebens-
mittel millionenfach aus der Tasche gezogen wird. Sollten die
Frauen so dumm sein, daß sie, weil ihnen diese Steuern nicht in
baarem Gelde abgenommen werben, sondern in den Ausgaben für
den täglichen Hausbedarf enthalten sind, die Last nicht spüren, die
ihnen damit auferlegt wurde? Ach, sie fühlen sie wohl; sie wissen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0022" n="23"/>
          <p>Für Viele mag es ohne Weiteres einleuchtend sein, daß Arbeiter-<lb/>
schutz                         und Arbeiterinnenversicherung in die Lebensinteressen der<lb/>
Frauen                         eingreifen und sie daher die Pflicht haben, sich mit ihnen zu<lb/>
beschäftigen; darüber hinaus aber, so sagen sie, reiche ihr Jnteresse<lb/>
nicht und dürfe es nicht reichen. Und doch ist es leicht, in jeder<lb/>
politischen Frage nachzuweisen, daß das Leben der Frauen ebenso<lb/>
von ihr                         berührt wird, wie das der Männer. Nur einige der wichtigsten<lb/>
Fragen                         seien zum Beweis hierfür herangezogen.</p><lb/>
          <p>Seit der Gründung des Deutschen Reiches hat die Regierung<lb/>
im Verein mit                         den herrschenden Parteien es für nothwendig er-<lb/>
achtet, ihm alljährlich                         eine immer kostbarere Rüstung anzulegen, es<lb/>
bis an die Zähne zu                         bewaffnen. Die laufenden Ausgaben für das<lb/>
Landheer, die sich 1872 noch                         auf 250 Millionen Mark beliefen, sind<lb/>
bis auf 569 Millionen Mark                         gestiegen, die für die Marine aber gar<lb/>
von 12 auf 87 Millionen im Jahre                         1902. Rechnen wir die ein-<lb/>
maligen Ausgaben hinzu, so beträgt der <hi rendition="#b">Militäretat</hi> jetzt nicht weniger<lb/>
als 1016                         Millionen Mark. Daß diese Steigerung der Ausgaben in<lb/>
absehbarer Zeit                         ein Ende nimmt, ist nicht anzunehmen, im Gegen-<lb/>
theil: wie der Junge                         sich unter seinen Spielkameraden für den<lb/>
größten hält, der am meisten                         Bleisoldaten besitzt, und jeder es dem<lb/>
anderen darin zuvorthun möchte,                         so benehmen sich die Nationen<lb/>
unter einander. Zwar predigt man Frieden                         und spricht in stimmungs-<lb/>
vollen Thronreden von den &#x201E;guten                         Beziehungen&#x201C; zu den Nachbar-<lb/>
staaten, verkündet zuweilen sogar                         in Momenten geschwellter Ge-<lb/>
fühle, wie einst der Kaiser von Rußland,                         die Mär von der all-<lb/>
gemeinen Abrüstung, &#x2013; jedes Jahr aber legt                         man dem Volke immer<lb/>
längere Rechnungen vor für neue Mordwerkzeuge, neue                         Schiffe,<lb/>
neue Uniformen. Kaum hat der eine Staat seine alten                         Gewehre<lb/>
durch neue ersetzt, so sucht der andere ihm schon mit noch                         neueren<lb/>
zuvorzukommen. Kaum hat der eine Staat seine Flotte um ein<lb/>
neues Schiff vermehrt, so müssen es bei dem anderen mindestens<lb/>
zwei                         sein, um die die seine vermehrt wird. Dieser starke Ausbau<lb/>
der Flotte                         unterstützt unwillkürlich die Neigung zu einer <hi rendition="#b">Weltpolitik,</hi><lb/>
die über fremde Erdtheile die Macht Deutschlands                         auszudehnen<lb/>
wünscht: es werden Kolonien gegründet, mit gepanzerter                         Faust<lb/>
wird in die Geschicke ferner Länder eingegriffen und bei                         schwarzen<lb/>
und gelben Völkern wird mit Flinte und Knute                         &#x201E;Kultur&#x201C; und<lb/>
&#x201E;Christenthum&#x201C; verbreitet. Die                         präsentirte Rechnung hierfür be-<lb/>
läuft sich auf fast 30 Millionen Mark.                         Und wer bezahlt all diese<lb/>
riesigen Summen? Wer anders als die deutschen                         Steuerzahler,<lb/>
denen das Geld durch Zölle und Steuern auf die                         wichtigsten Lebens-<lb/>
mittel millionenfach aus der Tasche gezogen wird.                         Sollten die<lb/>
Frauen so dumm sein, daß sie, weil ihnen diese Steuern                         nicht in<lb/>
baarem Gelde abgenommen werben, sondern in den Ausgaben                         für<lb/>
den täglichen Hausbedarf enthalten sind, die Last nicht spüren,                         die<lb/>
ihnen damit auferlegt wurde? Ach, sie fühlen sie wohl; sie wissen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0022] Für Viele mag es ohne Weiteres einleuchtend sein, daß Arbeiter- schutz und Arbeiterinnenversicherung in die Lebensinteressen der Frauen eingreifen und sie daher die Pflicht haben, sich mit ihnen zu beschäftigen; darüber hinaus aber, so sagen sie, reiche ihr Jnteresse nicht und dürfe es nicht reichen. Und doch ist es leicht, in jeder politischen Frage nachzuweisen, daß das Leben der Frauen ebenso von ihr berührt wird, wie das der Männer. Nur einige der wichtigsten Fragen seien zum Beweis hierfür herangezogen. Seit der Gründung des Deutschen Reiches hat die Regierung im Verein mit den herrschenden Parteien es für nothwendig er- achtet, ihm alljährlich eine immer kostbarere Rüstung anzulegen, es bis an die Zähne zu bewaffnen. Die laufenden Ausgaben für das Landheer, die sich 1872 noch auf 250 Millionen Mark beliefen, sind bis auf 569 Millionen Mark gestiegen, die für die Marine aber gar von 12 auf 87 Millionen im Jahre 1902. Rechnen wir die ein- maligen Ausgaben hinzu, so beträgt der Militäretat jetzt nicht weniger als 1016 Millionen Mark. Daß diese Steigerung der Ausgaben in absehbarer Zeit ein Ende nimmt, ist nicht anzunehmen, im Gegen- theil: wie der Junge sich unter seinen Spielkameraden für den größten hält, der am meisten Bleisoldaten besitzt, und jeder es dem anderen darin zuvorthun möchte, so benehmen sich die Nationen unter einander. Zwar predigt man Frieden und spricht in stimmungs- vollen Thronreden von den „guten Beziehungen“ zu den Nachbar- staaten, verkündet zuweilen sogar in Momenten geschwellter Ge- fühle, wie einst der Kaiser von Rußland, die Mär von der all- gemeinen Abrüstung, – jedes Jahr aber legt man dem Volke immer längere Rechnungen vor für neue Mordwerkzeuge, neue Schiffe, neue Uniformen. Kaum hat der eine Staat seine alten Gewehre durch neue ersetzt, so sucht der andere ihm schon mit noch neueren zuvorzukommen. Kaum hat der eine Staat seine Flotte um ein neues Schiff vermehrt, so müssen es bei dem anderen mindestens zwei sein, um die die seine vermehrt wird. Dieser starke Ausbau der Flotte unterstützt unwillkürlich die Neigung zu einer Weltpolitik, die über fremde Erdtheile die Macht Deutschlands auszudehnen wünscht: es werden Kolonien gegründet, mit gepanzerter Faust wird in die Geschicke ferner Länder eingegriffen und bei schwarzen und gelben Völkern wird mit Flinte und Knute „Kultur“ und „Christenthum“ verbreitet. Die präsentirte Rechnung hierfür be- läuft sich auf fast 30 Millionen Mark. Und wer bezahlt all diese riesigen Summen? Wer anders als die deutschen Steuerzahler, denen das Geld durch Zölle und Steuern auf die wichtigsten Lebens- mittel millionenfach aus der Tasche gezogen wird. Sollten die Frauen so dumm sein, daß sie, weil ihnen diese Steuern nicht in baarem Gelde abgenommen werben, sondern in den Ausgaben für den täglichen Hausbedarf enthalten sind, die Last nicht spüren, die ihnen damit auferlegt wurde? Ach, sie fühlen sie wohl; sie wissen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2022-08-30T16:52:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Dennis Dietrich: Bearbeitung der digitalen Edition. (2022-08-30T16:52:29Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; I/J in Fraktur: wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/braun_frauen_1903
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/braun_frauen_1903/22
Zitationshilfe: Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braun_frauen_1903/22>, abgerufen am 26.04.2024.