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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831.

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nämlich den Umriß eines Gegenstandes so darzustellen, wie er dem
Auge erscheint, denken wir uns die Zeichnungstafel vor dem Ge-
genstande aufgestellt, und von allen im Umfange des abzuzeichnen-
den Gegenstandes liegenden Puncten grade Linien nach dem Auge
gezogen; diese Linien schneiden die Zeichnungstafel und begrenzen
auf ihr den Raum, den das Bild jenes Gegenstandes einnehmen
muß. Die Hauptregeln der Perspective lassen sich hieraus herleiten.
Es sei z. B. (Fig. 21.) ABCD eine in der horizontalen Ebne
LM gezeichnete Figur, die nun auf der Zeichnungstafel LN per-
spectivisch soll aufgetragen werden, so bezeichnen die nach dem Auge
G gezogenen graden Linien AG, BG, CG, DG, die in E, F,
I, H,
die Tafel schneiden, die Eckpuncte der aufzutragenden Figur.
Sind hier AD und BC Linien, die mit der Ebne der Tafel LN
parallel gehen, so bleiben sie auch in der Zeichnung parallel, sind
dagegen AB, DC, Linien, die auf der Ebne der Tafel LN senk-
recht stehen, so scheinen diese sich in ihren entfernteren Theilen ein-
ander zu nähern. Wenn man von dem Auge G eine Linie senk-
recht auf die Tafel zieht, GK, so ist K der Augenpunct, ein
vorzüglich zu beachtender Punct, gegen welchen zu alle auf die
Ebne der Tafel senkrechten Linien, wie AB, DC, im Bilde auf
der Tafel zusammen laufen. Daß dieses so sei, läßt sich durch fol-
gende Betrachtung übersehen. Je weiter man DC, AB über C
und B hinaus verlängert, desto höher hinauf erstrecken sich die diese
Linien auf der Tafel vorstellenden Abbildungen, aber desto näher
rücken sie auch an einander, weil der immer gleiche Abstand AD,
BC,
in größerer Entfernung kleiner erscheint; wären also AB,
DC,
sehr weit verlängert, so träfen ihre Abbildungen fast völlig
in dem Puncte K zusammen. Auf ähnlichen Gründen beruhen
alle perspectivische Regeln, so daß diese ganze Wissenschaft eine rein
geometrische ist *).

Um eine Zeichnung genau richtig zu sehen, muß man das
Auge in den Punct bringen, wo der Zeichner die Stellung des

*) Handbuch der Perspective von J. A. Eytelwein. Berlin 1810.
Die freie Perspective, erläutert durch practische Aufgaben und Beispiele
hauptsächlich für Architecten und Maler, von J. E. Hummel. Ber-
lin 1824.

naͤmlich den Umriß eines Gegenſtandes ſo darzuſtellen, wie er dem
Auge erſcheint, denken wir uns die Zeichnungstafel vor dem Ge-
genſtande aufgeſtellt, und von allen im Umfange des abzuzeichnen-
den Gegenſtandes liegenden Puncten grade Linien nach dem Auge
gezogen; dieſe Linien ſchneiden die Zeichnungstafel und begrenzen
auf ihr den Raum, den das Bild jenes Gegenſtandes einnehmen
muß. Die Hauptregeln der Perſpective laſſen ſich hieraus herleiten.
Es ſei z. B. (Fig. 21.) ABCD eine in der horizontalen Ebne
LM gezeichnete Figur, die nun auf der Zeichnungstafel LN per-
ſpectiviſch ſoll aufgetragen werden, ſo bezeichnen die nach dem Auge
G gezogenen graden Linien AG, BG, CG, DG, die in E, F,
I, H,
die Tafel ſchneiden, die Eckpuncte der aufzutragenden Figur.
Sind hier AD und BC Linien, die mit der Ebne der Tafel LN
parallel gehen, ſo bleiben ſie auch in der Zeichnung parallel, ſind
dagegen AB, DC, Linien, die auf der Ebne der Tafel LN ſenk-
recht ſtehen, ſo ſcheinen dieſe ſich in ihren entfernteren Theilen ein-
ander zu naͤhern. Wenn man von dem Auge G eine Linie ſenk-
recht auf die Tafel zieht, GK, ſo iſt K der Augenpunct, ein
vorzuͤglich zu beachtender Punct, gegen welchen zu alle auf die
Ebne der Tafel ſenkrechten Linien, wie AB, DC, im Bilde auf
der Tafel zuſammen laufen. Daß dieſes ſo ſei, laͤßt ſich durch fol-
gende Betrachtung uͤberſehen. Je weiter man DC, AB uͤber C
und B hinaus verlaͤngert, deſto hoͤher hinauf erſtrecken ſich die dieſe
Linien auf der Tafel vorſtellenden Abbildungen, aber deſto naͤher
ruͤcken ſie auch an einander, weil der immer gleiche Abſtand AD,
BC,
in groͤßerer Entfernung kleiner erſcheint; waͤren alſo AB,
DC,
ſehr weit verlaͤngert, ſo traͤfen ihre Abbildungen faſt voͤllig
in dem Puncte K zuſammen. Auf aͤhnlichen Gruͤnden beruhen
alle perſpectiviſche Regeln, ſo daß dieſe ganze Wiſſenſchaft eine rein
geometriſche iſt *).

Um eine Zeichnung genau richtig zu ſehen, muß man das
Auge in den Punct bringen, wo der Zeichner die Stellung des

*) Handbuch der Perſpective von J. A. Eytelwein. Berlin 1810.
Die freie Perſpective, erlaͤutert durch practiſche Aufgaben und Beiſpiele
hauptſaͤchlich fuͤr Architecten und Maler, von J. E. Hummel. Ber-
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[58/0072] naͤmlich den Umriß eines Gegenſtandes ſo darzuſtellen, wie er dem Auge erſcheint, denken wir uns die Zeichnungstafel vor dem Ge- genſtande aufgeſtellt, und von allen im Umfange des abzuzeichnen- den Gegenſtandes liegenden Puncten grade Linien nach dem Auge gezogen; dieſe Linien ſchneiden die Zeichnungstafel und begrenzen auf ihr den Raum, den das Bild jenes Gegenſtandes einnehmen muß. Die Hauptregeln der Perſpective laſſen ſich hieraus herleiten. Es ſei z. B. (Fig. 21.) ABCD eine in der horizontalen Ebne LM gezeichnete Figur, die nun auf der Zeichnungstafel LN per- ſpectiviſch ſoll aufgetragen werden, ſo bezeichnen die nach dem Auge G gezogenen graden Linien AG, BG, CG, DG, die in E, F, I, H, die Tafel ſchneiden, die Eckpuncte der aufzutragenden Figur. Sind hier AD und BC Linien, die mit der Ebne der Tafel LN parallel gehen, ſo bleiben ſie auch in der Zeichnung parallel, ſind dagegen AB, DC, Linien, die auf der Ebne der Tafel LN ſenk- recht ſtehen, ſo ſcheinen dieſe ſich in ihren entfernteren Theilen ein- ander zu naͤhern. Wenn man von dem Auge G eine Linie ſenk- recht auf die Tafel zieht, GK, ſo iſt K der Augenpunct, ein vorzuͤglich zu beachtender Punct, gegen welchen zu alle auf die Ebne der Tafel ſenkrechten Linien, wie AB, DC, im Bilde auf der Tafel zuſammen laufen. Daß dieſes ſo ſei, laͤßt ſich durch fol- gende Betrachtung uͤberſehen. Je weiter man DC, AB uͤber C und B hinaus verlaͤngert, deſto hoͤher hinauf erſtrecken ſich die dieſe Linien auf der Tafel vorſtellenden Abbildungen, aber deſto naͤher ruͤcken ſie auch an einander, weil der immer gleiche Abſtand AD, BC, in groͤßerer Entfernung kleiner erſcheint; waͤren alſo AB, DC, ſehr weit verlaͤngert, ſo traͤfen ihre Abbildungen faſt voͤllig in dem Puncte K zuſammen. Auf aͤhnlichen Gruͤnden beruhen alle perſpectiviſche Regeln, ſo daß dieſe ganze Wiſſenſchaft eine rein geometriſche iſt *). Um eine Zeichnung genau richtig zu ſehen, muß man das Auge in den Punct bringen, wo der Zeichner die Stellung des *) Handbuch der Perſpective von J. A. Eytelwein. Berlin 1810. Die freie Perſpective, erlaͤutert durch practiſche Aufgaben und Beiſpiele hauptſaͤchlich fuͤr Architecten und Maler, von J. E. Hummel. Ber- lin 1824.

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre02_1831/72>, abgerufen am 24.11.2024.