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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831.

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Eine zweite Erscheinung, die sich eben so einfach zu erklären
scheint, ist ein zuweilen sichtbarer horizontaler heller Kreis, der
durch die Sonne geht. Man sieht ihn fast immer in Verbindung
mit Nebensonnen. Ein solcher Kreis muß sich zeigen, wenn verti-
cale Schneenadeln in der Luft schweben; denn wenn man einen
vertical gehaltenen Spiegel in allerlei Richtungen, allemal aber so
hält, daß er ein Sonnenbild zeigt bei beständig verticaler Lage, so
erscheint dieses Sonnenbild ebenso hoch über dem Horizonte, als die
Sonne selbst; unzählige solche Spiegel in der Luft schwebend
können überall ein reflectirtes Sonnenlicht und zwar immer in der
scheinbaren Höhe der Sonne geben, also einen hellen Horizontalkreis.
Sind die Nadeln nicht vertical, aber schweben zahlreich in parallelen
und etwas geneigten Richtungen, so muß dieser Kreis etwas von
der horizontalen Lage abweichen; aber da er immer durch die
Sonne geht, so schließt sich in der Nähe der Sonne der aus den
etwas geneigten Nadeln hervorgehende Kreis an den Horizontalkreis
an und verstärkt ihn, und hierin liegt ein Grund, warum der helle
Kreis in der Nähe der Sonne sich lebhafter zeigt. Eine genauere
Untersuchung beweiset, daß bei etwas höherem Stande der Sonne
selbst ziemlich geneigt schwebende Nadeln bis zu erheblichen Entfer-
nungen von der Sonne zu Verstärkung des aus den verticalen
Nadeln hervorgehenden Horizontalkreises beitragen, und vielleicht
ist das ein Grund, warum man ihn im Winter öfter beim Monde
(wenn ich nicht irre,) gesehen hat, als bei der Sonne, weil nämlich
der Mond in der Zeit seines besten Lichtes im Winter hoch steht,
die Sonne aber niedrig.

Dieser horizontale Kreis hat sich nicht selten theilweise mit
dem verticalen Streif zugleich gezeigt, und dann entweder ein
Kreutz dargestellt, in dessen Durchschnittspuncte die Sonne oder der
Mond stand, oder ein Kreutz diesen Gestirnen gegenüber. Die
eben angegebene Erklärung ist auf diese Erscheinung anwendbar,
nur steht ihr das im Wege, daß wir bei der Erscheinung des
Kreutzes horizontalschwebende und verticalschwebende Nadeln zu-
gleich annehmen müssen. Ohne diese Schwierigkeit ableugnen zu
wollen, glaube ich doch, daß das so sehr Genügende jener Erklärung
uns berechtigt, ihr getreu zu bleiben, und daß wir die Vermuthung,
es möge in einer Luftschichte die eine Lage der Nadeln, in einer

Eine zweite Erſcheinung, die ſich eben ſo einfach zu erklaͤren
ſcheint, iſt ein zuweilen ſichtbarer horizontaler heller Kreis, der
durch die Sonne geht. Man ſieht ihn faſt immer in Verbindung
mit Nebenſonnen. Ein ſolcher Kreis muß ſich zeigen, wenn verti-
cale Schneenadeln in der Luft ſchweben; denn wenn man einen
vertical gehaltenen Spiegel in allerlei Richtungen, allemal aber ſo
haͤlt, daß er ein Sonnenbild zeigt bei beſtaͤndig verticaler Lage, ſo
erſcheint dieſes Sonnenbild ebenſo hoch uͤber dem Horizonte, als die
Sonne ſelbſt; unzaͤhlige ſolche Spiegel in der Luft ſchwebend
koͤnnen uͤberall ein reflectirtes Sonnenlicht und zwar immer in der
ſcheinbaren Hoͤhe der Sonne geben, alſo einen hellen Horizontalkreis.
Sind die Nadeln nicht vertical, aber ſchweben zahlreich in parallelen
und etwas geneigten Richtungen, ſo muß dieſer Kreis etwas von
der horizontalen Lage abweichen; aber da er immer durch die
Sonne geht, ſo ſchließt ſich in der Naͤhe der Sonne der aus den
etwas geneigten Nadeln hervorgehende Kreis an den Horizontalkreis
an und verſtaͤrkt ihn, und hierin liegt ein Grund, warum der helle
Kreis in der Naͤhe der Sonne ſich lebhafter zeigt. Eine genauere
Unterſuchung beweiſet, daß bei etwas hoͤherem Stande der Sonne
ſelbſt ziemlich geneigt ſchwebende Nadeln bis zu erheblichen Entfer-
nungen von der Sonne zu Verſtaͤrkung des aus den verticalen
Nadeln hervorgehenden Horizontalkreiſes beitragen, und vielleicht
iſt das ein Grund, warum man ihn im Winter oͤfter beim Monde
(wenn ich nicht irre,) geſehen hat, als bei der Sonne, weil naͤmlich
der Mond in der Zeit ſeines beſten Lichtes im Winter hoch ſteht,
die Sonne aber niedrig.

Dieſer horizontale Kreis hat ſich nicht ſelten theilweiſe mit
dem verticalen Streif zugleich gezeigt, und dann entweder ein
Kreutz dargeſtellt, in deſſen Durchſchnittspuncte die Sonne oder der
Mond ſtand, oder ein Kreutz dieſen Geſtirnen gegenuͤber. Die
eben angegebene Erklaͤrung iſt auf dieſe Erſcheinung anwendbar,
nur ſteht ihr das im Wege, daß wir bei der Erſcheinung des
Kreutzes horizontalſchwebende und verticalſchwebende Nadeln zu-
gleich annehmen muͤſſen. Ohne dieſe Schwierigkeit ableugnen zu
wollen, glaube ich doch, daß das ſo ſehr Genuͤgende jener Erklaͤrung
uns berechtigt, ihr getreu zu bleiben, und daß wir die Vermuthung,
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[206/0220] Eine zweite Erſcheinung, die ſich eben ſo einfach zu erklaͤren ſcheint, iſt ein zuweilen ſichtbarer horizontaler heller Kreis, der durch die Sonne geht. Man ſieht ihn faſt immer in Verbindung mit Nebenſonnen. Ein ſolcher Kreis muß ſich zeigen, wenn verti- cale Schneenadeln in der Luft ſchweben; denn wenn man einen vertical gehaltenen Spiegel in allerlei Richtungen, allemal aber ſo haͤlt, daß er ein Sonnenbild zeigt bei beſtaͤndig verticaler Lage, ſo erſcheint dieſes Sonnenbild ebenſo hoch uͤber dem Horizonte, als die Sonne ſelbſt; unzaͤhlige ſolche Spiegel in der Luft ſchwebend koͤnnen uͤberall ein reflectirtes Sonnenlicht und zwar immer in der ſcheinbaren Hoͤhe der Sonne geben, alſo einen hellen Horizontalkreis. Sind die Nadeln nicht vertical, aber ſchweben zahlreich in parallelen und etwas geneigten Richtungen, ſo muß dieſer Kreis etwas von der horizontalen Lage abweichen; aber da er immer durch die Sonne geht, ſo ſchließt ſich in der Naͤhe der Sonne der aus den etwas geneigten Nadeln hervorgehende Kreis an den Horizontalkreis an und verſtaͤrkt ihn, und hierin liegt ein Grund, warum der helle Kreis in der Naͤhe der Sonne ſich lebhafter zeigt. Eine genauere Unterſuchung beweiſet, daß bei etwas hoͤherem Stande der Sonne ſelbſt ziemlich geneigt ſchwebende Nadeln bis zu erheblichen Entfer- nungen von der Sonne zu Verſtaͤrkung des aus den verticalen Nadeln hervorgehenden Horizontalkreiſes beitragen, und vielleicht iſt das ein Grund, warum man ihn im Winter oͤfter beim Monde (wenn ich nicht irre,) geſehen hat, als bei der Sonne, weil naͤmlich der Mond in der Zeit ſeines beſten Lichtes im Winter hoch ſteht, die Sonne aber niedrig. Dieſer horizontale Kreis hat ſich nicht ſelten theilweiſe mit dem verticalen Streif zugleich gezeigt, und dann entweder ein Kreutz dargeſtellt, in deſſen Durchſchnittspuncte die Sonne oder der Mond ſtand, oder ein Kreutz dieſen Geſtirnen gegenuͤber. Die eben angegebene Erklaͤrung iſt auf dieſe Erſcheinung anwendbar, nur ſteht ihr das im Wege, daß wir bei der Erſcheinung des Kreutzes horizontalſchwebende und verticalſchwebende Nadeln zu- gleich annehmen muͤſſen. Ohne dieſe Schwierigkeit ableugnen zu wollen, glaube ich doch, daß das ſo ſehr Genuͤgende jener Erklaͤrung uns berechtigt, ihr getreu zu bleiben, und daß wir die Vermuthung, es moͤge in einer Luftſchichte die eine Lage der Nadeln, in einer

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre02_1831/220>, abgerufen am 11.05.2024.