Ocular gegen das Bild des nähern Gegenstandes eben die Stellung, wie vorhin für das Bild des entferntern Gegenstandes erhalte; das Bild des nähern Gegenstandes liegt weiter vom Objectivglase ent- fernt, als das Bild des entfernteren, man muß daher auch das Ocular immer weiter herausziehen, je näher der zu beobachtende Gegenstand ist.
Eine dritte Bemerkung betrifft die Abmessung oder Schätzung der Vergrößerung. Man hört oft von denen, die selten ein Fern- rohr gebrauchen, die Bemerkung, daß sie durch das Fernrohr sehend, den Mond gar nicht so erheblich vergrößert sehen, daß sie sich die Vergrößerung auffallender gedacht haben. Dieses Urtheil findet nur statt, wenn dem durch das Fernrohr sehenden Auge alle Ver- gleichung mit den ohne Vergrößerung gesehenen Gegenständen fehlt. Wer sich daher von der Stärke der Vergrößerung auch nur obenhin überzeugen will, dem muß man anrathen, während er mit dem einen Auge den Mond im Fernrohre deutlich sieht, das andre Auge zu öffnen, und Achtung zu geben, daß das Bild des Mondes in jenem Auge eine ganze Wand, die das andre Auge wahrnimmt, zu bedecken scheint. Dieses Mittel, das auch bei Gegenständen auf der Erde anzuwenden ist, kann sogar zu Bestimmung des Grades der Vergrößerung dienen, wenn man den Sehewinkel, un- ter welchem so das Bild im Fernrohre erscheint, ungefähr abzu- messen sucht. Bei Vergrößerungen, die nicht viel über das Zwanzig- malige gehen, pflegt man dieses Mittel wohl so anzuwenden, daß man mit dem einen Auge durch das Fernrohr, und mit dem andern unbewaffneten Auge zugleich auch nach einem Ziegeldache sieht; dann sieht man das vergrößerte Bild einzelner Ziegel vor dem mit dem freien Auge gesehenen Dache schweben, und gewöhnt sich bei einiger Uebung leicht, beide Erscheinungen so wahrzuneh- men, daß man strenge angeben kann, daß zum Beispiel drei ver- größerte Ziegel die ganze Länge des Daches scheinbar bedecken; findet man nun, daß das Dach 60 Ziegel enthält, also die natürliche scheinbare Größe von 60 Ziegeln der vergrößerten von drei Ziegeln gleich ist, so vergrößert das Fernrohr 20 mal.
Um einem Beobachter, der an Fernröhre nicht sehr gewöhnt ist, die Güte eines Fernrohres kenntlich zu machen, ist es nur in den seltensten Fällen rathsam, sein Auge auf einen Meilen weit
Ocular gegen das Bild des naͤhern Gegenſtandes eben die Stellung, wie vorhin fuͤr das Bild des entferntern Gegenſtandes erhalte; das Bild des naͤhern Gegenſtandes liegt weiter vom Objectivglaſe ent- fernt, als das Bild des entfernteren, man muß daher auch das Ocular immer weiter herausziehen, je naͤher der zu beobachtende Gegenſtand iſt.
Eine dritte Bemerkung betrifft die Abmeſſung oder Schaͤtzung der Vergroͤßerung. Man hoͤrt oft von denen, die ſelten ein Fern- rohr gebrauchen, die Bemerkung, daß ſie durch das Fernrohr ſehend, den Mond gar nicht ſo erheblich vergroͤßert ſehen, daß ſie ſich die Vergroͤßerung auffallender gedacht haben. Dieſes Urtheil findet nur ſtatt, wenn dem durch das Fernrohr ſehenden Auge alle Ver- gleichung mit den ohne Vergroͤßerung geſehenen Gegenſtaͤnden fehlt. Wer ſich daher von der Staͤrke der Vergroͤßerung auch nur obenhin uͤberzeugen will, dem muß man anrathen, waͤhrend er mit dem einen Auge den Mond im Fernrohre deutlich ſieht, das andre Auge zu oͤffnen, und Achtung zu geben, daß das Bild des Mondes in jenem Auge eine ganze Wand, die das andre Auge wahrnimmt, zu bedecken ſcheint. Dieſes Mittel, das auch bei Gegenſtaͤnden auf der Erde anzuwenden iſt, kann ſogar zu Beſtimmung des Grades der Vergroͤßerung dienen, wenn man den Sehewinkel, un- ter welchem ſo das Bild im Fernrohre erſcheint, ungefaͤhr abzu- meſſen ſucht. Bei Vergroͤßerungen, die nicht viel uͤber das Zwanzig- malige gehen, pflegt man dieſes Mittel wohl ſo anzuwenden, daß man mit dem einen Auge durch das Fernrohr, und mit dem andern unbewaffneten Auge zugleich auch nach einem Ziegeldache ſieht; dann ſieht man das vergroͤßerte Bild einzelner Ziegel vor dem mit dem freien Auge geſehenen Dache ſchweben, und gewoͤhnt ſich bei einiger Uebung leicht, beide Erſcheinungen ſo wahrzuneh- men, daß man ſtrenge angeben kann, daß zum Beiſpiel drei ver- groͤßerte Ziegel die ganze Laͤnge des Daches ſcheinbar bedecken; findet man nun, daß das Dach 60 Ziegel enthaͤlt, alſo die natuͤrliche ſcheinbare Groͤße von 60 Ziegeln der vergroͤßerten von drei Ziegeln gleich iſt, ſo vergroͤßert das Fernrohr 20 mal.
Um einem Beobachter, der an Fernroͤhre nicht ſehr gewoͤhnt iſt, die Guͤte eines Fernrohres kenntlich zu machen, iſt es nur in den ſeltenſten Faͤllen rathſam, ſein Auge auf einen Meilen weit
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Ocular gegen das Bild des naͤhern Gegenſtandes eben die Stellung,
wie vorhin fuͤr das Bild des entferntern Gegenſtandes erhalte; das
Bild des naͤhern Gegenſtandes liegt weiter vom Objectivglaſe ent-
fernt, als das Bild des entfernteren, man muß daher auch das
Ocular immer weiter herausziehen, je naͤher der zu beobachtende
Gegenſtand iſt.
Eine dritte Bemerkung betrifft die Abmeſſung oder Schaͤtzung
der Vergroͤßerung. Man hoͤrt oft von denen, die ſelten ein Fern-
rohr gebrauchen, die Bemerkung, daß ſie durch das Fernrohr ſehend,
den Mond gar nicht ſo erheblich vergroͤßert ſehen, daß ſie ſich die
Vergroͤßerung auffallender gedacht haben. Dieſes Urtheil findet
nur ſtatt, wenn dem durch das Fernrohr ſehenden Auge alle Ver-
gleichung mit den ohne Vergroͤßerung geſehenen Gegenſtaͤnden
fehlt. Wer ſich daher von der Staͤrke der Vergroͤßerung auch nur
obenhin uͤberzeugen will, dem muß man anrathen, waͤhrend er mit
dem einen Auge den Mond im Fernrohre deutlich ſieht, das andre
Auge zu oͤffnen, und Achtung zu geben, daß das Bild des Mondes
in jenem Auge eine ganze Wand, die das andre Auge wahrnimmt,
zu bedecken ſcheint. Dieſes Mittel, das auch bei Gegenſtaͤnden
auf der Erde anzuwenden iſt, kann ſogar zu Beſtimmung des
Grades der Vergroͤßerung dienen, wenn man den Sehewinkel, un-
ter welchem ſo das Bild im Fernrohre erſcheint, ungefaͤhr abzu-
meſſen ſucht. Bei Vergroͤßerungen, die nicht viel uͤber das Zwanzig-
malige gehen, pflegt man dieſes Mittel wohl ſo anzuwenden, daß
man mit dem einen Auge durch das Fernrohr, und mit dem
andern unbewaffneten Auge zugleich auch nach einem Ziegeldache
ſieht; dann ſieht man das vergroͤßerte Bild einzelner Ziegel vor
dem mit dem freien Auge geſehenen Dache ſchweben, und gewoͤhnt
ſich bei einiger Uebung leicht, beide Erſcheinungen ſo wahrzuneh-
men, daß man ſtrenge angeben kann, daß zum Beiſpiel drei ver-
groͤßerte Ziegel die ganze Laͤnge des Daches ſcheinbar bedecken; findet
man nun, daß das Dach 60 Ziegel enthaͤlt, alſo die natuͤrliche
ſcheinbare Groͤße von 60 Ziegeln der vergroͤßerten von drei Ziegeln
gleich iſt, ſo vergroͤßert das Fernrohr 20 mal.
Um einem Beobachter, der an Fernroͤhre nicht ſehr gewoͤhnt
iſt, die Guͤte eines Fernrohres kenntlich zu machen, iſt es nur in
den ſeltenſten Faͤllen rathſam, ſein Auge auf einen Meilen weit
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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre02_1831/163>, abgerufen am 21.11.2024.
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