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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831.

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besitzt. Das gesunde Auge muß, vorzüglich im jugendlichen Alter,
fähig sein, Gegenstände in 6 Zoll Entfernung und nach einem
kurzen Zwischenraume von Zeit höchst entfernte Gegenstände deut-
lich zu sehen, und es besitzt daher die Fähigkeit, in wenigen Au-
genblicken diese Veränderung, die das Nahesehen und das Fernse-
hen fordert, zu bewirken. Diese Fähigkeit geht oft schon in frühem
Alter durch Verwöhnung verlohren, wenn Kinder oder junge
Leute unaufhörlich auf eine nahe an das Auge gehaltene Arbeit
sehen und nicht abwechselnd ihr Auge auch üben, in die Ferne
zu sehen; aber auch durch eine allmählige Veränderung des Auges
im spätern Alter, oft auch plötzlich durch Augenkrankheit wird eine
solche Veränderung des Auges herbei geführt. Um diesem Nach-
theile, daß das Auge nur für die Ferne oder nur für die Nähe
brauchbar ist, abzuhelfen, dienen die Brillen.

Wenn in einem etwas weiter vorrückenden Alter, oft schon
im 45ten bis 50ten Jahre, die Feuchtigkeiten im Auge sich vermin-
dern und Linse und Hornhaut eine etwas weniger convexe Form
annehmen, so wird das Auge fernsichtig. Die Brechung ist bei
dieser Form des Auges nicht stark genug, um die von nahen Ge-
genständen kommenden Lichtstrahlen schon auf der Netzhaut zu ver-
einigen, sondern das Bild würde erst in größerer Entfernung ent-
stehen, und die auf der Netzhaut noch nicht gesammelten Strahlen
bringen dort ein ebenso undeutliches Bild hervor, wie es sich uns
zeigt, wenn wir ein convexes Glas, um das Bild an der Wand
darzustellen, dieser zu sehr nähern. Eine Brille mit convexen Gläsern
macht ein fernsichtiges Auge fähig, nahe Gegenstände gut zu sehen;
denn wenn der zu betrachtende Gegenstand sich im Brennpuncte
des Glases befindet, so werden die von ihm ausgehenden Strahlen
so gebrochen, daß sie parallel ins Auge kommen, und nun im Auge
ebenso, als ob sie von einem sehr entfernten Puncte kämen, ver-
einigt werden. Daß der Fehler der Fernsichtigkeit einzutreten an-
fängt, bemerkt man daran, daß man, um etwas zu lesen, das
Buch weiter als gewöhnlich vom Auge entfernen muß, daß man
bei mäßiger Erleuchtung gar nicht mehr im Stande ist, eine in ge-
wöhnlicher Entfernung gehaltene Schrift zu lesen, daß man daher
endlich es nöthig findet, das Buch, in welchem man lesen will,
hinter das Licht zu halten. Wenn diese Umstände eintreten, so ist

beſitzt. Das geſunde Auge muß, vorzuͤglich im jugendlichen Alter,
faͤhig ſein, Gegenſtaͤnde in 6 Zoll Entfernung und nach einem
kurzen Zwiſchenraume von Zeit hoͤchſt entfernte Gegenſtaͤnde deut-
lich zu ſehen, und es beſitzt daher die Faͤhigkeit, in wenigen Au-
genblicken dieſe Veraͤnderung, die das Naheſehen und das Fernſe-
hen fordert, zu bewirken. Dieſe Faͤhigkeit geht oft ſchon in fruͤhem
Alter durch Verwoͤhnung verlohren, wenn Kinder oder junge
Leute unaufhoͤrlich auf eine nahe an das Auge gehaltene Arbeit
ſehen und nicht abwechſelnd ihr Auge auch uͤben, in die Ferne
zu ſehen; aber auch durch eine allmaͤhlige Veraͤnderung des Auges
im ſpaͤtern Alter, oft auch ploͤtzlich durch Augenkrankheit wird eine
ſolche Veraͤnderung des Auges herbei gefuͤhrt. Um dieſem Nach-
theile, daß das Auge nur fuͤr die Ferne oder nur fuͤr die Naͤhe
brauchbar iſt, abzuhelfen, dienen die Brillen.

Wenn in einem etwas weiter vorruͤckenden Alter, oft ſchon
im 45ten bis 50ten Jahre, die Feuchtigkeiten im Auge ſich vermin-
dern und Linſe und Hornhaut eine etwas weniger convexe Form
annehmen, ſo wird das Auge fernſichtig. Die Brechung iſt bei
dieſer Form des Auges nicht ſtark genug, um die von nahen Ge-
genſtaͤnden kommenden Lichtſtrahlen ſchon auf der Netzhaut zu ver-
einigen, ſondern das Bild wuͤrde erſt in groͤßerer Entfernung ent-
ſtehen, und die auf der Netzhaut noch nicht geſammelten Strahlen
bringen dort ein ebenſo undeutliches Bild hervor, wie es ſich uns
zeigt, wenn wir ein convexes Glas, um das Bild an der Wand
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macht ein fernſichtiges Auge faͤhig, nahe Gegenſtaͤnde gut zu ſehen;
denn wenn der zu betrachtende Gegenſtand ſich im Brennpuncte
des Glaſes befindet, ſo werden die von ihm ausgehenden Strahlen
ſo gebrochen, daß ſie parallel ins Auge kommen, und nun im Auge
ebenſo, als ob ſie von einem ſehr entfernten Puncte kaͤmen, ver-
einigt werden. Daß der Fehler der Fernſichtigkeit einzutreten an-
faͤngt, bemerkt man daran, daß man, um etwas zu leſen, das
Buch weiter als gewoͤhnlich vom Auge entfernen muß, daß man
bei maͤßiger Erleuchtung gar nicht mehr im Stande iſt, eine in ge-
woͤhnlicher Entfernung gehaltene Schrift zu leſen, daß man daher
endlich es noͤthig findet, das Buch, in welchem man leſen will,
hinter das Licht zu halten. Wenn dieſe Umſtaͤnde eintreten, ſo iſt

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[132/0146] beſitzt. Das geſunde Auge muß, vorzuͤglich im jugendlichen Alter, faͤhig ſein, Gegenſtaͤnde in 6 Zoll Entfernung und nach einem kurzen Zwiſchenraume von Zeit hoͤchſt entfernte Gegenſtaͤnde deut- lich zu ſehen, und es beſitzt daher die Faͤhigkeit, in wenigen Au- genblicken dieſe Veraͤnderung, die das Naheſehen und das Fernſe- hen fordert, zu bewirken. Dieſe Faͤhigkeit geht oft ſchon in fruͤhem Alter durch Verwoͤhnung verlohren, wenn Kinder oder junge Leute unaufhoͤrlich auf eine nahe an das Auge gehaltene Arbeit ſehen und nicht abwechſelnd ihr Auge auch uͤben, in die Ferne zu ſehen; aber auch durch eine allmaͤhlige Veraͤnderung des Auges im ſpaͤtern Alter, oft auch ploͤtzlich durch Augenkrankheit wird eine ſolche Veraͤnderung des Auges herbei gefuͤhrt. Um dieſem Nach- theile, daß das Auge nur fuͤr die Ferne oder nur fuͤr die Naͤhe brauchbar iſt, abzuhelfen, dienen die Brillen. Wenn in einem etwas weiter vorruͤckenden Alter, oft ſchon im 45ten bis 50ten Jahre, die Feuchtigkeiten im Auge ſich vermin- dern und Linſe und Hornhaut eine etwas weniger convexe Form annehmen, ſo wird das Auge fernſichtig. Die Brechung iſt bei dieſer Form des Auges nicht ſtark genug, um die von nahen Ge- genſtaͤnden kommenden Lichtſtrahlen ſchon auf der Netzhaut zu ver- einigen, ſondern das Bild wuͤrde erſt in groͤßerer Entfernung ent- ſtehen, und die auf der Netzhaut noch nicht geſammelten Strahlen bringen dort ein ebenſo undeutliches Bild hervor, wie es ſich uns zeigt, wenn wir ein convexes Glas, um das Bild an der Wand darzuſtellen, dieſer zu ſehr naͤhern. Eine Brille mit convexen Glaͤſern macht ein fernſichtiges Auge faͤhig, nahe Gegenſtaͤnde gut zu ſehen; denn wenn der zu betrachtende Gegenſtand ſich im Brennpuncte des Glaſes befindet, ſo werden die von ihm ausgehenden Strahlen ſo gebrochen, daß ſie parallel ins Auge kommen, und nun im Auge ebenſo, als ob ſie von einem ſehr entfernten Puncte kaͤmen, ver- einigt werden. Daß der Fehler der Fernſichtigkeit einzutreten an- faͤngt, bemerkt man daran, daß man, um etwas zu leſen, das Buch weiter als gewoͤhnlich vom Auge entfernen muß, daß man bei maͤßiger Erleuchtung gar nicht mehr im Stande iſt, eine in ge- woͤhnlicher Entfernung gehaltene Schrift zu leſen, daß man daher endlich es noͤthig findet, das Buch, in welchem man leſen will, hinter das Licht zu halten. Wenn dieſe Umſtaͤnde eintreten, ſo iſt

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre02_1831/146>, abgerufen am 25.11.2024.