und giebt unsrer Thätigkeit eine sichere Richtung. Ein einziger Blick lehrt uns, oft bis auf Meilen weit, die Gefahren, die wir vermeiden, das Ziel, das wir erreichen wollen, kennen. Und wie oft schwelgt unser Auge im Genusse des Sehens! Der um uns blühende Frühling, das Blau des Himmels, die Pracht der Abend- röthe, der Himmel voll Sterne, und endlich der beredte Blick eines geistreichen Auges! -- Das alles, Unzähliges, das uns er- freut und erhebt, wahrzunehmen, verdanken wir dem Auge!
Wie diese Empfindung des Sehens hervorgebracht wird, das zu erklären, ist das Bestreben der Naturlehre, und dieses Bestre- ben ist, so weit eine solche Erklärung möglich ist, in hohem Grade gelungen; aber unsre Erklärung kann nur so weit gehen, als das Körperliche reicht, und die wichtigste Frage, wie denn jenes Bild auf zartem Grunde, das sich so schön im Auge darstellt, dem Geiste die Empfindung des Sehens gewähre, bleibt, wie alle ähn- lichen, unbeantwortet.
Um die Wirksamkeit des Auges zu Hervorbringung eines Bildes zu beweisen, pflegt man wohl allein dabei stehen zu bleiben, daß wirklich im Auge ein linsenförmiger, durchsichtiger Körper vor- handen sei, der also, einer Glaslinse ganz ähnlich, ein Bild auf den den Boden des Auges bildenden Häuten hervorbringen muß. Diese Behauptung ist im Wesentlichen richtig; aber das Auge enthält mehrere hinter einander liegende Feuchtigkeiten, auf welche alle man Rücksicht nehmen muß, um den Ort des im Auge entste- henden Bildes richtig zu bestimmen. Wenn wir das Auge von außen ansehen, so unterscheiden wir das Weiße im Auge, als eine das Licht nicht durchlassende Haut, von dem Augensterne, der in der Mitte schwarz und mit einer blaulichen oder grauen oder brau- nen Einfassung umgeben ist. Die anatomische Untersuchung des Auges zeigt, daß wir hier durch die völlig durchsichtige Hornhaut F, hinter welcher in H sich die wässerige Feuchtigkeit befindet, (Fig. 68.) theils die Iris, die RegenbogenhautG, G, sehen, theils durch die Oeffnung dieser Haut und durch die sämmt- lichen durchsichtigen Flüssigkeiten den schwarzen Boden des Auges erblicken; wenn wir daher, wie es oft geschieht, das Schwarze im Auge den Aug-Apfel nennen, so ist das zwar sofern nicht un- richtig, als sogleich hinter dieser Oeffnung die CrystalllinseI,
und giebt unſrer Thaͤtigkeit eine ſichere Richtung. Ein einziger Blick lehrt uns, oft bis auf Meilen weit, die Gefahren, die wir vermeiden, das Ziel, das wir erreichen wollen, kennen. Und wie oft ſchwelgt unſer Auge im Genuſſe des Sehens! Der um uns bluͤhende Fruͤhling, das Blau des Himmels, die Pracht der Abend- roͤthe, der Himmel voll Sterne, und endlich der beredte Blick eines geiſtreichen Auges! — Das alles, Unzaͤhliges, das uns er- freut und erhebt, wahrzunehmen, verdanken wir dem Auge!
Wie dieſe Empfindung des Sehens hervorgebracht wird, das zu erklaͤren, iſt das Beſtreben der Naturlehre, und dieſes Beſtre- ben iſt, ſo weit eine ſolche Erklaͤrung moͤglich iſt, in hohem Grade gelungen; aber unſre Erklaͤrung kann nur ſo weit gehen, als das Koͤrperliche reicht, und die wichtigſte Frage, wie denn jenes Bild auf zartem Grunde, das ſich ſo ſchoͤn im Auge darſtellt, dem Geiſte die Empfindung des Sehens gewaͤhre, bleibt, wie alle aͤhn- lichen, unbeantwortet.
Um die Wirkſamkeit des Auges zu Hervorbringung eines Bildes zu beweiſen, pflegt man wohl allein dabei ſtehen zu bleiben, daß wirklich im Auge ein linſenfoͤrmiger, durchſichtiger Koͤrper vor- handen ſei, der alſo, einer Glaslinſe ganz aͤhnlich, ein Bild auf den den Boden des Auges bildenden Haͤuten hervorbringen muß. Dieſe Behauptung iſt im Weſentlichen richtig; aber das Auge enthaͤlt mehrere hinter einander liegende Feuchtigkeiten, auf welche alle man Ruͤckſicht nehmen muß, um den Ort des im Auge entſte- henden Bildes richtig zu beſtimmen. Wenn wir das Auge von außen anſehen, ſo unterſcheiden wir das Weiße im Auge, als eine das Licht nicht durchlaſſende Haut, von dem Augenſterne, der in der Mitte ſchwarz und mit einer blaulichen oder grauen oder brau- nen Einfaſſung umgeben iſt. Die anatomiſche Unterſuchung des Auges zeigt, daß wir hier durch die voͤllig durchſichtige Hornhaut F, hinter welcher in H ſich die waͤſſerige Feuchtigkeit befindet, (Fig. 68.) theils die Iris, die RegenbogenhautG, G, ſehen, theils durch die Oeffnung dieſer Haut und durch die ſaͤmmt- lichen durchſichtigen Fluͤſſigkeiten den ſchwarzen Boden des Auges erblicken; wenn wir daher, wie es oft geſchieht, das Schwarze im Auge den Aug-Apfel nennen, ſo iſt das zwar ſofern nicht un- richtig, als ſogleich hinter dieſer Oeffnung die CryſtalllinſeI,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0139"n="125"/>
und giebt unſrer Thaͤtigkeit eine ſichere Richtung. Ein einziger<lb/>
Blick lehrt uns, oft bis auf Meilen weit, die Gefahren, die wir<lb/>
vermeiden, das Ziel, das wir erreichen wollen, kennen. Und wie<lb/>
oft ſchwelgt unſer Auge im Genuſſe des Sehens! Der um uns<lb/>
bluͤhende Fruͤhling, das Blau des Himmels, die Pracht der Abend-<lb/>
roͤthe, der Himmel voll Sterne, und endlich der beredte Blick<lb/>
eines geiſtreichen Auges! — Das alles, Unzaͤhliges, das uns er-<lb/>
freut und erhebt, wahrzunehmen, verdanken wir dem Auge!</p><lb/><p>Wie dieſe Empfindung des Sehens hervorgebracht wird, das<lb/>
zu erklaͤren, iſt das Beſtreben der Naturlehre, und dieſes Beſtre-<lb/>
ben iſt, ſo weit eine ſolche Erklaͤrung moͤglich iſt, in hohem<lb/>
Grade gelungen; aber unſre Erklaͤrung kann nur ſo weit gehen,<lb/>
als das Koͤrperliche reicht, und die wichtigſte Frage, wie denn jenes<lb/>
Bild auf zartem Grunde, das ſich ſo ſchoͤn im Auge darſtellt, dem<lb/>
Geiſte die Empfindung des Sehens gewaͤhre, bleibt, wie alle aͤhn-<lb/>
lichen, unbeantwortet.</p><lb/><p>Um die Wirkſamkeit des Auges zu Hervorbringung eines<lb/>
Bildes zu beweiſen, pflegt man wohl allein dabei ſtehen zu bleiben,<lb/>
daß wirklich im Auge ein linſenfoͤrmiger, durchſichtiger Koͤrper vor-<lb/>
handen ſei, der alſo, einer Glaslinſe ganz aͤhnlich, ein Bild auf den<lb/>
den Boden des Auges bildenden Haͤuten hervorbringen muß. Dieſe<lb/>
Behauptung iſt im Weſentlichen richtig; aber das Auge enthaͤlt<lb/>
mehrere hinter einander liegende Feuchtigkeiten, auf welche alle<lb/>
man Ruͤckſicht nehmen muß, um den Ort des im Auge entſte-<lb/>
henden Bildes richtig zu beſtimmen. Wenn wir das Auge von<lb/>
außen anſehen, ſo unterſcheiden wir das Weiße im Auge, als eine<lb/>
das Licht nicht durchlaſſende Haut, von dem Augenſterne, der in<lb/>
der Mitte ſchwarz und mit einer blaulichen oder grauen oder brau-<lb/>
nen Einfaſſung umgeben iſt. Die anatomiſche Unterſuchung des<lb/>
Auges zeigt, daß wir hier durch die voͤllig durchſichtige <hirendition="#g">Hornhaut</hi><lb/><hirendition="#aq"><hirendition="#b">F,</hi></hi> hinter welcher in <hirendition="#aq"><hirendition="#b">H</hi></hi>ſich die waͤſſerige Feuchtigkeit befindet,<lb/>
(<hirendition="#aq"><hirendition="#b">Fig. 68.</hi></hi>) theils die <hirendition="#g">Iris</hi>, die <hirendition="#g">Regenbogenhaut</hi><hirendition="#aq"><hirendition="#b">G, G,</hi></hi><lb/>ſehen, theils durch die Oeffnung dieſer Haut und durch die ſaͤmmt-<lb/>
lichen durchſichtigen Fluͤſſigkeiten den ſchwarzen Boden des Auges<lb/>
erblicken; wenn wir daher, wie es oft geſchieht, das Schwarze<lb/>
im Auge den Aug-Apfel nennen, ſo iſt das zwar ſofern nicht un-<lb/>
richtig, als ſogleich hinter dieſer Oeffnung die <hirendition="#g">Cryſtalllinſe</hi><hirendition="#aq"><hirendition="#b">I,</hi></hi><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[125/0139]
und giebt unſrer Thaͤtigkeit eine ſichere Richtung. Ein einziger
Blick lehrt uns, oft bis auf Meilen weit, die Gefahren, die wir
vermeiden, das Ziel, das wir erreichen wollen, kennen. Und wie
oft ſchwelgt unſer Auge im Genuſſe des Sehens! Der um uns
bluͤhende Fruͤhling, das Blau des Himmels, die Pracht der Abend-
roͤthe, der Himmel voll Sterne, und endlich der beredte Blick
eines geiſtreichen Auges! — Das alles, Unzaͤhliges, das uns er-
freut und erhebt, wahrzunehmen, verdanken wir dem Auge!
Wie dieſe Empfindung des Sehens hervorgebracht wird, das
zu erklaͤren, iſt das Beſtreben der Naturlehre, und dieſes Beſtre-
ben iſt, ſo weit eine ſolche Erklaͤrung moͤglich iſt, in hohem
Grade gelungen; aber unſre Erklaͤrung kann nur ſo weit gehen,
als das Koͤrperliche reicht, und die wichtigſte Frage, wie denn jenes
Bild auf zartem Grunde, das ſich ſo ſchoͤn im Auge darſtellt, dem
Geiſte die Empfindung des Sehens gewaͤhre, bleibt, wie alle aͤhn-
lichen, unbeantwortet.
Um die Wirkſamkeit des Auges zu Hervorbringung eines
Bildes zu beweiſen, pflegt man wohl allein dabei ſtehen zu bleiben,
daß wirklich im Auge ein linſenfoͤrmiger, durchſichtiger Koͤrper vor-
handen ſei, der alſo, einer Glaslinſe ganz aͤhnlich, ein Bild auf den
den Boden des Auges bildenden Haͤuten hervorbringen muß. Dieſe
Behauptung iſt im Weſentlichen richtig; aber das Auge enthaͤlt
mehrere hinter einander liegende Feuchtigkeiten, auf welche alle
man Ruͤckſicht nehmen muß, um den Ort des im Auge entſte-
henden Bildes richtig zu beſtimmen. Wenn wir das Auge von
außen anſehen, ſo unterſcheiden wir das Weiße im Auge, als eine
das Licht nicht durchlaſſende Haut, von dem Augenſterne, der in
der Mitte ſchwarz und mit einer blaulichen oder grauen oder brau-
nen Einfaſſung umgeben iſt. Die anatomiſche Unterſuchung des
Auges zeigt, daß wir hier durch die voͤllig durchſichtige Hornhaut
F, hinter welcher in H ſich die waͤſſerige Feuchtigkeit befindet,
(Fig. 68.) theils die Iris, die Regenbogenhaut G, G,
ſehen, theils durch die Oeffnung dieſer Haut und durch die ſaͤmmt-
lichen durchſichtigen Fluͤſſigkeiten den ſchwarzen Boden des Auges
erblicken; wenn wir daher, wie es oft geſchieht, das Schwarze
im Auge den Aug-Apfel nennen, ſo iſt das zwar ſofern nicht un-
richtig, als ſogleich hinter dieſer Oeffnung die Cryſtalllinſe I,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre02_1831/139>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.