muß er sich vorüberbeugen, damit der Schwerpunct der gesammten Masse, seines eignen Körpers nämlich und der auf dem Rücken befestigten Last, grade über den Fußsohlen liege; will er fortschrei- ten, so muß er sich noch etwas mehr vorwärts beugen, damit der Schwerpunct beim Heben des einen Fußes ein wenig vor dem an- dern Fuße liege, und nun erst durch Auftreten mit jenem Fuße wieder seinen Ruhepunct finde. Wir alle lehnen uns mehr vor- wärts bei schnellem Gehen, damit sogleich nach dem Auftreten des gehobnen Fußes der Schwerpunct wieder über den unterstützten Punct hinausgerückt sei. Menschen, welche Lasten auf dem Kopfe tragen, gehen sehr grade aufrecht, damit theils die auf dem Kopfe nur in wenigen Puncten unterstützte Last nicht herabfalle, theils auch der hoch hinauf gerückte Schwerpunct des oben belasteten Kör- pers nicht zu weit vorwärts liege; sie schreiten in kleinen Schritten vorwärts, damit die Bewegung möglichst gleichförmig sei, und die am Kopfe nicht befestigte, sondern frei aufliegende Last nicht bei plötzlich schneller und plötzlich abgesetzter Bewegung durch die Träg- heit beim plötzlichen Anhalten der Bewegung vorrücke; ist es sogar ein Gefäß mit Wasser oder ein Milch-Eimer, den sie so tragen, so müssen sie um so mehr diese Vorsicht beobachten, da die flüssige Masse sogleich beim plötzlichen Anhalten der Bewegung durch die Trägheit weiter nach vorne geführt würde und die Gefahr des Her- unterfallens vermehrte.
Die Regel, daß man auf einem Wagen sitzend, wenn dieser umzustürzen droht, nicht aufstehen, am wenigsten an der hinab- wärts geneigten Seite aufstehen soll, erklärt sich ebenfalls hieraus; denn beim Aufstehen rückt der Schwerpunct höher, und wenn er vielleicht schon um etwas Geringes über die Grenze der Unter- stützung hinaus liegt, so wird das Moment der Kraft, die das Umstürzen bewirkt, noch vermehrt, und die Gefahr, daß bei et- was stärkerer Neigung des Wagens der höher liegende Schwer- punct über die Unterstützungspuncte hinausgeführt werde, ist ebenfalls größer. -- Wenn wir im Gehen ausgleiten und nach der rechten Seite zu fallen im Begriff sind, so strecken wir den linken Arm aus, damit der Schwerpunct ein wenig mehr auf die linke Seite, das ist dahin rücke, wo er noch über den Unterstützungs- puncten liegt, welche die Füße darbieten, und dieses Ausstrecken
muß er ſich voruͤberbeugen, damit der Schwerpunct der geſammten Maſſe, ſeines eignen Koͤrpers naͤmlich und der auf dem Ruͤcken befeſtigten Laſt, grade uͤber den Fußſohlen liege; will er fortſchrei- ten, ſo muß er ſich noch etwas mehr vorwaͤrts beugen, damit der Schwerpunct beim Heben des einen Fußes ein wenig vor dem an- dern Fuße liege, und nun erſt durch Auftreten mit jenem Fuße wieder ſeinen Ruhepunct finde. Wir alle lehnen uns mehr vor- waͤrts bei ſchnellem Gehen, damit ſogleich nach dem Auftreten des gehobnen Fußes der Schwerpunct wieder uͤber den unterſtuͤtzten Punct hinausgeruͤckt ſei. Menſchen, welche Laſten auf dem Kopfe tragen, gehen ſehr grade aufrecht, damit theils die auf dem Kopfe nur in wenigen Puncten unterſtuͤtzte Laſt nicht herabfalle, theils auch der hoch hinauf geruͤckte Schwerpunct des oben belaſteten Koͤr- pers nicht zu weit vorwaͤrts liege; ſie ſchreiten in kleinen Schritten vorwaͤrts, damit die Bewegung moͤglichſt gleichfoͤrmig ſei, und die am Kopfe nicht befeſtigte, ſondern frei aufliegende Laſt nicht bei ploͤtzlich ſchneller und ploͤtzlich abgeſetzter Bewegung durch die Traͤg- heit beim ploͤtzlichen Anhalten der Bewegung vorruͤcke; iſt es ſogar ein Gefaͤß mit Waſſer oder ein Milch-Eimer, den ſie ſo tragen, ſo muͤſſen ſie um ſo mehr dieſe Vorſicht beobachten, da die fluͤſſige Maſſe ſogleich beim ploͤtzlichen Anhalten der Bewegung durch die Traͤgheit weiter nach vorne gefuͤhrt wuͤrde und die Gefahr des Her- unterfallens vermehrte.
Die Regel, daß man auf einem Wagen ſitzend, wenn dieſer umzuſtuͤrzen droht, nicht aufſtehen, am wenigſten an der hinab- waͤrts geneigten Seite aufſtehen ſoll, erklaͤrt ſich ebenfalls hieraus; denn beim Aufſtehen ruͤckt der Schwerpunct hoͤher, und wenn er vielleicht ſchon um etwas Geringes uͤber die Grenze der Unter- ſtuͤtzung hinaus liegt, ſo wird das Moment der Kraft, die das Umſtuͤrzen bewirkt, noch vermehrt, und die Gefahr, daß bei et- was ſtaͤrkerer Neigung des Wagens der hoͤher liegende Schwer- punct uͤber die Unterſtuͤtzungspuncte hinausgefuͤhrt werde, iſt ebenfalls groͤßer. — Wenn wir im Gehen ausgleiten und nach der rechten Seite zu fallen im Begriff ſind, ſo ſtrecken wir den linken Arm aus, damit der Schwerpunct ein wenig mehr auf die linke Seite, das iſt dahin ruͤcke, wo er noch uͤber den Unterſtuͤtzungs- puncten liegt, welche die Fuͤße darbieten, und dieſes Ausſtrecken
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muß er ſich voruͤberbeugen, damit der Schwerpunct der geſammten
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ten, ſo muß er ſich noch etwas mehr vorwaͤrts beugen, damit der
Schwerpunct beim Heben des einen Fußes ein wenig vor dem an-
dern Fuße liege, und nun erſt durch Auftreten mit jenem Fuße
wieder ſeinen Ruhepunct finde. Wir alle lehnen uns mehr vor-
waͤrts bei ſchnellem Gehen, damit ſogleich nach dem Auftreten des
gehobnen Fußes der Schwerpunct wieder uͤber den unterſtuͤtzten
Punct hinausgeruͤckt ſei. Menſchen, welche Laſten auf dem Kopfe
tragen, gehen ſehr grade aufrecht, damit theils die auf dem Kopfe
nur in wenigen Puncten unterſtuͤtzte Laſt nicht herabfalle, theils
auch der hoch hinauf geruͤckte Schwerpunct des oben belaſteten Koͤr-
pers nicht zu weit vorwaͤrts liege; ſie ſchreiten in kleinen Schritten
vorwaͤrts, damit die Bewegung moͤglichſt gleichfoͤrmig ſei, und die
am Kopfe nicht befeſtigte, ſondern frei aufliegende Laſt nicht bei
ploͤtzlich ſchneller und ploͤtzlich abgeſetzter Bewegung durch die Traͤg-
heit beim ploͤtzlichen Anhalten der Bewegung vorruͤcke; iſt es ſogar
ein Gefaͤß mit Waſſer oder ein Milch-Eimer, den ſie ſo tragen, ſo
muͤſſen ſie um ſo mehr dieſe Vorſicht beobachten, da die fluͤſſige
Maſſe ſogleich beim ploͤtzlichen Anhalten der Bewegung durch die
Traͤgheit weiter nach vorne gefuͤhrt wuͤrde und die Gefahr des Her-
unterfallens vermehrte.
Die Regel, daß man auf einem Wagen ſitzend, wenn dieſer
umzuſtuͤrzen droht, nicht aufſtehen, am wenigſten an der hinab-
waͤrts geneigten Seite aufſtehen ſoll, erklaͤrt ſich ebenfalls hieraus;
denn beim Aufſtehen ruͤckt der Schwerpunct hoͤher, und wenn er
vielleicht ſchon um etwas Geringes uͤber die Grenze der Unter-
ſtuͤtzung hinaus liegt, ſo wird das Moment der Kraft, die das
Umſtuͤrzen bewirkt, noch vermehrt, und die Gefahr, daß bei et-
was ſtaͤrkerer Neigung des Wagens der hoͤher liegende Schwer-
punct uͤber die Unterſtuͤtzungspuncte hinausgefuͤhrt werde, iſt
ebenfalls groͤßer. — Wenn wir im Gehen ausgleiten und nach der
rechten Seite zu fallen im Begriff ſind, ſo ſtrecken wir den linken
Arm aus, damit der Schwerpunct ein wenig mehr auf die linke
Seite, das iſt dahin ruͤcke, wo er noch uͤber den Unterſtuͤtzungs-
puncten liegt, welche die Fuͤße darbieten, und dieſes Ausſtrecken
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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/86>, abgerufen am 25.11.2024.
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