oder endlich gar der Abscheu vor dem entsetzlichen Ge- schöpfe, das Uebel zugezogen, weiß ich selbst nicht. Einmal zuvor war, aussert etwa leichten Kopf- und Zahnschmerzen, jedes andre Uebelbehagen mir ganz unbekannt. Man ließ den lieben Herrn Docktor Müller kommen; er verordnete mir eine doppelte Aderlässe, zweifelte aber gleich beym ersten Anblick selber an meinem Aufkommen. Am dritten Tag glaubt' ich, nun sey's gewiß mit mir aus, da mir mein armer Kopf beynahe zerspringen wollte. Ich rang, wimmerte, krümmte mich wie ein Wurm, und stuhnd Höllenangst aus: Tod und Ewigkeit kamen mir schröcklich vor. Meinem Vater, der sich fast nie von mir entfernte, und oft ganz allein um mich war, beichtete ich in einem solchen Augenblick alles was mir auf dem Herzen lag, sonderlich auch wegen den Verfolgungen des vorerwähnten Unholds, der mir viel zu schaffen machte. Der gute Aeti er- schrack entsetzlich, und fragte mich: Ob ich denn mit dem Thier etwas Böses gethan? "Nein, ge- "wiß nicht, Vater!" (antwortete ich schluchzend) "aber das Ungeheur wollt' mich eben dazu bereden; "und ich hab's dir verschwiegen. Das nun, fürcht' "ich, sey eine grosse Sünd'". "Sey nur ruhig, "mein Sohn!" (versetzte mein Vater) "Halt' "dich im Stillen zu Gott. Er ist gütig, und wird "dir deine Sünden vergeben". Dieß einzige Wort des Trosts machte mich gleichsam wieder aufleben. O wie eifrig gelobt' ich in diesem Augenblick, ein ganz andrer Mensch zu werden, wenn ich's länger
oder endlich gar der Abſcheu vor dem entſetzlichen Ge- ſchoͤpfe, das Uebel zugezogen, weiß ich ſelbſt nicht. Einmal zuvor war, auſſert etwa leichten Kopf- und Zahnſchmerzen, jedes andre Uebelbehagen mir ganz unbekannt. Man ließ den lieben Herrn Docktor Muͤller kommen; er verordnete mir eine doppelte Aderlaͤſſe, zweifelte aber gleich beym erſten Anblick ſelber an meinem Aufkommen. Am dritten Tag glaubt’ ich, nun ſey’s gewiß mit mir aus, da mir mein armer Kopf beynahe zerſpringen wollte. Ich rang, wimmerte, kruͤmmte mich wie ein Wurm, und ſtuhnd Hoͤllenangſt aus: Tod und Ewigkeit kamen mir ſchroͤcklich vor. Meinem Vater, der ſich faſt nie von mir entfernte, und oft ganz allein um mich war, beichtete ich in einem ſolchen Augenblick alles was mir auf dem Herzen lag, ſonderlich auch wegen den Verfolgungen des vorerwaͤhnten Unholds, der mir viel zu ſchaffen machte. Der gute Aeti er- ſchrack entſetzlich, und fragte mich: Ob ich denn mit dem Thier etwas Boͤſes gethan? „Nein, ge- „wiß nicht, Vater!„ (antwortete ich ſchluchzend) „aber das Ungeheur wollt’ mich eben dazu bereden; „und ich hab’s dir verſchwiegen. Das nun, fuͤrcht’ „ich, ſey eine groſſe Suͤnd’„. „Sey nur ruhig, „mein Sohn!„ (verſetzte mein Vater) „Halt’ „dich im Stillen zu Gott. Er iſt guͤtig, und wird „dir deine Suͤnden vergeben„. Dieß einzige Wort des Troſts machte mich gleichſam wieder aufleben. O wie eifrig gelobt’ ich in dieſem Augenblick, ein ganz andrer Menſch zu werden, wenn ich’s laͤnger
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0072"n="56"/>
oder endlich gar der Abſcheu vor dem entſetzlichen Ge-<lb/>ſchoͤpfe, das Uebel zugezogen, weiß ich ſelbſt nicht.<lb/>
Einmal zuvor war, auſſert etwa leichten Kopf- und<lb/>
Zahnſchmerzen, jedes andre Uebelbehagen mir ganz<lb/>
unbekannt. Man ließ den lieben Herrn Docktor<lb/><hirendition="#fr">Muͤller kommen;</hi> er verordnete mir eine doppelte<lb/>
Aderlaͤſſe, zweifelte aber gleich beym erſten Anblick<lb/>ſelber an meinem Aufkommen. Am dritten Tag<lb/>
glaubt’ ich, nun ſey’s gewiß mit mir aus, da mir<lb/>
mein armer Kopf beynahe zerſpringen wollte. Ich<lb/>
rang, wimmerte, kruͤmmte mich wie ein Wurm,<lb/>
und ſtuhnd Hoͤllenangſt aus: Tod und Ewigkeit<lb/>
kamen mir ſchroͤcklich vor. Meinem Vater, der ſich<lb/>
faſt nie von mir entfernte, und oft ganz allein um<lb/>
mich war, beichtete ich in einem ſolchen Augenblick<lb/>
alles was mir auf dem Herzen lag, ſonderlich auch<lb/>
wegen den Verfolgungen des vorerwaͤhnten Unholds,<lb/>
der mir viel zu ſchaffen machte. Der gute Aeti er-<lb/>ſchrack entſetzlich, und fragte mich: Ob ich denn<lb/>
mit dem Thier etwas Boͤſes gethan? „Nein, ge-<lb/>„wiß nicht, Vater!„ (antwortete ich ſchluchzend)<lb/>„aber das Ungeheur wollt’ mich eben dazu bereden;<lb/>„und ich hab’s dir verſchwiegen. Das nun, fuͤrcht’<lb/>„ich, ſey eine groſſe Suͤnd’„. „Sey nur ruhig,<lb/>„mein Sohn!„ (verſetzte mein Vater) „Halt’<lb/>„dich im Stillen zu Gott. Er iſt guͤtig, und wird<lb/>„dir deine Suͤnden vergeben„. Dieß einzige Wort<lb/>
des Troſts machte mich gleichſam wieder aufleben.<lb/>
O wie eifrig gelobt’ ich in dieſem Augenblick, ein<lb/>
ganz andrer Menſch zu werden, wenn ich’s laͤnger<lb/></p></div></body></text></TEI>
[56/0072]
oder endlich gar der Abſcheu vor dem entſetzlichen Ge-
ſchoͤpfe, das Uebel zugezogen, weiß ich ſelbſt nicht.
Einmal zuvor war, auſſert etwa leichten Kopf- und
Zahnſchmerzen, jedes andre Uebelbehagen mir ganz
unbekannt. Man ließ den lieben Herrn Docktor
Muͤller kommen; er verordnete mir eine doppelte
Aderlaͤſſe, zweifelte aber gleich beym erſten Anblick
ſelber an meinem Aufkommen. Am dritten Tag
glaubt’ ich, nun ſey’s gewiß mit mir aus, da mir
mein armer Kopf beynahe zerſpringen wollte. Ich
rang, wimmerte, kruͤmmte mich wie ein Wurm,
und ſtuhnd Hoͤllenangſt aus: Tod und Ewigkeit
kamen mir ſchroͤcklich vor. Meinem Vater, der ſich
faſt nie von mir entfernte, und oft ganz allein um
mich war, beichtete ich in einem ſolchen Augenblick
alles was mir auf dem Herzen lag, ſonderlich auch
wegen den Verfolgungen des vorerwaͤhnten Unholds,
der mir viel zu ſchaffen machte. Der gute Aeti er-
ſchrack entſetzlich, und fragte mich: Ob ich denn
mit dem Thier etwas Boͤſes gethan? „Nein, ge-
„wiß nicht, Vater!„ (antwortete ich ſchluchzend)
„aber das Ungeheur wollt’ mich eben dazu bereden;
„und ich hab’s dir verſchwiegen. Das nun, fuͤrcht’
„ich, ſey eine groſſe Suͤnd’„. „Sey nur ruhig,
„mein Sohn!„ (verſetzte mein Vater) „Halt’
„dich im Stillen zu Gott. Er iſt guͤtig, und wird
„dir deine Suͤnden vergeben„. Dieß einzige Wort
des Troſts machte mich gleichſam wieder aufleben.
O wie eifrig gelobt’ ich in dieſem Augenblick, ein
ganz andrer Menſch zu werden, wenn ich’s laͤnger
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/72>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.