Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

meine Füsse -- Was das dann für ein Stolz und ei-
ne Lust war! Da verließ ich den ganzen Tag die
Berge nicht, und mein Aug konnt' sich nie satt schau-
en, wie die Sonnenstrahlen auf diesem Ocean spiel-
ten, und Wogen von Dünsten in den seltsamsten
Figuren sich drauf herumtaumelten, bis sie gegen
Abend mich wieder zu übersteigen drohten. Dann
wünscht ich mir Jakobs Leiter; aber umsonst, ich
mußte fort. Ich ward traurig, und alles stimmte
in meiner Trauer ein. Einsame Vögel flatterten matt
und mißmüthig über mir her, und die grossen Herbst-
fliegen sumsten mir so melancholisch um die Ohren,
daß ich weinen mußte. Dann fror ich fast noch mehr
als am frühen Morgen, und empfand Schmerzen
an den Füssen, obgleich diese so hart als Sohlleder
waren. Auch hatt' ich die meiste Zeit Wunden oder
Beulen an ein Paar Gliedern; und wenn eine Bles-
sur heil war, macht' ich mir richtig wieder eine
andre; sprang entweder auf einen spitzen Stein auf,
verlor einen Nagel oder ein Stück Haut an einem
Zehen, oder hieb mir mit meinen Instrumenten
ein's in die Finger. An's Verbinden war selten zu
gedenken; und doch gieng's meist bald vorüber. --
Die Geissen hiernächst machten mir, wie schon ge-
sagt, Anfangs grossen Verdruß, wenn sie mir nicht
gehorchen wollten, weil ich ihnen nicht recht zu be-
fehlen verstuhnd. -- Ferner prügelte mich der Vater
nicht selten, wenn ich nicht hütete wo er mir be-
fohlen hatte, und nur hinfuhr wo ich gern seyn moch-
te, und die Geissen dann nicht das rechte Bauch-

meine Fuͤſſe — Was das dann fuͤr ein Stolz und ei-
ne Luſt war! Da verließ ich den ganzen Tag die
Berge nicht, und mein Aug konnt’ ſich nie ſatt ſchau-
en, wie die Sonnenſtrahlen auf dieſem Ocean ſpiel-
ten, und Wogen von Duͤnſten in den ſeltſamſten
Figuren ſich drauf herumtaumelten, bis ſie gegen
Abend mich wieder zu uͤberſteigen drohten. Dann
wuͤnſcht ich mir Jakobs Leiter; aber umſonſt, ich
mußte fort. Ich ward traurig, und alles ſtimmte
in meiner Trauer ein. Einſame Voͤgel flatterten matt
und mißmuͤthig uͤber mir her, und die groſſen Herbſt-
fliegen ſumſten mir ſo melancholiſch um die Ohren,
daß ich weinen mußte. Dann fror ich faſt noch mehr
als am fruͤhen Morgen, und empfand Schmerzen
an den Fuͤſſen, obgleich dieſe ſo hart als Sohlleder
waren. Auch hatt’ ich die meiſte Zeit Wunden oder
Beulen an ein Paar Gliedern; und wenn eine Bleſ-
ſur heil war, macht’ ich mir richtig wieder eine
andre; ſprang entweder auf einen ſpitzen Stein auf,
verlor einen Nagel oder ein Stuͤck Haut an einem
Zehen, oder hieb mir mit meinen Inſtrumenten
ein’s in die Finger. An’s Verbinden war ſelten zu
gedenken; und doch gieng’s meiſt bald voruͤber. —
Die Geiſſen hiernaͤchſt machten mir, wie ſchon ge-
ſagt, Anfangs groſſen Verdruß, wenn ſie mir nicht
gehorchen wollten, weil ich ihnen nicht recht zu be-
fehlen verſtuhnd. — Ferner pruͤgelte mich der Vater
nicht ſelten, wenn ich nicht huͤtete wo er mir be-
fohlen hatte, und nur hinfuhr wo ich gern ſeyn moch-
te, und die Geiſſen dann nicht das rechte Bauch-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0046" n="30"/>
meine Fu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e &#x2014; Was das dann fu&#x0364;r ein Stolz und ei-<lb/>
ne Lu&#x017F;t war! Da verließ ich den ganzen Tag die<lb/>
Berge nicht, und mein Aug konnt&#x2019; &#x017F;ich nie &#x017F;att &#x017F;chau-<lb/>
en, wie die Sonnen&#x017F;trahlen auf die&#x017F;em Ocean &#x017F;piel-<lb/>
ten, und Wogen von Du&#x0364;n&#x017F;ten in den &#x017F;elt&#x017F;am&#x017F;ten<lb/>
Figuren &#x017F;ich drauf herumtaumelten, bis &#x017F;ie gegen<lb/>
Abend mich wieder zu u&#x0364;ber&#x017F;teigen drohten. Dann<lb/>
wu&#x0364;n&#x017F;cht ich mir Jakobs Leiter; aber um&#x017F;on&#x017F;t, ich<lb/>
mußte fort. Ich ward traurig, und alles &#x017F;timmte<lb/>
in meiner Trauer ein. Ein&#x017F;ame Vo&#x0364;gel flatterten matt<lb/>
und mißmu&#x0364;thig u&#x0364;ber mir her, und die gro&#x017F;&#x017F;en Herb&#x017F;t-<lb/>
fliegen &#x017F;um&#x017F;ten mir &#x017F;o melancholi&#x017F;ch um die Ohren,<lb/>
daß ich weinen mußte. Dann fror ich fa&#x017F;t noch mehr<lb/>
als am fru&#x0364;hen Morgen, und empfand Schmerzen<lb/>
an den Fu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, obgleich die&#x017F;e &#x017F;o hart als Sohlleder<lb/>
waren. Auch hatt&#x2019; ich die mei&#x017F;te Zeit Wunden oder<lb/>
Beulen an ein Paar Gliedern; und wenn eine Ble&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ur heil war, macht&#x2019; ich mir richtig wieder eine<lb/>
andre; &#x017F;prang entweder auf einen &#x017F;pitzen Stein auf,<lb/>
verlor einen Nagel oder ein Stu&#x0364;ck Haut an einem<lb/>
Zehen, oder hieb mir mit meinen In&#x017F;trumenten<lb/>
ein&#x2019;s in die Finger. An&#x2019;s Verbinden war &#x017F;elten zu<lb/>
gedenken; und doch gieng&#x2019;s mei&#x017F;t bald voru&#x0364;ber. &#x2014;<lb/>
Die Gei&#x017F;&#x017F;en hierna&#x0364;ch&#x017F;t machten mir, wie &#x017F;chon ge-<lb/>
&#x017F;agt, Anfangs gro&#x017F;&#x017F;en Verdruß, wenn &#x017F;ie mir nicht<lb/>
gehorchen wollten, weil ich ihnen nicht recht zu be-<lb/>
fehlen ver&#x017F;tuhnd. &#x2014; Ferner pru&#x0364;gelte mich der Vater<lb/>
nicht &#x017F;elten, wenn ich nicht hu&#x0364;tete wo er mir be-<lb/>
fohlen hatte, und nur hinfuhr wo ich gern &#x017F;eyn moch-<lb/>
te, und die Gei&#x017F;&#x017F;en dann nicht das rechte Bauch-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[30/0046] meine Fuͤſſe — Was das dann fuͤr ein Stolz und ei- ne Luſt war! Da verließ ich den ganzen Tag die Berge nicht, und mein Aug konnt’ ſich nie ſatt ſchau- en, wie die Sonnenſtrahlen auf dieſem Ocean ſpiel- ten, und Wogen von Duͤnſten in den ſeltſamſten Figuren ſich drauf herumtaumelten, bis ſie gegen Abend mich wieder zu uͤberſteigen drohten. Dann wuͤnſcht ich mir Jakobs Leiter; aber umſonſt, ich mußte fort. Ich ward traurig, und alles ſtimmte in meiner Trauer ein. Einſame Voͤgel flatterten matt und mißmuͤthig uͤber mir her, und die groſſen Herbſt- fliegen ſumſten mir ſo melancholiſch um die Ohren, daß ich weinen mußte. Dann fror ich faſt noch mehr als am fruͤhen Morgen, und empfand Schmerzen an den Fuͤſſen, obgleich dieſe ſo hart als Sohlleder waren. Auch hatt’ ich die meiſte Zeit Wunden oder Beulen an ein Paar Gliedern; und wenn eine Bleſ- ſur heil war, macht’ ich mir richtig wieder eine andre; ſprang entweder auf einen ſpitzen Stein auf, verlor einen Nagel oder ein Stuͤck Haut an einem Zehen, oder hieb mir mit meinen Inſtrumenten ein’s in die Finger. An’s Verbinden war ſelten zu gedenken; und doch gieng’s meiſt bald voruͤber. — Die Geiſſen hiernaͤchſt machten mir, wie ſchon ge- ſagt, Anfangs groſſen Verdruß, wenn ſie mir nicht gehorchen wollten, weil ich ihnen nicht recht zu be- fehlen verſtuhnd. — Ferner pruͤgelte mich der Vater nicht ſelten, wenn ich nicht huͤtete wo er mir be- fohlen hatte, und nur hinfuhr wo ich gern ſeyn moch- te, und die Geiſſen dann nicht das rechte Bauch-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/46
Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/46>, abgerufen am 29.03.2024.