kamen meine Geissen haufenweis und kafelten das Laub ab. Wenn ich ihnen Leck, Leck! rufte, dann gieng's gar im Galopp, und wurd' ich von ihnen wie eingemaurt. Alles Laub und Kräuter, die sie frassen, kostete auch ich; und einige schmeckten mir sehr gut. So lang der Sommer währte, florirten die Erd-Im-Heidel- und Brombeeren; deren hatt' ich immer vollauf, und konnte noch der Mutter am Abend mehr als genug nach Haus bringen. Das war ein herrliches Labsal, bis ich mich einst daran bis zum Eckel überfraß. -- Und welch Vergnügen machte mir nicht jeder Tag, jeder neue Morgen; wenn jetzt die Sonne die Hügel vergoldete, denen ich mit meiner Heerde entgegegenstieg; dann jenen hal- digen Buchenwald, und endlich die Wiesen und Waid- plätze beschien. Tausendmal denk' ich dran; und oft dünkt's mich, die Sonne scheine jetzt nicht mehr so schön. Wann dann alle anliegenden Gebüsche von jubilirenden Vägeln ertönten, und dieselben um mich her hüpften -- O! Was fühlt' ich da! -- Ha, ich weiß es nicht! -- Halt süsse, süsse Lust! Da sang' und trillerte ich dann mit, bis ich heiser ward. Ein an- dermal spürte ich diesen mutern Waldbürgern durch alle Stauden nach, ergötzte mich an ihrem hübschen Gefieder, und wünschte, daß sie nur halb so zahm wären wie meine Geissen; beguckte ihre Jungen und ihre Eyer, und erstaunte über den wundervollen Bau ihrer Nester. Oft fand ich deren in der Erde, im Mooß, im Farrn, unter alten Stöcken, in den dick- sten Dörnen, in Felsritzen, in hohlen Tannen oder
kamen meine Geiſſen haufenweis und kafelten das Laub ab. Wenn ich ihnen Leck, Leck! rufte, dann gieng’s gar im Galopp, und wurd’ ich von ihnen wie eingemaurt. Alles Laub und Kraͤuter, die ſie fraſſen, koſtete auch ich; und einige ſchmeckten mir ſehr gut. So lang der Sommer waͤhrte, florirten die Erd-Im-Heidel- und Brombeeren; deren hatt’ ich immer vollauf, und konnte noch der Mutter am Abend mehr als genug nach Haus bringen. Das war ein herrliches Labſal, bis ich mich einſt daran bis zum Eckel uͤberfraß. — Und welch Vergnuͤgen machte mir nicht jeder Tag, jeder neue Morgen; wenn jetzt die Sonne die Huͤgel vergoldete, denen ich mit meiner Heerde entgegegenſtieg; dann jenen hal- digen Buchenwald, und endlich die Wieſen und Waid- plaͤtze beſchien. Tauſendmal denk’ ich dran; und oft duͤnkt’s mich, die Sonne ſcheine jetzt nicht mehr ſo ſchoͤn. Wann dann alle anliegenden Gebuͤſche von jubilirenden Vaͤgeln ertoͤnten, und dieſelben um mich her huͤpften — O! Was fuͤhlt’ ich da! — Ha, ich weiß es nicht! — Halt ſuͤſſe, ſuͤſſe Luſt! Da ſang’ und trillerte ich dann mit, bis ich heiſer ward. Ein an- dermal ſpuͤrte ich dieſen mutern Waldbuͤrgern durch alle Stauden nach, ergoͤtzte mich an ihrem huͤbſchen Gefieder, und wuͤnſchte, daß ſie nur halb ſo zahm waͤren wie meine Geiſſen; beguckte ihre Jungen und ihre Eyer, und erſtaunte uͤber den wundervollen Bau ihrer Neſter. Oft fand ich deren in der Erde, im Mooß, im Farrn, unter alten Stoͤcken, in den dick- ſten Doͤrnen, in Felsritzen, in hohlen Tannen oder
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0043"n="27"/>
kamen meine Geiſſen haufenweis und kafelten das<lb/>
Laub ab. Wenn ich ihnen Leck, Leck! rufte, dann<lb/>
gieng’s gar im Galopp, und wurd’ ich von ihnen<lb/>
wie eingemaurt. Alles Laub und Kraͤuter, die ſie<lb/>
fraſſen, koſtete auch ich; und einige ſchmeckten mir<lb/>ſehr gut. So lang der Sommer waͤhrte, florirten<lb/>
die Erd-Im-Heidel- und Brombeeren; deren hatt’<lb/>
ich immer vollauf, und konnte noch der Mutter am<lb/>
Abend mehr als genug nach Haus bringen. Das<lb/>
war ein herrliches Labſal, bis ich mich einſt daran<lb/>
bis zum Eckel uͤberfraß. — Und welch Vergnuͤgen<lb/>
machte mir nicht jeder Tag, jeder neue Morgen;<lb/>
wenn jetzt die Sonne die Huͤgel vergoldete, denen ich<lb/>
mit meiner Heerde entgegegenſtieg; dann jenen hal-<lb/>
digen Buchenwald, und endlich die Wieſen und Waid-<lb/>
plaͤtze beſchien. Tauſendmal denk’ ich dran; und oft<lb/>
duͤnkt’s mich, die Sonne ſcheine jetzt nicht mehr ſo<lb/>ſchoͤn. Wann dann alle anliegenden Gebuͤſche von<lb/>
jubilirenden Vaͤgeln ertoͤnten, und dieſelben um mich<lb/>
her huͤpften — O! Was fuͤhlt’ ich da! — Ha, ich<lb/>
weiß es nicht! — Halt ſuͤſſe, ſuͤſſe Luſt! Da ſang’ und<lb/>
trillerte ich dann mit, bis ich heiſer ward. Ein an-<lb/>
dermal ſpuͤrte ich dieſen mutern Waldbuͤrgern durch<lb/>
alle Stauden nach, ergoͤtzte mich an ihrem huͤbſchen<lb/>
Gefieder, und wuͤnſchte, daß ſie nur halb ſo zahm<lb/>
waͤren wie meine Geiſſen; beguckte ihre Jungen und<lb/>
ihre Eyer, und erſtaunte uͤber den wundervollen Bau<lb/>
ihrer Neſter. Oft fand ich deren in der Erde, im<lb/>
Mooß, im Farrn, unter alten Stoͤcken, in den dick-<lb/>ſten Doͤrnen, in Felsritzen, in hohlen Tannen oder<lb/></p></div></body></text></TEI>
[27/0043]
kamen meine Geiſſen haufenweis und kafelten das
Laub ab. Wenn ich ihnen Leck, Leck! rufte, dann
gieng’s gar im Galopp, und wurd’ ich von ihnen
wie eingemaurt. Alles Laub und Kraͤuter, die ſie
fraſſen, koſtete auch ich; und einige ſchmeckten mir
ſehr gut. So lang der Sommer waͤhrte, florirten
die Erd-Im-Heidel- und Brombeeren; deren hatt’
ich immer vollauf, und konnte noch der Mutter am
Abend mehr als genug nach Haus bringen. Das
war ein herrliches Labſal, bis ich mich einſt daran
bis zum Eckel uͤberfraß. — Und welch Vergnuͤgen
machte mir nicht jeder Tag, jeder neue Morgen;
wenn jetzt die Sonne die Huͤgel vergoldete, denen ich
mit meiner Heerde entgegegenſtieg; dann jenen hal-
digen Buchenwald, und endlich die Wieſen und Waid-
plaͤtze beſchien. Tauſendmal denk’ ich dran; und oft
duͤnkt’s mich, die Sonne ſcheine jetzt nicht mehr ſo
ſchoͤn. Wann dann alle anliegenden Gebuͤſche von
jubilirenden Vaͤgeln ertoͤnten, und dieſelben um mich
her huͤpften — O! Was fuͤhlt’ ich da! — Ha, ich
weiß es nicht! — Halt ſuͤſſe, ſuͤſſe Luſt! Da ſang’ und
trillerte ich dann mit, bis ich heiſer ward. Ein an-
dermal ſpuͤrte ich dieſen mutern Waldbuͤrgern durch
alle Stauden nach, ergoͤtzte mich an ihrem huͤbſchen
Gefieder, und wuͤnſchte, daß ſie nur halb ſo zahm
waͤren wie meine Geiſſen; beguckte ihre Jungen und
ihre Eyer, und erſtaunte uͤber den wundervollen Bau
ihrer Neſter. Oft fand ich deren in der Erde, im
Mooß, im Farrn, unter alten Stoͤcken, in den dick-
ſten Doͤrnen, in Felsritzen, in hohlen Tannen oder
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/43>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.