weg hatt' ich alle Morgen eine Stund Wegs zu fah- ren, eh' ich nur ein Thier durfte anbeissen lassen; erst durch unsre Viehwaid, dann durch einen grossen Wald, u. s. f. u. f. in die Kreutz und Querre, bald durch diese, bald durch jene Abtheilung der Ge- gend, deren jede ich mit einem eigenen Namen taufte. Da hieß es, im vordern Boden; dort, zwi- schen den Felsen; hier in der Weißlauwe, dort im Köllermelch, auf der Blatten, im Kessel, u. s. f. Alle Tag hütete ich an einem andern Ort, bald son- nen-bald schattenhalb. Zu Mittag aß ich mein Brödt- lin, und was mir sonst etwa die Mutter verstohlen mitgab. Auch hatt' ich meine eigne Geiß, an der ich sog. Die Geißaugen waren meine Uhr. Gegen Abend fuhr ich immer wieder den nämlichen Weg nach Haus, auf dem ich gekommen war.
XVI. Vergnügen im Hirtenstand.
Welche Lust, bey angenehmen Sommertagen über die Hügel fahren -- durch Schattenwälder streichen -- durchs Gebüsch Einhörnchen jagen, und Vogelnester ausnehmen! Alle Mittag lagerten wir uns am Bach; da ruhten meine Geissen zwey bis drey Stunden aus, wann es heiß war noch mehr. Ich aß mein Mittagbrodt, sog mein Geißchen, badete im spiegelhellen Wasser, und spielte mit den jungen Gitzen. Immer hatt' ich einen Gertel oder eine kleine Arte bey mir, und fällte junge Tännchen, Weiden oder Ilmen. Dann
weg hatt’ ich alle Morgen eine Stund Wegs zu fah- ren, eh’ ich nur ein Thier durfte anbeiſſen laſſen; erſt durch unſre Viehwaid, dann durch einen groſſen Wald, u. ſ. f. u. f. in die Kreutz und Querre, bald durch dieſe, bald durch jene Abtheilung der Ge- gend, deren jede ich mit einem eigenen Namen taufte. Da hieß es, im vordern Boden; dort, zwi- ſchen den Felſen; hier in der Weißlauwe, dort im Koͤllermelch, auf der Blatten, im Keſſel, u. ſ. f. Alle Tag huͤtete ich an einem andern Ort, bald ſon- nen-bald ſchattenhalb. Zu Mittag aß ich mein Broͤdt- lin, und was mir ſonſt etwa die Mutter verſtohlen mitgab. Auch hatt’ ich meine eigne Geiß, an der ich ſog. Die Geißaugen waren meine Uhr. Gegen Abend fuhr ich immer wieder den naͤmlichen Weg nach Haus, auf dem ich gekommen war.
XVI. Vergnuͤgen im Hirtenſtand.
Welche Luſt, bey angenehmen Sommertagen uͤber die Huͤgel fahren — durch Schattenwaͤlder ſtreichen — durchs Gebuͤſch Einhoͤrnchen jagen, und Vogelneſter ausnehmen! Alle Mittag lagerten wir uns am Bach; da ruhten meine Geiſſen zwey bis drey Stunden aus, wann es heiß war noch mehr. Ich aß mein Mittagbrodt, ſog mein Geißchen, badete im ſpiegelhellen Waſſer, und ſpielte mit den jungen Gitzen. Immer hatt’ ich einen Gertel oder eine kleine Arte bey mir, und faͤllte junge Taͤnnchen, Weiden oder Ilmen. Dann
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weg hatt’ ich alle Morgen eine Stund Wegs zu fah-
ren, eh’ ich nur ein Thier durfte anbeiſſen laſſen;
erſt durch unſre Viehwaid, dann durch einen groſſen
Wald, u. ſ. f. u. f. in die Kreutz und Querre,
bald durch dieſe, bald durch jene Abtheilung der Ge-
gend, deren jede ich mit einem eigenen Namen
taufte. Da hieß es, im vordern Boden; dort, zwi-
ſchen den Felſen; hier in der Weißlauwe, dort im
Koͤllermelch, auf der Blatten, im Keſſel, u. ſ. f.
Alle Tag huͤtete ich an einem andern Ort, bald ſon-
nen-bald ſchattenhalb. Zu Mittag aß ich mein Broͤdt-
lin, und was mir ſonſt etwa die Mutter verſtohlen
mitgab. Auch hatt’ ich meine eigne Geiß, an der
ich ſog. Die Geißaugen waren meine Uhr. Gegen
Abend fuhr ich immer wieder den naͤmlichen Weg
nach Haus, auf dem ich gekommen war.
XVI.
Vergnuͤgen im Hirtenſtand.
Welche Luſt, bey angenehmen Sommertagen uͤber
die Huͤgel fahren — durch Schattenwaͤlder ſtreichen —
durchs Gebuͤſch Einhoͤrnchen jagen, und Vogelneſter
ausnehmen! Alle Mittag lagerten wir uns am Bach;
da ruhten meine Geiſſen zwey bis drey Stunden aus,
wann es heiß war noch mehr. Ich aß mein Mittagbrodt,
ſog mein Geißchen, badete im ſpiegelhellen Waſſer,
und ſpielte mit den jungen Gitzen. Immer hatt’
ich einen Gertel oder eine kleine Arte bey mir, und
faͤllte junge Taͤnnchen, Weiden oder Ilmen. Dann
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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/42>, abgerufen am 20.04.2024.
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