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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

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Edelsitz, am Fuß eines Berges, von dessen Spitze
man eine trefliche Aussicht beynahe über das ganze
Land genießt, die mir schon so manchmal das ent-
zückendste Vergnügen gewährte: Bald in das mit
Dörfern reich besetzte Thal hinab; bald auf die mit
den fettesten Waiden, Wiesen und Gehölze bekleide-
ten, und abermals mit zahllosen Häusern übersäete
Anhöhen zu beyden Seiten, über welche sich noch die
Gipfel der Alpen hoch in die Wolken erheben; dann
wieder hinunter auf die durch viele Krümmungen
sich mitten durch unser Hauptthal schlängelnde Thur,
deren Dämme und mit Erlen und Weiden bepflanz-
ten Ufer die angenehmsten Spatziergänge bilden. Mein
hölzernes Häuschen liegt gerade da, wo das Gelän-
de am allerlieblichsten ist; und besteht aus 1. Stube,
3. Kammern, Küche und Keller -- Potz Tausend
die Nebenstube hätt' ich bald vergessen! -- einem
Geißställchen, Holzschopf, und dann rings um's Häus-
chen ein Gärtchen, mit etlichen kleinen Bäumen be-
setzt, und mit einem Dornhag dapfer umzäunt. Aus
meinem Fenster hör' ich von drey bis vier Orten
her läuten und schlagen. Kaum etliche Schritte vor
meiner Thüre liegt ein meinem Nachbar zudienender
artiger beschatteter Rasenplatz. Von da seh' ich senk-
recht in die Thur hinab -- auf die Bleicken hin-
über -- auf das schöne Dorf Wattweil -- auf das
Städtgen Lichtensteig -- und hinwieder durch's Thal
hinauf. Hinter meinem Haus rinnt ein Bach her-
ab, der Thur zu, der aus einem romantischen To-
bel kömmt, wo er über Steinschrofen daherrauscht.
Sein jenseitiges Ufer ist ein sonneureiches Wäldchen,
mit einer hohen Felswand begränzt. In dieser ni-
sten alle Jahr' etliche Sperber und Habichte in einer
unzugänglichen Höhle. Diese, und dann noch ein ge-

Edelſitz, am Fuß eines Berges, von deſſen Spitze
man eine trefliche Ausſicht beynahe uͤber das ganze
Land genießt, die mir ſchon ſo manchmal das ent-
zuͤckendſte Vergnuͤgen gewaͤhrte: Bald in das mit
Doͤrfern reich beſetzte Thal hinab; bald auf die mit
den fetteſten Waiden, Wieſen und Gehoͤlze bekleide-
ten, und abermals mit zahlloſen Haͤuſern uͤberſaͤete
Anhoͤhen zu beyden Seiten, uͤber welche ſich noch die
Gipfel der Alpen hoch in die Wolken erheben; dann
wieder hinunter auf die durch viele Kruͤmmungen
ſich mitten durch unſer Hauptthal ſchlaͤngelnde Thur,
deren Daͤmme und mit Erlen und Weiden bepflanz-
ten Ufer die angenehmſten Spatziergaͤnge bilden. Mein
hoͤlzernes Haͤuschen liegt gerade da, wo das Gelaͤn-
de am allerlieblichſten iſt; und beſteht aus 1. Stube,
3. Kammern, Kuͤche und Keller — Potz Tauſend
die Nebenſtube haͤtt’ ich bald vergeſſen! — einem
Geißſtaͤllchen, Holzſchopf, und dann rings um’s Haͤus-
chen ein Gaͤrtchen, mit etlichen kleinen Baͤumen be-
ſetzt, und mit einem Dornhag dapfer umzaͤunt. Aus
meinem Fenſter hoͤr’ ich von drey bis vier Orten
her laͤuten und ſchlagen. Kaum etliche Schritte vor
meiner Thuͤre liegt ein meinem Nachbar zudienender
artiger beſchatteter Raſenplatz. Von da ſeh’ ich ſenk-
recht in die Thur hinab — auf die Bleicken hin-
uͤber — auf das ſchoͤne Dorf Wattweil — auf das
Staͤdtgen Lichtenſteig — und hinwieder durch’s Thal
hinauf. Hinter meinem Haus rinnt ein Bach her-
ab, der Thur zu, der aus einem romantiſchen To-
bel koͤmmt, wo er uͤber Steinſchrofen daherrauſcht.
Sein jenſeitiges Ufer iſt ein ſonneureiches Waͤldchen,
mit einer hohen Felswand begraͤnzt. In dieſer ni-
ſten alle Jahr’ etliche Sperber und Habichte in einer
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[277/0293] Edelſitz, am Fuß eines Berges, von deſſen Spitze man eine trefliche Ausſicht beynahe uͤber das ganze Land genießt, die mir ſchon ſo manchmal das ent- zuͤckendſte Vergnuͤgen gewaͤhrte: Bald in das mit Doͤrfern reich beſetzte Thal hinab; bald auf die mit den fetteſten Waiden, Wieſen und Gehoͤlze bekleide- ten, und abermals mit zahlloſen Haͤuſern uͤberſaͤete Anhoͤhen zu beyden Seiten, uͤber welche ſich noch die Gipfel der Alpen hoch in die Wolken erheben; dann wieder hinunter auf die durch viele Kruͤmmungen ſich mitten durch unſer Hauptthal ſchlaͤngelnde Thur, deren Daͤmme und mit Erlen und Weiden bepflanz- ten Ufer die angenehmſten Spatziergaͤnge bilden. Mein hoͤlzernes Haͤuschen liegt gerade da, wo das Gelaͤn- de am allerlieblichſten iſt; und beſteht aus 1. Stube, 3. Kammern, Kuͤche und Keller — Potz Tauſend die Nebenſtube haͤtt’ ich bald vergeſſen! — einem Geißſtaͤllchen, Holzſchopf, und dann rings um’s Haͤus- chen ein Gaͤrtchen, mit etlichen kleinen Baͤumen be- ſetzt, und mit einem Dornhag dapfer umzaͤunt. Aus meinem Fenſter hoͤr’ ich von drey bis vier Orten her laͤuten und ſchlagen. Kaum etliche Schritte vor meiner Thuͤre liegt ein meinem Nachbar zudienender artiger beſchatteter Raſenplatz. Von da ſeh’ ich ſenk- recht in die Thur hinab — auf die Bleicken hin- uͤber — auf das ſchoͤne Dorf Wattweil — auf das Staͤdtgen Lichtenſteig — und hinwieder durch’s Thal hinauf. Hinter meinem Haus rinnt ein Bach her- ab, der Thur zu, der aus einem romantiſchen To- bel koͤmmt, wo er uͤber Steinſchrofen daherrauſcht. Sein jenſeitiges Ufer iſt ein ſonneureiches Waͤldchen, mit einer hohen Felswand begraͤnzt. In dieſer ni- ſten alle Jahr’ etliche Sperber und Habichte in einer unzugaͤnglichen Hoͤhle. Dieſe, und dann noch ein ge-

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Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/293>, abgerufen am 25.11.2024.