wenn sich denn derselbe --- glücklicher oder unglückli- cher Weise eräugnete --- ich schon zum Voraus an al- len Gliedern zitterte. --- Meinem Weib hab' ich nie Unrecht gethan --- es müßte denn das Unrecht heis- sen, daß ich mich nie ihr unterthan machen wollte. Nie hab' ich mich an ihr vergriffen; und wenn sie mich auch auf's Aeusserste brachte, so nahm ich lieber den Weiten. Herzlich gern hätt' ich ihr alles ersinn- liche Vergnügen gemacht, und ihr, was sie nur im- mer gelüstete, zukommen lassen. Aber von meiner Hand war ihr niemals nichts recht; es fehlte immer an einem Zipfel. Ich ließ darum zuletzt das Kra- men und Laufen bleiben. Da war's wieder nicht recht. -- Auch meinen Kindern that ich nicht Un- recht; es müßte denn das Unrecht seyn, daß ich ih- nen nicht Schätze sammelte, oder wenigstens meinem Geld nicht besser geschont habe. In den ersten Jah- ren meines Ehestands nahm ich mit ihnen eine schar- fe Zucht vor die Hand. Als aber itzt meine zwey Erstgebohrnen starben, macht' ich mir Vorwürfe, ich sey nur zu streng mit ihnen umgegangen, obschon sie mir in der Seele lieb waren. Nun verfuhr ich mit den übriggebliebenen nur zu gelinde, schonte ihnen mit Arbeit und Schlägen, verschaffete ihnen allerhand Freuden, und ließ ihnen zukommen was nur immer in meinem Vermögen stand -- bis ich anfieng einzu- sehn, daß meines Weibs dießfällige öftere Vorwürfe wirklich nicht unbegründet waren. Denn schon wa- ren mir meine Jungen ziemlich über die Hand ge- wachsen, und ich mußte eine ganz andre Miene an-
wenn ſich denn derſelbe --- gluͤcklicher oder ungluͤckli- cher Weiſe eraͤugnete --- ich ſchon zum Voraus an al- len Gliedern zitterte. --- Meinem Weib hab’ ich nie Unrecht gethan --- es muͤßte denn das Unrecht heiſ- ſen, daß ich mich nie ihr unterthan machen wollte. Nie hab’ ich mich an ihr vergriffen; und wenn ſie mich auch auf’s Aeuſſerſte brachte, ſo nahm ich lieber den Weiten. Herzlich gern haͤtt’ ich ihr alles erſinn- liche Vergnuͤgen gemacht, und ihr, was ſie nur im- mer geluͤſtete, zukommen laſſen. Aber von meiner Hand war ihr niemals nichts recht; es fehlte immer an einem Zipfel. Ich ließ darum zuletzt das Kra- men und Laufen bleiben. Da war’s wieder nicht recht. — Auch meinen Kindern that ich nicht Un- recht; es muͤßte denn das Unrecht ſeyn, daß ich ih- nen nicht Schaͤtze ſammelte, oder wenigſtens meinem Geld nicht beſſer geſchont habe. In den erſten Jah- ren meines Eheſtands nahm ich mit ihnen eine ſchar- fe Zucht vor die Hand. Als aber itzt meine zwey Erſtgebohrnen ſtarben, macht’ ich mir Vorwuͤrfe, ich ſey nur zu ſtreng mit ihnen umgegangen, obſchon ſie mir in der Seele lieb waren. Nun verfuhr ich mit den uͤbriggebliebenen nur zu gelinde, ſchonte ihnen mit Arbeit und Schlaͤgen, verſchaffete ihnen allerhand Freuden, und ließ ihnen zukommen was nur immer in meinem Vermoͤgen ſtand — bis ich anfieng einzu- ſehn, daß meines Weibs dießfaͤllige oͤftere Vorwuͤrfe wirklich nicht unbegruͤndet waren. Denn ſchon wa- ren mir meine Jungen ziemlich uͤber die Hand ge- wachſen, und ich mußte eine ganz andre Miene an-
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wenn ſich denn derſelbe --- gluͤcklicher oder ungluͤckli-
cher Weiſe eraͤugnete --- ich ſchon zum Voraus an al-
len Gliedern zitterte. --- Meinem Weib hab’ ich nie
Unrecht gethan --- es muͤßte denn das Unrecht heiſ-
ſen, daß ich mich nie ihr unterthan machen wollte.
Nie hab’ ich mich an ihr vergriffen; und wenn ſie
mich auch auf’s Aeuſſerſte brachte, ſo nahm ich lieber
den Weiten. Herzlich gern haͤtt’ ich ihr alles erſinn-
liche Vergnuͤgen gemacht, und ihr, was ſie nur im-
mer geluͤſtete, zukommen laſſen. Aber von meiner
Hand war ihr niemals nichts recht; es fehlte immer
an einem Zipfel. Ich ließ darum zuletzt das Kra-
men und Laufen bleiben. Da war’s wieder nicht
recht. — Auch meinen Kindern that ich nicht Un-
recht; es muͤßte denn das Unrecht ſeyn, daß ich ih-
nen nicht Schaͤtze ſammelte, oder wenigſtens meinem
Geld nicht beſſer geſchont habe. In den erſten Jah-
ren meines Eheſtands nahm ich mit ihnen eine ſchar-
fe Zucht vor die Hand. Als aber itzt meine zwey
Erſtgebohrnen ſtarben, macht’ ich mir Vorwuͤrfe,
ich ſey nur zu ſtreng mit ihnen umgegangen, obſchon
ſie mir in der Seele lieb waren. Nun verfuhr ich mit
den uͤbriggebliebenen nur zu gelinde, ſchonte ihnen
mit Arbeit und Schlaͤgen, verſchaffete ihnen allerhand
Freuden, und ließ ihnen zukommen was nur immer
in meinem Vermoͤgen ſtand — bis ich anfieng einzu-
ſehn, daß meines Weibs dießfaͤllige oͤftere Vorwuͤrfe
wirklich nicht unbegruͤndet waren. Denn ſchon wa-
ren mir meine Jungen ziemlich uͤber die Hand ge-
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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/274>, abgerufen am 25.11.2024.
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