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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

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tzen weiß. Und Freund N. schätzt das seinige him-
melhoch, ohn' es doch recht zu kennen. Sie lobt ihm
alles; und wenn ihr etwas auch noch so sehr miß-
fällt, heißt es nur mit einem holden Lächeln: "Es
"mag gut seyn; aber ich hätt's doch lieber so und
"so gesehn. Schatze! Mir zu gefallen mach's auf
"diese Art". Nie hab' ich ein bitter Wort oder
eine böse Miene gegen ihn bemerkt, auch nie von
andern vernommen, der diese gesehen oder jenes ge-
hört hätte. Obgleich nun übrigens freylich ein sol-
cher Zeisig bisweilen mich etwas lüstern, und der
Contrast zwischen ihr und meiner Bethesgenoßin,
nicht selten ein wenig düster gemacht, war ich doch
im Grund des Herzens mit meinem Loos nie eigent-
lich unzufrieden, fest überzeugt, mein guter Vater
im Himmel habe auch in dieser Rücksicht -- denn
warum in dieser allein nicht? -- die beßte Wahl
getroffen. Ist's ja doch offenbar, daß gerade eine
solche Hälfte und keine andre es seyn mußte, die meiner
Neigung zu allen Arten von Ausschweifungen Schran-
ken setzte. Solch ein weiblicher Poldrianus sollte mir
das Lächerliche und Verhaßte jeder allzuheftigen Ge-
müthsbewegung -- wie die lacedämonischen Sklaven
den Buben ihrer Herren das Laster der Trunkenheit
-- in Natura zeigen, und dergestalt Ein Teufel den
andern austreiben. Solch eine karge Sparbüre müßt'
es seyn, die meiner Freygebigkeit und Geldverach-
tung das Gleichgewicht hielt -- mir zu Nutz' und
ihr zur Strafe, nach dem herrlichen Sprichwort:
Ein Sparer muß einen Geuder *) haben. Solch ein

*) Verschwender.

tzen weiß. Und Freund N. ſchaͤtzt das ſeinige him-
melhoch, ohn’ es doch recht zu kennen. Sie lobt ihm
alles; und wenn ihr etwas auch noch ſo ſehr miß-
faͤllt, heißt es nur mit einem holden Laͤcheln: „Es
„mag gut ſeyn; aber ich haͤtt’s doch lieber ſo und
„ſo geſehn. Schatze! Mir zu gefallen mach’s auf
„dieſe Art„. Nie hab’ ich ein bitter Wort oder
eine boͤſe Miene gegen ihn bemerkt, auch nie von
andern vernommen, der dieſe geſehen oder jenes ge-
hoͤrt haͤtte. Obgleich nun uͤbrigens freylich ein ſol-
cher Zeiſig bisweilen mich etwas luͤſtern, und der
Contraſt zwiſchen ihr und meiner Bethesgenoßin,
nicht ſelten ein wenig duͤſter gemacht, war ich doch
im Grund des Herzens mit meinem Loos nie eigent-
lich unzufrieden, feſt uͤberzeugt, mein guter Vater
im Himmel habe auch in dieſer Ruͤckſicht — denn
warum in dieſer allein nicht? — die beßte Wahl
getroffen. Iſt’s ja doch offenbar, daß gerade eine
ſolche Haͤlfte und keine andre es ſeyn mußte, die meiner
Neigung zu allen Arten von Ausſchweifungen Schran-
ken ſetzte. Solch ein weiblicher Poldrianus ſollte mir
das Laͤcherliche und Verhaßte jeder allzuheftigen Ge-
muͤthsbewegung — wie die lacedaͤmoniſchen Sklaven
den Buben ihrer Herren das Laſter der Trunkenheit
— in Natura zeigen, und dergeſtalt Ein Teufel den
andern austreiben. Solch eine karge Sparbuͤre muͤßt’
es ſeyn, die meiner Freygebigkeit und Geldverach-
tung das Gleichgewicht hielt — mir zu Nutz’ und
ihr zur Strafe, nach dem herrlichen Sprichwort:
Ein Sparer muß einen Geuder *) haben. Solch ein

*) Verſchwender.
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[252/0268] tzen weiß. Und Freund N. ſchaͤtzt das ſeinige him- melhoch, ohn’ es doch recht zu kennen. Sie lobt ihm alles; und wenn ihr etwas auch noch ſo ſehr miß- faͤllt, heißt es nur mit einem holden Laͤcheln: „Es „mag gut ſeyn; aber ich haͤtt’s doch lieber ſo und „ſo geſehn. Schatze! Mir zu gefallen mach’s auf „dieſe Art„. Nie hab’ ich ein bitter Wort oder eine boͤſe Miene gegen ihn bemerkt, auch nie von andern vernommen, der dieſe geſehen oder jenes ge- hoͤrt haͤtte. Obgleich nun uͤbrigens freylich ein ſol- cher Zeiſig bisweilen mich etwas luͤſtern, und der Contraſt zwiſchen ihr und meiner Bethesgenoßin, nicht ſelten ein wenig duͤſter gemacht, war ich doch im Grund des Herzens mit meinem Loos nie eigent- lich unzufrieden, feſt uͤberzeugt, mein guter Vater im Himmel habe auch in dieſer Ruͤckſicht — denn warum in dieſer allein nicht? — die beßte Wahl getroffen. Iſt’s ja doch offenbar, daß gerade eine ſolche Haͤlfte und keine andre es ſeyn mußte, die meiner Neigung zu allen Arten von Ausſchweifungen Schran- ken ſetzte. Solch ein weiblicher Poldrianus ſollte mir das Laͤcherliche und Verhaßte jeder allzuheftigen Ge- muͤthsbewegung — wie die lacedaͤmoniſchen Sklaven den Buben ihrer Herren das Laſter der Trunkenheit — in Natura zeigen, und dergeſtalt Ein Teufel den andern austreiben. Solch eine karge Sparbuͤre muͤßt’ es ſeyn, die meiner Freygebigkeit und Geldverach- tung das Gleichgewicht hielt — mir zu Nutz’ und ihr zur Strafe, nach dem herrlichen Sprichwort: Ein Sparer muß einen Geuder *) haben. Solch ein *) Verſchwender.

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Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/268>, abgerufen am 25.11.2024.