Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

einer vorgenommenen Reformation, nebst andern
Geschlechtern, welche, wie das seinige, nicht genug-
same Urkunden darbringen mochten, ausgemerzt wor-
den. Mit der Genossami des Stipendii hingegen
hat es seine Richtigkeit, obschon ich auch nicht recht
weiß, wie es gestiftet worden, wer von meinen Vor-
eltern dazu geholfen hat, u. s. f.

Ihr seht also, meine Kinder! daß wir nicht Ursache
haben, ahnenstolz zu seyn. Alle unsre Freunde und
Blutsverwandte sind unbemittelte Leuthe, und von
allen unsern Vorfahren hab' ich nie nichts anders ge-
hört. Fast von keinem, der das geringste Aemtli
bekleidete. Meines Großvaters Bruder war Mesmer
zu Kapel, und sein Sohn Stipendipfleger. Das
ist's alles aus der ganzen weitläuftigen Verwandschaft.
Da können wir ja wohl vor dem Hochmuth gesichert
seyn, der so viele arme Narren anwandelt, wenn
sie reiche und angesehene Vettern haben, obgleich
ihnen diese keinen Pfifferling geben. Nein! Von
uns B. quält, Gott Lob! diese Sucht, so viel ich
weiß keinen einzigen; und ihr seht, meine Kinder!
daß sie auch mich nicht plagt -- sonst hätt' ich wenig-
stens unserm Stammbaum genauer nachgeforscht. Ich
weiß, daß mein Großvater und desselben Vater arme
Leuthe waren, die sich kümmerlich nähren mußten;
daß mein Vater keinen Pfenning erbte; daß ihn die
Noth fein Lebenlang drückte, und er nicht selten über
seinen kleinen Schuldenlast seufzte. Aber deswegen
schäm' ich mich meiner Eltern und Voreltern bey
weitem nicht. Vielmehr bin ich noch eher ein Bis-

einer vorgenommenen Reformation, nebſt andern
Geſchlechtern, welche, wie das ſeinige, nicht genug-
ſame Urkunden darbringen mochten, ausgemerzt wor-
den. Mit der Genoſſami des Stipendii hingegen
hat es ſeine Richtigkeit, obſchon ich auch nicht recht
weiß, wie es geſtiftet worden, wer von meinen Vor-
eltern dazu geholfen hat, u. ſ. f.

Ihr ſeht alſo, meine Kinder! daß wir nicht Urſache
haben, ahnenſtolz zu ſeyn. Alle unſre Freunde und
Blutsverwandte ſind unbemittelte Leuthe, und von
allen unſern Vorfahren hab’ ich nie nichts anders ge-
hoͤrt. Faſt von keinem, der das geringſte Aemtli
bekleidete. Meines Großvaters Bruder war Mesmer
zu Kapel, und ſein Sohn Stipendipfleger. Das
iſt’s alles aus der ganzen weitlaͤuftigen Verwandſchaft.
Da koͤnnen wir ja wohl vor dem Hochmuth geſichert
ſeyn, der ſo viele arme Narren anwandelt, wenn
ſie reiche und angeſehene Vettern haben, obgleich
ihnen dieſe keinen Pfifferling geben. Nein! Von
uns B. quaͤlt, Gott Lob! dieſe Sucht, ſo viel ich
weiß keinen einzigen; und ihr ſeht, meine Kinder!
daß ſie auch mich nicht plagt — ſonſt haͤtt’ ich wenig-
ſtens unſerm Stammbaum genauer nachgeforſcht. Ich
weiß, daß mein Großvater und deſſelben Vater arme
Leuthe waren, die ſich kuͤmmerlich naͤhren mußten;
daß mein Vater keinen Pfenning erbte; daß ihn die
Noth fein Lebenlang druͤckte, und er nicht ſelten uͤber
ſeinen kleinen Schuldenlaſt ſeufzte. Aber deswegen
ſchaͤm’ ich mich meiner Eltern und Voreltern bey
weitem nicht. Vielmehr bin ich noch eher ein Bis-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0020" n="4"/>
einer vorgenommenen Reformation, neb&#x017F;t andern<lb/>
Ge&#x017F;chlechtern, welche, wie das &#x017F;einige, nicht genug-<lb/>
&#x017F;ame Urkunden darbringen mochten, ausgemerzt wor-<lb/>
den. Mit der Geno&#x017F;&#x017F;ami des Stipendii hingegen<lb/>
hat es &#x017F;eine Richtigkeit, ob&#x017F;chon ich auch nicht recht<lb/>
weiß, wie es ge&#x017F;tiftet worden, wer von meinen Vor-<lb/>
eltern dazu geholfen hat, u. &#x017F;. f.</p><lb/>
        <p>Ihr &#x017F;eht al&#x017F;o, meine Kinder! daß wir nicht Ur&#x017F;ache<lb/>
haben, ahnen&#x017F;tolz zu &#x017F;eyn. Alle un&#x017F;re Freunde und<lb/>
Blutsverwandte &#x017F;ind unbemittelte Leuthe, und von<lb/>
allen un&#x017F;ern Vorfahren hab&#x2019; ich nie nichts anders ge-<lb/>
ho&#x0364;rt. Fa&#x017F;t von keinem, der das gering&#x017F;te Aemtli<lb/>
bekleidete. Meines Großvaters Bruder war Mesmer<lb/>
zu <hi rendition="#fr">Kapel,</hi> und &#x017F;ein Sohn Stipendipfleger. Das<lb/>
i&#x017F;t&#x2019;s alles aus der ganzen weitla&#x0364;uftigen Verwand&#x017F;chaft.<lb/>
Da ko&#x0364;nnen wir ja wohl vor dem Hochmuth ge&#x017F;ichert<lb/>
&#x017F;eyn, der &#x017F;o viele arme Narren anwandelt, wenn<lb/>
&#x017F;ie reiche und ange&#x017F;ehene Vettern haben, obgleich<lb/>
ihnen die&#x017F;e keinen Pfifferling geben. Nein! Von<lb/>
uns <hi rendition="#fr">B.</hi> qua&#x0364;lt, Gott Lob! die&#x017F;e Sucht, &#x017F;o viel ich<lb/>
weiß keinen einzigen; und ihr &#x017F;eht, meine Kinder!<lb/>
daß &#x017F;ie auch mich nicht plagt &#x2014; &#x017F;on&#x017F;t ha&#x0364;tt&#x2019; ich wenig-<lb/>
&#x017F;tens un&#x017F;erm Stammbaum genauer nachgefor&#x017F;cht. Ich<lb/>
weiß, daß mein Großvater und de&#x017F;&#x017F;elben Vater arme<lb/>
Leuthe waren, die &#x017F;ich ku&#x0364;mmerlich na&#x0364;hren mußten;<lb/>
daß mein Vater keinen Pfenning erbte; daß ihn die<lb/>
Noth fein Lebenlang dru&#x0364;ckte, und er nicht &#x017F;elten u&#x0364;ber<lb/>
&#x017F;einen kleinen Schuldenla&#x017F;t &#x017F;eufzte. Aber deswegen<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;m&#x2019; ich mich meiner Eltern und Voreltern bey<lb/>
weitem nicht. Vielmehr bin ich noch eher ein Bis-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[4/0020] einer vorgenommenen Reformation, nebſt andern Geſchlechtern, welche, wie das ſeinige, nicht genug- ſame Urkunden darbringen mochten, ausgemerzt wor- den. Mit der Genoſſami des Stipendii hingegen hat es ſeine Richtigkeit, obſchon ich auch nicht recht weiß, wie es geſtiftet worden, wer von meinen Vor- eltern dazu geholfen hat, u. ſ. f. Ihr ſeht alſo, meine Kinder! daß wir nicht Urſache haben, ahnenſtolz zu ſeyn. Alle unſre Freunde und Blutsverwandte ſind unbemittelte Leuthe, und von allen unſern Vorfahren hab’ ich nie nichts anders ge- hoͤrt. Faſt von keinem, der das geringſte Aemtli bekleidete. Meines Großvaters Bruder war Mesmer zu Kapel, und ſein Sohn Stipendipfleger. Das iſt’s alles aus der ganzen weitlaͤuftigen Verwandſchaft. Da koͤnnen wir ja wohl vor dem Hochmuth geſichert ſeyn, der ſo viele arme Narren anwandelt, wenn ſie reiche und angeſehene Vettern haben, obgleich ihnen dieſe keinen Pfifferling geben. Nein! Von uns B. quaͤlt, Gott Lob! dieſe Sucht, ſo viel ich weiß keinen einzigen; und ihr ſeht, meine Kinder! daß ſie auch mich nicht plagt — ſonſt haͤtt’ ich wenig- ſtens unſerm Stammbaum genauer nachgeforſcht. Ich weiß, daß mein Großvater und deſſelben Vater arme Leuthe waren, die ſich kuͤmmerlich naͤhren mußten; daß mein Vater keinen Pfenning erbte; daß ihn die Noth fein Lebenlang druͤckte, und er nicht ſelten uͤber ſeinen kleinen Schuldenlaſt ſeufzte. Aber deswegen ſchaͤm’ ich mich meiner Eltern und Voreltern bey weitem nicht. Vielmehr bin ich noch eher ein Bis-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/20
Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/20>, abgerufen am 21.11.2024.