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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

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chen; denn er merkte, daß ich wußte, wo die Katz
im Stroh lag. Nichts desto weniger warnte er mich,
nach solcher Herren Weise, oft vor seinen eignen
Sünden mit grossem Ernst. "Ollrich"! hieß es
da: "Hörst, mußt dich mir den Mädels nicht zu weit
"einlassen; du könnt'st die schwere Noth kriegen"!
Uebrigens hatt' ich's in allen Dingen bey und mit
ihm, wie von Anfang; viel Wohlleben für wenig
Geschäfte, und meist einen Patron wie die liebe Stun-
de, zwey einige Mal ausgenommen; einmal da ich
den Schlüssel zum Halsband seines Pudels nicht auf
der Stell' finden konnte, das andremal da ich einen
Spiegel sollte zerbrochen haben. Beydemal war ich
unschuldig. Aber das hätt' mir wenig geholfen;
sondern nur durch demüthiges Schweigen entgieng
ich der zumal des Schlüssels wegen schon über mir
gezogenen Fuchtel. Derley Geschichtgen, kurz alles
was mir Süsses oder Sauers wiederfuhr, (meine
Liebesmücken ausgenommen) schrieb ich dann fleißig
nach Haus, und predigte bey solchen Anlässen meinen
Geschwistern ganze Litaneyen voll: Wie sie Vater,
Mutter und andern Fürgesetzten ja nie wiederbefzgen,
sondern, auch wo sie Unrecht zu leiden vermeynen,
sich fein hübsch gewöhnen sollten das Maul zu halten,
damit sie's nicht von fremden Leuthen erst zu späth
lernen müssen. Alle meine Briefe ließ ich meinen
Herrn lesen; nicht selten klopfte er mir während
der Lektur auf die Schulter: Bravo, Bravo! sagte
er dann, verpittschierte sie mit seinem Siegel, und
hielt mich hinwieder in Ansehung aller an mich ein-
gehnden Depeschen portfrey.

chen; denn er merkte, daß ich wußte, wo die Katz
im Stroh lag. Nichts deſto weniger warnte er mich,
nach ſolcher Herren Weiſe, oft vor ſeinen eignen
Suͤnden mit groſſem Ernſt. „Ollrich„! hieß es
da: „Hoͤrſt, mußt dich mir den Maͤdels nicht zu weit
„einlaſſen; du koͤnnt’ſt die ſchwere Noth kriegen„!
Uebrigens hatt’ ich’s in allen Dingen bey und mit
ihm, wie von Anfang; viel Wohlleben fuͤr wenig
Geſchaͤfte, und meiſt einen Patron wie die liebe Stun-
de, zwey einige Mal ausgenommen; einmal da ich
den Schluͤſſel zum Halsband ſeines Pudels nicht auf
der Stell’ finden konnte, das andremal da ich einen
Spiegel ſollte zerbrochen haben. Beydemal war ich
unſchuldig. Aber das haͤtt’ mir wenig geholfen;
ſondern nur durch demuͤthiges Schweigen entgieng
ich der zumal des Schluͤſſels wegen ſchon uͤber mir
gezogenen Fuchtel. Derley Geſchichtgen, kurz alles
was mir Suͤſſes oder Sauers wiederfuhr, (meine
Liebesmuͤcken ausgenommen) ſchrieb ich dann fleißig
nach Haus, und predigte bey ſolchen Anlaͤſſen meinen
Geſchwiſtern ganze Litaneyen voll: Wie ſie Vater,
Mutter und andern Fuͤrgeſetzten ja nie wiederbefzgen,
ſondern, auch wo ſie Unrecht zu leiden vermeynen,
ſich fein huͤbſch gewoͤhnen ſollten das Maul zu halten,
damit ſie’s nicht von fremden Leuthen erſt zu ſpaͤth
lernen muͤſſen. Alle meine Briefe ließ ich meinen
Herrn leſen; nicht ſelten klopfte er mir waͤhrend
der Lektur auf die Schulter: Bravo, Bravo! ſagte
er dann, verpittſchierte ſie mit ſeinem Siegel, und
hielt mich hinwieder in Anſehung aller an mich ein-
gehnden Depeſchen portfrey.

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[105/0121] chen; denn er merkte, daß ich wußte, wo die Katz im Stroh lag. Nichts deſto weniger warnte er mich, nach ſolcher Herren Weiſe, oft vor ſeinen eignen Suͤnden mit groſſem Ernſt. „Ollrich„! hieß es da: „Hoͤrſt, mußt dich mir den Maͤdels nicht zu weit „einlaſſen; du koͤnnt’ſt die ſchwere Noth kriegen„! Uebrigens hatt’ ich’s in allen Dingen bey und mit ihm, wie von Anfang; viel Wohlleben fuͤr wenig Geſchaͤfte, und meiſt einen Patron wie die liebe Stun- de, zwey einige Mal ausgenommen; einmal da ich den Schluͤſſel zum Halsband ſeines Pudels nicht auf der Stell’ finden konnte, das andremal da ich einen Spiegel ſollte zerbrochen haben. Beydemal war ich unſchuldig. Aber das haͤtt’ mir wenig geholfen; ſondern nur durch demuͤthiges Schweigen entgieng ich der zumal des Schluͤſſels wegen ſchon uͤber mir gezogenen Fuchtel. Derley Geſchichtgen, kurz alles was mir Suͤſſes oder Sauers wiederfuhr, (meine Liebesmuͤcken ausgenommen) ſchrieb ich dann fleißig nach Haus, und predigte bey ſolchen Anlaͤſſen meinen Geſchwiſtern ganze Litaneyen voll: Wie ſie Vater, Mutter und andern Fuͤrgeſetzten ja nie wiederbefzgen, ſondern, auch wo ſie Unrecht zu leiden vermeynen, ſich fein huͤbſch gewoͤhnen ſollten das Maul zu halten, damit ſie’s nicht von fremden Leuthen erſt zu ſpaͤth lernen muͤſſen. Alle meine Briefe ließ ich meinen Herrn leſen; nicht ſelten klopfte er mir waͤhrend der Lektur auf die Schulter: Bravo, Bravo! ſagte er dann, verpittſchierte ſie mit ſeinem Siegel, und hielt mich hinwieder in Anſehung aller an mich ein- gehnden Depeſchen portfrey.

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Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/121>, abgerufen am 23.11.2024.