"Liebe, liebe Mutter! thu doch nicht so; es wird "mir nicht gänzlich fehlen. Behüt' Euch Gott! "lieber Vater, liebe Mutter! Behüt' Euch Gott "alle, liebe Geschwisterte! Folgt doch dem Vater "und der Mutter! Ich will ihren guten Ermah- "nungen auch folgen in der weit'sten weiten Ferne". Dann gab mir jedes die Hand. Die Zähren rollten ihnen über die feurrothen Backen. Ich mußte fast ersticken. Drauf gab mir die Mutter den Reisbün- del, und gieng dann beyseite. Mein Vater geleitete mich noch ein Stück Wegs. Es war schon Abend- dämmerung. In der Schomatten begegnete mir Caspar Müller. Der gab mir ein artiges Reis- geldlin, und Gottes Geleit auf die Strasse.
XXXV. Itzt noch vom Schätzle.
Nun flog' ich noch zu meinem Aennchen hin, wel- cher ich erst ein Paar Nächte vorher mein Vorhaben entdeckt hatte. Sie ward darüber gewaltig verdrüß- lich, wollt' sich's aber Anfangs nicht merken lassen. "Meinethalben" sagte sie mit ihrem unnachahmli- chen Bitterlächeln, "kannst gehen -- hab' gemeint -- -- "Wer nur so liebt, mag sich packen wo er will". "Ach! Liebchen", sprach ich, "du weist wahrlich "nicht, wie Weh's mir thut; aber du siehst wohl, "mit Ehren könnten wir's so nicht mehr lang aus- "halten. Und ans Heurathen darf ich itzt nur nicht "denken. Bin noch zu jung; du bist noch jünger,
„Liebe, liebe Mutter! thu doch nicht ſo; es wird „mir nicht gaͤnzlich fehlen. Behuͤt’ Euch Gott! „lieber Vater, liebe Mutter! Behuͤt’ Euch Gott „alle, liebe Geſchwiſterte! Folgt doch dem Vater „und der Mutter! Ich will ihren guten Ermah- „nungen auch folgen in der weit’ſten weiten Ferne„. Dann gab mir jedes die Hand. Die Zaͤhren rollten ihnen uͤber die feurrothen Backen. Ich mußte faſt erſticken. Drauf gab mir die Mutter den Reisbuͤn- del, und gieng dann beyſeite. Mein Vater geleitete mich noch ein Stuͤck Wegs. Es war ſchon Abend- daͤmmerung. In der Schomatten begegnete mir Caſpar Muͤller. Der gab mir ein artiges Reis- geldlin, und Gottes Geleit auf die Straſſe.
XXXV. Itzt noch vom Schaͤtzle.
Nun flog’ ich noch zu meinem Aennchen hin, wel- cher ich erſt ein Paar Naͤchte vorher mein Vorhaben entdeckt hatte. Sie ward daruͤber gewaltig verdruͤß- lich, wollt’ ſich’s aber Anfangs nicht merken laſſen. „Meinethalben„ ſagte ſie mit ihrem unnachahmli- chen Bitterlaͤcheln, „kannſt gehen — hab’ gemeint — — „Wer nur ſo liebt, mag ſich packen wo er will„. „Ach! Liebchen„, ſprach ich, „du weiſt wahrlich „nicht, wie Weh’s mir thut; aber du ſiehſt wohl, „mit Ehren koͤnnten wir’s ſo nicht mehr lang aus- „halten. Und ans Heurathen darf ich itzt nur nicht „denken. Bin noch zu jung; du biſt noch juͤnger,
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„Liebe, liebe Mutter! thu doch nicht ſo; es wird
„mir nicht gaͤnzlich fehlen. Behuͤt’ Euch Gott!
„lieber Vater, liebe Mutter! Behuͤt’ Euch Gott
„alle, liebe Geſchwiſterte! Folgt doch dem Vater
„und der Mutter! Ich will ihren guten Ermah-
„nungen auch folgen in der weit’ſten weiten Ferne„.
Dann gab mir jedes die Hand. Die Zaͤhren rollten
ihnen uͤber die feurrothen Backen. Ich mußte faſt
erſticken. Drauf gab mir die Mutter den Reisbuͤn-
del, und gieng dann beyſeite. Mein Vater geleitete
mich noch ein Stuͤck Wegs. Es war ſchon Abend-
daͤmmerung. In der Schomatten begegnete mir
Caſpar Muͤller. Der gab mir ein artiges Reis-
geldlin, und Gottes Geleit auf die Straſſe.
XXXV.
Itzt noch vom Schaͤtzle.
Nun flog’ ich noch zu meinem Aennchen hin, wel-
cher ich erſt ein Paar Naͤchte vorher mein Vorhaben
entdeckt hatte. Sie ward daruͤber gewaltig verdruͤß-
lich, wollt’ ſich’s aber Anfangs nicht merken laſſen.
„Meinethalben„ ſagte ſie mit ihrem unnachahmli-
chen Bitterlaͤcheln, „kannſt gehen — hab’ gemeint — —
„Wer nur ſo liebt, mag ſich packen wo er will„.
„Ach! Liebchen„, ſprach ich, „du weiſt wahrlich
„nicht, wie Weh’s mir thut; aber du ſiehſt wohl,
„mit Ehren koͤnnten wir’s ſo nicht mehr lang aus-
„halten. Und ans Heurathen darf ich itzt nur nicht
„denken. Bin noch zu jung; du biſt noch juͤnger,
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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/100>, abgerufen am 27.07.2024.
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