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Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895.

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Es war | mal ein Kais | er der Kais | er war kur | rig

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Der Creticus (Amphimacer) Winterzeit stellt für uns pbo_084.003
einen unvollständigen (katalektischen) Doppeltrochäus dar; der pbo_084.004
Choriambus, eine Vereinigung von Trochäus und Jambus, pbo_084.005
z. B. Frühlingsgesang bedeutet einen unvollständigen pbo_084.006
Doppeldaktylus. Cretici, in einer Zeile fortgeschrieben, wie pbo_084.007
dies Rückert versucht, aber auch nicht durchgeführt hat:

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Weil im Feld | Frühlingsthau | perlt am jungen Grase pbo_084.009
Soll ich nicht | Freudenquell | lassen taun vom Glase?

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werden Auge und Ohr stetig stutzen lassen, zumal das Ganze pbo_084.011
deutscher Eurhythmie zuliebe doch am Schlusse auf Trochäen pbo_084.012
hinausläuft. Angemessener verfuhr z. B. Matthisson, der Cretici pbo_084.013
als gereimte Verszeilen verwendet:

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Gold'ner Schein pbo_084.015
Deckt den Hain --

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Was die Choriamben anlangt, so scheint der relativ pbo_084.017
häufigste Vers aus ihnen der sogenannte kleinere Asclepiadeus pbo_084.018
(zwei Choriamben, eingerahmt von einem Trochäus vorn und pbo_084.019
einem Jambus hinten) nur deshalb sich leichter bei uns eingeführt pbo_084.020
zu haben, weil er für das deutsche Ohr sich mit dem pbo_084.021
bald zu besprechenden Pentameter deckt. So verwendet ihn pbo_084.022
Klopstock mit dem Glykoneus als zweitem Vers in der dafür pbo_084.023
schon herbeigezogenen Ode Der Lehrling der Griechen*)

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Wen des | Genius Blick | als er gebor | ren ward

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Der Pentameter nämlich ist ein an zwei Stellen, pbo_084.026
nach der Hauptcaesur (Penthemimeres) und am Schluß abgebrochener

*) pbo_084.027
Vergl. Sammlung Göschen Nr. 1. S. 1.
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Es wár | mal ein Káis | er der Káis | er war kúr | rig

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Der Creticus (Amphimacer) Wínterzeít stellt für uns pbo_084.003
einen unvollständigen (katalektischen) Doppeltrochäus dar; der pbo_084.004
Choriambus, eine Vereinigung von Trochäus und Jambus, pbo_084.005
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Doppeldaktylus. Cretici, in einer Zeile fortgeschrieben, wie pbo_084.007
dies Rückert versucht, aber auch nicht durchgeführt hat:

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Wéil im Féld | Frǘhlingstháu | pérlt am júngen Gráse pbo_084.009
Sóll ich nícht | Fréudenquéll | lássen taún vom Gláse?

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werden Auge und Ohr stetig stutzen lassen, zumal das Ganze pbo_084.011
deutscher Eurhythmie zuliebe doch am Schlusse auf Trochäen pbo_084.012
hinausläuft. Angemessener verfuhr z. B. Matthisson, der Cretici pbo_084.013
als gereimte Verszeilen verwendet:

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Góld'ner Schéin pbo_084.015
Déckt den Háin —

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Was die Choriamben anlangt, so scheint der relativ pbo_084.017
häufigste Vers aus ihnen der sogenannte kleinere Asclepiadeus pbo_084.018
(zwei Choriamben, eingerahmt von einem Trochäus vorn und pbo_084.019
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zu haben, weil er für das deutsche Ohr sich mit dem pbo_084.021
bald zu besprechenden Pentameter deckt. So verwendet ihn pbo_084.022
Klopstock mit dem Glykoneus als zweitem Vers in der dafür pbo_084.023
schon herbeigezogenen Ode Der Lehrling der Griechen*)

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Wén des | Génius Blíck | áls er gebór | ren wárd

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Der Pentameter nämlich ist ein an zwei Stellen, pbo_084.026
nach der Hauptcaesur (Penthemimeres) und am Schluß abgebrochener

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Zitationshilfe: Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/borinski_poetik_1895/88>, abgerufen am 06.05.2024.