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Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895.

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Das sind die beiden ersten Akte. Bis hierher läßt sich pbo_116.002
Marias Sache sehr gut an. Am Anfang des dritten Aktes pbo_116.003
sehen wir sie im Vollgenuß der aus Anlaß der Zusammenkunft pbo_116.004
erlangten Freiheit, sich wieder in der Natur, im Parke, pbo_116.005
ergehen zu dürfen. Da auf der Höhe des Stückes, in der pbo_116.006
berühmten vierten Szene dieses Aktes, erfolgt die Peripetie. pbo_116.007
Mit grausamer Kälte und unerträglichem Hochmut tritt Elisabeth pbo_116.008
im Gefühl ihrer Macht der tief gedemütigten Feindin pbo_116.009
entgegen. Sie stellt sich erstaunt, erzürnt über dies Zusammentreffen; pbo_116.010
in unedlem Stolze triumphiert sie über die ihr zu pbo_116.011
Füßen sinkende Unglückliche, so daß diese, nicht mehr fähig, an pbo_116.012
sich zu halten, nunmehr die ganze Erbitterung, den ganzen pbo_116.013
Trotz der durch die illegitime Gegnerin um ihre königlichen pbo_116.014
Rechte gebrachten rechtmäßigen Herrin austoben läßt. Nun pbo_116.015
ist alles aus. Elisabeth geht in höchster Wut. Ein mißglücktes pbo_116.016
Attentat auf sie, bei der Zurückfahrt vom Schlosse pbo_116.017
durch einen von Mortimers katholischen Genossen ausgeführt, pbo_116.018
reizt die Volkswut gegen die papistische Ruhestörerin und giebt pbo_116.019
Elisabeth die lang vermißte Rechtswaffe gegen sie in die Hand. pbo_116.020
Die Anschläge Mortimers, des rasenden Verehrers der Maria, pbo_116.021
mißlingen, da Leicester, um sich selber vom Verdacht zu reinigen, pbo_116.022
ihn festnehmen läßt. Mortimer tötet sich selbst. Leicester pbo_116.023
selbst muß die Katastrophe herbeiführen; der feigherzige, pbo_116.024
doppelsinnige "Werber um zwei Königinnen" muß an der pbo_116.025
Geliebten selbst die Hinrichtung vollziehen. Und jetzt, Auge pbo_116.026
im Auge mit diesem Aeußersten, im Angesicht des Todes erhebt pbo_116.027
sich Maria zu jener tragischen Höhe, die "nichts mehr pbo_116.028
auf Erden hat." Leicester hört ihr Haupt im Nebenraum pbo_116.029
vom Blocke fallen und sinkt ohnmächtig nieder. Elisabeth, von pbo_116.030
ihren Getreuesten verlassen, in vergeblicher Reue über das in pbo_116.031
Leidenschaft verhängte Todesurteil muß den Verlust des Einzigen pbo_116.032
beklagen, dem ihr Herz anhing, Leicesters.

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Das sind die beiden ersten Akte. Bis hierher läßt sich pbo_116.002
Marias Sache sehr gut an. Am Anfang des dritten Aktes pbo_116.003
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in unedlem Stolze triumphiert sie über die ihr zu pbo_116.011
Füßen sinkende Unglückliche, so daß diese, nicht mehr fähig, an pbo_116.012
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Trotz der durch die illegitime Gegnerin um ihre königlichen pbo_116.014
Rechte gebrachten rechtmäßigen Herrin austoben läßt. Nun pbo_116.015
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Attentat auf sie, bei der Zurückfahrt vom Schlosse pbo_116.017
durch einen von Mortimers katholischen Genossen ausgeführt, pbo_116.018
reizt die Volkswut gegen die papistische Ruhestörerin und giebt pbo_116.019
Elisabeth die lang vermißte Rechtswaffe gegen sie in die Hand. pbo_116.020
Die Anschläge Mortimers, des rasenden Verehrers der Maria, pbo_116.021
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doppelsinnige „Werber um zwei Königinnen“ muß an der pbo_116.025
Geliebten selbst die Hinrichtung vollziehen. Und jetzt, Auge pbo_116.026
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sich Maria zu jener tragischen Höhe, die „nichts mehr pbo_116.028
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ihren Getreuesten verlassen, in vergeblicher Reue über das in pbo_116.031
Leidenschaft verhängte Todesurteil muß den Verlust des Einzigen pbo_116.032
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Zitationshilfe: Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/borinski_poetik_1895/120>, abgerufen am 30.04.2024.