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Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895.

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Gebilde, wird hier die künstlerische Anordnung und Auswahl pbo_109.002
des Stoffes sein müssen.

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Hierin begegnet sich der Poet im Dramaturgen mit dem pbo_109.005
Techniker, der in dem engen Rahmen eines Theaterabends pbo_109.006
(2-3 Stunden) auf einem beschränkten, vielfach bedingten pbo_109.007
Lokal (der Bühne) vor einer bunt zusammengewürfelten Menge pbo_109.008
von sehr verschiedener Bildung und Fassungskraft ein Stück pbo_109.009
Welt lebendig und greifbar machen soll. Die Forderungen pbo_109.010
des inneren Baues (der Konstruktion) des Dramas werden pbo_109.011
verstärkt durch diejenigen seiner äußeren Einrichtung bei der pbo_109.012
Aufführung (seiner Oekonomie). Zeit und Raum müssen pbo_109.013
nach Kräften ausgenutzt werden, ohne daß mit der Zeit Langeweile pbo_109.014
oder Ermüdung, im Raume Leere oder Verwirrung pbo_109.015
eintrete. Die Handlung legt sich daher in Hauptstücke (Akte) pbo_109.016
und diese wieder in einheitliche Auftritte (Scenen) auseinander, pbo_109.017
in denen immer wieder je ein bestimmter Entscheidungspunkt pbo_109.018
die Spannung in Atem hält und zugleich nach pbo_109.019
Möglichkeit alles für das Gesamtbild Notwendige an seinem pbo_109.020
Teile angebracht wird. Zwischen die Akte trat als Abwechselung pbo_109.021
bei den Alten der Chor in rein lyrischer Verwendung, pbo_109.022
bei uns gegenwärtig Ruhepausen, mitunter noch mit Jnstrumentalmusik pbo_109.023
ausgefüllt. Der Bühnenraum bestreitet bei erhobenem pbo_109.024
Vorhang (während der Akte) das Phantasiebild des pbo_109.025
Zuschauers. Dies fordert die Handlung, er darf daher nicht pbo_109.026
leer bleiben ("scene vide"), es fordert Uebereinstimmung, er pbo_109.027
darf daher nicht willkürlich sein, zumal in unserer Zeit, die pbo_109.028
von den ursprünglichen allgemeinen scenischen Andeutungen pbo_109.029
zu sehr bestimmter, oft unnötiger, überladener Dekoration pbo_109.030
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Gebilde, wird hier die künstlerische Anordnung und Auswahl pbo_109.002
des Stoffes sein müssen.

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§ 71. Bühnentechnik.

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Hierin begegnet sich der Poet im Dramaturgen mit dem pbo_109.005
Techniker, der in dem engen Rahmen eines Theaterabends pbo_109.006
(2–3 Stunden) auf einem beschränkten, vielfach bedingten pbo_109.007
Lokal (der Bühne) vor einer bunt zusammengewürfelten Menge pbo_109.008
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verstärkt durch diejenigen seiner äußeren Einrichtung bei der pbo_109.012
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die Spannung in Atem hält und zugleich nach pbo_109.019
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Zitationshilfe: Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/borinski_poetik_1895/113>, abgerufen am 30.04.2024.