Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 1. Leipzig, 1896.I. Abschnitt. [Gleich. 50] leitende Wand getrennt denken und nach dem Wärmegleich-gewichte in diesem Falle fragen. Die molekularen Vorgänge in einer solchen wärmeleitenden festen Wand können nicht nach so klaren Principien der Rechnung unterzogen werden, doch ist von vornherein wahrscheinlich und kann auch (aller- dings nur unter gewissen Voraussetzungen) durch Rechnung be- kräftigt werden, dass dabei die soeben gefundene Bedingung des Wärmegleichgewichtes fortbesteht (vgl. die von Bryan er- sonnene mechanische Vorrichtung in § 19). Experimentell wird durch die Thatsache, dass die Expansion eines Gases in ein Vacuum und die Diffusion zweier Gase ohne erhebliche Wärmetönung vor sich gehen, der Fortbestand dieser Be- dingung bewiesen. Unter Annahme desselben muss überhaupt, wenn zwei Gase, sei es von gleicher Beschaffenheit, aber ver- schiedener Dichte, sei es von verschiedener Beschaffenheit im Wärmegleichgewichte sind, also dieselbe Temperatur haben, die mittlere lebendige Kraft eines Moleküls für das eine Gas die- selbe sein, wie für das andere. Die Temperatur kann also nur eine für alle Gase gleiche Function der mittleren lebendigen Kraft eines Moleküls sein. Aus der Formel 6 folgt dann sofort, dass für zwei Gase von gleicher Temperatur, wenn auch noch der Druck auf die Flächeneinheit derselbe ist, n = n1, also die Anzahl der Moleküle in der Volumeneinheit dieselbe ist, das bekannte Avogadro'sche Gesetz. Da ferner für ein und das- selbe Gas m constant ist, so folgt, dass für ein Gas bei gleicher Temperatur, aber wechselndem Drucke [Formel 1] constant, und daher nach Formel 7 der Druck p proportional der Dichte r ist, das Boyle'sche oder Mariotte'sche Gesetz. Wir wollen nun ein bestimmtes möglichst vollkommenes I. Abschnitt. [Gleich. 50] leitende Wand getrennt denken und nach dem Wärmegleich-gewichte in diesem Falle fragen. Die molekularen Vorgänge in einer solchen wärmeleitenden festen Wand können nicht nach so klaren Principien der Rechnung unterzogen werden, doch ist von vornherein wahrscheinlich und kann auch (aller- dings nur unter gewissen Voraussetzungen) durch Rechnung be- kräftigt werden, dass dabei die soeben gefundene Bedingung des Wärmegleichgewichtes fortbesteht (vgl. die von Bryan er- sonnene mechanische Vorrichtung in § 19). Experimentell wird durch die Thatsache, dass die Expansion eines Gases in ein Vacuum und die Diffusion zweier Gase ohne erhebliche Wärmetönung vor sich gehen, der Fortbestand dieser Be- dingung bewiesen. Unter Annahme desselben muss überhaupt, wenn zwei Gase, sei es von gleicher Beschaffenheit, aber ver- schiedener Dichte, sei es von verschiedener Beschaffenheit im Wärmegleichgewichte sind, also dieselbe Temperatur haben, die mittlere lebendige Kraft eines Moleküls für das eine Gas die- selbe sein, wie für das andere. Die Temperatur kann also nur eine für alle Gase gleiche Function der mittleren lebendigen Kraft eines Moleküls sein. Aus der Formel 6 folgt dann sofort, dass für zwei Gase von gleicher Temperatur, wenn auch noch der Druck auf die Flächeneinheit derselbe ist, n = n1, also die Anzahl der Moleküle in der Volumeneinheit dieselbe ist, das bekannte Avogadro’sche Gesetz. Da ferner für ein und das- selbe Gas m constant ist, so folgt, dass für ein Gas bei gleicher Temperatur, aber wechselndem Drucke [Formel 1] constant, und daher nach Formel 7 der Druck p proportional der Dichte ρ ist, das Boyle’sche oder Mariotte’sche Gesetz. 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I. Abschnitt. [Gleich. 50]
leitende Wand getrennt denken und nach dem Wärmegleich-
gewichte in diesem Falle fragen. Die molekularen Vorgänge
in einer solchen wärmeleitenden festen Wand können nicht
nach so klaren Principien der Rechnung unterzogen werden,
doch ist von vornherein wahrscheinlich und kann auch (aller-
dings nur unter gewissen Voraussetzungen) durch Rechnung be-
kräftigt werden, dass dabei die soeben gefundene Bedingung
des Wärmegleichgewichtes fortbesteht (vgl. die von Bryan er-
sonnene mechanische Vorrichtung in § 19). Experimentell
wird durch die Thatsache, dass die Expansion eines Gases in
ein Vacuum und die Diffusion zweier Gase ohne erhebliche
Wärmetönung vor sich gehen, der Fortbestand dieser Be-
dingung bewiesen. Unter Annahme desselben muss überhaupt,
wenn zwei Gase, sei es von gleicher Beschaffenheit, aber ver-
schiedener Dichte, sei es von verschiedener Beschaffenheit im
Wärmegleichgewichte sind, also dieselbe Temperatur haben, die
mittlere lebendige Kraft eines Moleküls für das eine Gas die-
selbe sein, wie für das andere. Die Temperatur kann also nur
eine für alle Gase gleiche Function der mittleren lebendigen
Kraft eines Moleküls sein. Aus der Formel 6 folgt dann sofort,
dass für zwei Gase von gleicher Temperatur, wenn auch noch
der Druck auf die Flächeneinheit derselbe ist, n = n1, also die
Anzahl der Moleküle in der Volumeneinheit dieselbe ist, das
bekannte Avogadro’sche Gesetz. Da ferner für ein und das-
selbe Gas m constant ist, so folgt, dass für ein Gas bei gleicher
Temperatur, aber wechselndem Drucke [FORMEL] constant, und daher
nach Formel 7 der Druck p proportional der Dichte ρ ist, das
Boyle’sche oder Mariotte’sche Gesetz.
Wir wollen nun ein bestimmtes möglichst vollkommenes
Gas, etwa Wasserstoffgas, als Normalgas wählen. Für das
Normalgas sollen Druck, Dichte, Masse und Geschwindigkeit
eines Moleküls mit P, ρ', M, C bezeichnet werden. Auf ein
beliebiges anderes Gas sollen sich die kleinen Buchstaben be-
ziehen. Das Normalgas bei constantem Volumen, also con-
stanter Dichte, wählen wir als thermometrische Substanz, d. h.
wir wählen das Temperaturmaass so, dass die Temperatur T
dem Drucke des Normalgases auf die Flächeneinheit bei con-
stanter Dichte proportional ist. Dann muss in der Formel
[FORMEL] bei constantem ρ, die Temperatur T proportional P,
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