Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834.Traum. Schlummert nicht, wachet auf! Es giebt Traum. Schlummert nicht, wachet auf! Es giebt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div> <p><pb facs="#f0068" n="56"/> Traum. Schlummert nicht, wachet auf! Es giebt<lb/> jetzt zehntauſendmal mehr glückliche Menſchen, als es<lb/> vor vierhundert Jahren gab. Aber gewiß lebten da¬<lb/> mals auch Dichter und Philoſophen, welche von dem<lb/> Glücke der Menſchheit träumten, und gewiß wurden<lb/> ſie von den Weltleuten auch verhöhnt wegen ihrer<lb/> Schwärmereien. Und doch iſt alles beſſer geworden,<lb/> und ohne Zweifel überſteigt die Wohlfahrt der heuti¬<lb/> gen Welt, weit die Hoffnung jener Gutgeſinnten,<lb/> weit die Furcht jener Schlechtgeſinnten. Was hat<lb/> ſich geändert? Hat das Glück der Menſchheit ſich<lb/> vermehrt? Nein. Die Summe des Glücks iſt im¬<lb/> mer die nämliche, nur kömmt es darauf an wie ſie<lb/> vertheilt iſt. In jenen frühen Jahrhunderten war<lb/> alles Land und Gut, aller Reichthum und alle Luſt<lb/> des Lebens, waren alle Waffen zur Vertheidigung<lb/> der Güter des Lebens in alleinigem Beſitze der Edel¬<lb/> leute und alle Kunſt und Wiſſenſchaft und göttliche<lb/> Erkenntniß waren Eigenthum der Geiſtlichkeit. Sie<lb/> hatten alles, wußten alles, konnten alles; das Volk<lb/> war arm, dumm und wehrlos. Der Frühling kam,<lb/> der Adel und Geiſtlichkeit aufgelöſt und da floſſen<lb/> Reichthum und Wiſſen von ſelbſt auf das Land herab.<lb/> Vollendet jetzt das Werk, mit eures Geiſtes, mit eurer<lb/> Hände Kraft, und wartet nicht auf die Zeit die lang¬<lb/> ſam zerſtört und noch langſamer bildet. Die Zeit<lb/> iſt eine Seidenraupe; wollt ihr Seide ſpinnen, dürft<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [56/0068]
Traum. Schlummert nicht, wachet auf! Es giebt
jetzt zehntauſendmal mehr glückliche Menſchen, als es
vor vierhundert Jahren gab. Aber gewiß lebten da¬
mals auch Dichter und Philoſophen, welche von dem
Glücke der Menſchheit träumten, und gewiß wurden
ſie von den Weltleuten auch verhöhnt wegen ihrer
Schwärmereien. Und doch iſt alles beſſer geworden,
und ohne Zweifel überſteigt die Wohlfahrt der heuti¬
gen Welt, weit die Hoffnung jener Gutgeſinnten,
weit die Furcht jener Schlechtgeſinnten. Was hat
ſich geändert? Hat das Glück der Menſchheit ſich
vermehrt? Nein. Die Summe des Glücks iſt im¬
mer die nämliche, nur kömmt es darauf an wie ſie
vertheilt iſt. In jenen frühen Jahrhunderten war
alles Land und Gut, aller Reichthum und alle Luſt
des Lebens, waren alle Waffen zur Vertheidigung
der Güter des Lebens in alleinigem Beſitze der Edel¬
leute und alle Kunſt und Wiſſenſchaft und göttliche
Erkenntniß waren Eigenthum der Geiſtlichkeit. Sie
hatten alles, wußten alles, konnten alles; das Volk
war arm, dumm und wehrlos. Der Frühling kam,
der Adel und Geiſtlichkeit aufgelöſt und da floſſen
Reichthum und Wiſſen von ſelbſt auf das Land herab.
Vollendet jetzt das Werk, mit eures Geiſtes, mit eurer
Hände Kraft, und wartet nicht auf die Zeit die lang¬
ſam zerſtört und noch langſamer bildet. Die Zeit
iſt eine Seidenraupe; wollt ihr Seide ſpinnen, dürft
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