könnte ich das auch begreifen. Aber in einem heimlichen Gerichte, vor Richtern, vor gelehrten und gebildeten Männern, die das alle eben so gut wissen als Welcker, aber es entweder nicht beachten wollen oder nicht beachten dürfen, fünf Stunden zu sprechen, das zeigt große Schwäche an. Fünf Stunden! Erinnern Sie sich noch, was ich Ihnen vorigen Winter geschrieben: wie hier einer der Geschwornen, auch bei einem unbedeutenden Preßprozeße, nach dem der Advokat des Angeschuldigten schon anderthalb Stunden gesprochen, plötzlich aufstand und rief: haltet ein, sonst rührt mich der Schlag, und wie er nach Hause ging und ihn wirklich der Schlag gerührt? Nun wahrlich, wäre ich einer von Welckers Richtern gewesen und der Schlag hätte mich verschont, hätte ich fromm die Hände gefaltet, die Augen zur Erde gerichtet und gebetet: "o du heiliger Rhadamantus da unten stärke mich, daß ich gerecht bleibe, denn es gelüstet mich sehr, den armen unschuldigen Mann der da vor mir steht, für jede Stunde die er gesprochen, auf ein Jahr zum Ge¬ fängniß zu verurtheilen!
So heimlich wurde das Gericht gehalten, daß man Wachen außen vor die Fenster stellte, aus Furcht es möchte jemand horchen. Welcker wurde freigesprochen und Abends brachten die Bürger
könnte ich das auch begreifen. Aber in einem heimlichen Gerichte, vor Richtern, vor gelehrten und gebildeten Männern, die das alle eben ſo gut wiſſen als Welcker, aber es entweder nicht beachten wollen oder nicht beachten dürfen, fünf Stunden zu ſprechen, das zeigt große Schwäche an. Fünf Stunden! Erinnern Sie ſich noch, was ich Ihnen vorigen Winter geſchrieben: wie hier einer der Geſchwornen, auch bei einem unbedeutenden Preßprozeße, nach dem der Advokat des Angeſchuldigten ſchon anderthalb Stunden geſprochen, plötzlich aufſtand und rief: haltet ein, ſonſt rührt mich der Schlag, und wie er nach Hauſe ging und ihn wirklich der Schlag gerührt? Nun wahrlich, wäre ich einer von Welckers Richtern geweſen und der Schlag hätte mich verſchont, hätte ich fromm die Hände gefaltet, die Augen zur Erde gerichtet und gebetet: „o du heiliger Rhadamantus da unten ſtärke mich, daß ich gerecht bleibe, denn es gelüſtet mich ſehr, den armen unſchuldigen Mann der da vor mir ſteht, für jede Stunde die er geſprochen, auf ein Jahr zum Ge¬ fängniß zu verurtheilen!
So heimlich wurde das Gericht gehalten, daß man Wachen außen vor die Fenſter ſtellte, aus Furcht es möchte jemand horchen. Welcker wurde freigeſprochen und Abends brachten die Bürger
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könnte ich das auch begreifen. Aber in einem
heimlichen Gerichte, vor Richtern, vor gelehrten und
gebildeten Männern, die das alle eben ſo gut wiſſen
als Welcker, aber es entweder nicht beachten wollen
oder nicht beachten dürfen, fünf Stunden zu ſprechen,
das zeigt große Schwäche an. Fünf Stunden!
Erinnern Sie ſich noch, was ich Ihnen vorigen
Winter geſchrieben: wie hier einer der Geſchwornen,
auch bei einem unbedeutenden Preßprozeße, nach
dem der Advokat des Angeſchuldigten ſchon
anderthalb Stunden geſprochen, plötzlich aufſtand
und rief: haltet ein, ſonſt rührt mich der Schlag,
und wie er nach Hauſe ging und ihn wirklich der
Schlag gerührt? Nun wahrlich, wäre ich einer von
Welckers Richtern geweſen und der Schlag hätte
mich verſchont, hätte ich fromm die Hände gefaltet,
die Augen zur Erde gerichtet und gebetet: „o du
heiliger Rhadamantus da unten ſtärke mich, daß ich
gerecht bleibe, denn es gelüſtet mich ſehr, den armen
unſchuldigen Mann der da vor mir ſteht, für jede
Stunde die er geſprochen, auf ein Jahr zum Ge¬
fängniß zu verurtheilen!
So heimlich wurde das Gericht gehalten, daß
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/204>, abgerufen am 16.07.2024.
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