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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834.

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einzuflößen wußten; doch giebt es andere ehrliche
Leute, die ihnen trauen. Mögen sie sich nicht
täuschen! Ich war immer der Meinung, daß wer
faul wartet, bis die Früchte reif herabfallen, nur
faule Früchte lesen wird. Man muß die Freiheit
von den Bäumen brechen.

-- Herr von Rotteck hat aus dem Sächsischen
wieder einen liberalen Becher bekommen; es ist der
zehente. Durch das neuliche Betragen des Herrn
von Rotteck ist mir erst recht klar geworden, warum
so viele deutsche Patrioten von 65 Pulsschlägen
an diesem Manne hängen. Er treibt sein Becher¬
spiel mit einer Vollkommenheit, wie ich es auf den
Boulevards noch nie gesehen. Er hat eine Art,
Einem den Liberalismus so bequem zu machen, daß
es eine Lust ist. An schönen Mai-Tagen, wo es
weder zu kalt noch zu warm ist, geht er mit seinen
politischen Freunden spazieren, und macht sich über
die faulen Bäuche lustig, die bei so herrlichem
Wetter im Zimmer eingeschlossen bleiben. Kömmt
aber der Sommer der Freiheit und das Volk fängt
zu donnern und zu blitzen an, wird, sobald der erste
Tropfen fällt, der Regenschirm der Legalität auf¬
gespannt, man eilt in die Stadt zurück und wimmert:
bleibt nur immer auf dem gesetzlichen Wege!
Nahen die Weihnachten der Tyrannei und Bundes¬

einzuflößen wußten; doch giebt es andere ehrliche
Leute, die ihnen trauen. Mögen ſie ſich nicht
täuſchen! Ich war immer der Meinung, daß wer
faul wartet, bis die Früchte reif herabfallen, nur
faule Früchte leſen wird. Man muß die Freiheit
von den Bäumen brechen.

— Herr von Rotteck hat aus dem Sächſiſchen
wieder einen liberalen Becher bekommen; es iſt der
zehente. Durch das neuliche Betragen des Herrn
von Rotteck iſt mir erſt recht klar geworden, warum
ſo viele deutſche Patrioten von 65 Pulsſchlägen
an dieſem Manne hängen. Er treibt ſein Becher¬
ſpiel mit einer Vollkommenheit, wie ich es auf den
Boulevards noch nie geſehen. Er hat eine Art,
Einem den Liberalismus ſo bequem zu machen, daß
es eine Luſt iſt. An ſchönen Mai-Tagen, wo es
weder zu kalt noch zu warm iſt, geht er mit ſeinen
politiſchen Freunden ſpazieren, und macht ſich über
die faulen Bäuche luſtig, die bei ſo herrlichem
Wetter im Zimmer eingeſchloſſen bleiben. Kömmt
aber der Sommer der Freiheit und das Volk fängt
zu donnern und zu blitzen an, wird, ſobald der erſte
Tropfen fällt, der Regenſchirm der Legalität auf¬
geſpannt, man eilt in die Stadt zurück und wimmert:
bleibt nur immer auf dem geſetzlichen Wege!
Nahen die Weihnachten der Tyrannei und Bundes¬

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[175/0187] einzuflößen wußten; doch giebt es andere ehrliche Leute, die ihnen trauen. Mögen ſie ſich nicht täuſchen! Ich war immer der Meinung, daß wer faul wartet, bis die Früchte reif herabfallen, nur faule Früchte leſen wird. Man muß die Freiheit von den Bäumen brechen. — Herr von Rotteck hat aus dem Sächſiſchen wieder einen liberalen Becher bekommen; es iſt der zehente. Durch das neuliche Betragen des Herrn von Rotteck iſt mir erſt recht klar geworden, warum ſo viele deutſche Patrioten von 65 Pulsſchlägen an dieſem Manne hängen. Er treibt ſein Becher¬ ſpiel mit einer Vollkommenheit, wie ich es auf den Boulevards noch nie geſehen. Er hat eine Art, Einem den Liberalismus ſo bequem zu machen, daß es eine Luſt iſt. An ſchönen Mai-Tagen, wo es weder zu kalt noch zu warm iſt, geht er mit ſeinen politiſchen Freunden ſpazieren, und macht ſich über die faulen Bäuche luſtig, die bei ſo herrlichem Wetter im Zimmer eingeſchloſſen bleiben. Kömmt aber der Sommer der Freiheit und das Volk fängt zu donnern und zu blitzen an, wird, ſobald der erſte Tropfen fällt, der Regenſchirm der Legalität auf¬ geſpannt, man eilt in die Stadt zurück und wimmert: bleibt nur immer auf dem geſetzlichen Wege! Nahen die Weihnachten der Tyrannei und Bundes¬

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/187>, abgerufen am 23.11.2024.