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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834.

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"sainte et pure. Attachez Dieu au gibet, vous
"avez la croix." Unvergleichlicher Unsinn! Freilich
bleibt Gott auch noch am Kreuze Gott, aber das
Kreuz macht ihn nicht zum Gotte, und die Anbetung
findet ihn dort nur mit Schmerz. Freilich behält
der Edelstein auch noch im Kothe seinen Werth, und
wer ihn da findet mag ihn aufheben; aber den Edel¬
stein in solcher Fassung suchen und ihn darum vor¬
ziehen -- käme das je Einem in den Sinn? Konnte
uns der Dichter den Adel und die Macht der Mutter¬
liebe nur in einer Lucrecia Borgia zeigen? Und
ihre Mutterliebe ist keine Perle im Schmutze, sie
ist Schmutz in Schmutz. Ihr Sohn ist eine Frucht
der Blutschande, es ist der Sohn ihres Bruders.

Ich hätte noch gar manches zu sagen; aber
mit einem guten Bruder Liberalen muß ich einige
Nachsicht haben. Victor Hugo bemerkt in der Vor¬
rede: die Minister möchten sich ja nicht schmeicheln,
er habe sie vergessen. Keineswegs. Er werde zwar
seine Kunst mit allem Eifer forttreiben, aber darum
die Politik nicht vernachlässigen. "L'homme a deux
mains
." Schön gesagt! In Baiern bekäme er
dafür ein doppeltes Urtheil. Fünf Jahr in's Zucht¬
haus für die rechte Hand und fünf Jahr in's Zucht¬
haus für die linke Hand. Doch hat unser gelehrter
Frankfurter Feuerbach, in seinem unvergleichlich
baierischen Criminal-Gesetzbuche für das Königreich

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„sainte et pure. Attachez Dieu au gibet, vous
avez la croix.“ Unvergleichlicher Unſinn! Freilich
bleibt Gott auch noch am Kreuze Gott, aber das
Kreuz macht ihn nicht zum Gotte, und die Anbetung
findet ihn dort nur mit Schmerz. Freilich behält
der Edelſtein auch noch im Kothe ſeinen Werth, und
wer ihn da findet mag ihn aufheben; aber den Edel¬
ſtein in ſolcher Faſſung ſuchen und ihn darum vor¬
ziehen — käme das je Einem in den Sinn? Konnte
uns der Dichter den Adel und die Macht der Mutter¬
liebe nur in einer Lucrecia Borgia zeigen? Und
ihre Mutterliebe iſt keine Perle im Schmutze, ſie
iſt Schmutz in Schmutz. Ihr Sohn iſt eine Frucht
der Blutſchande, es iſt der Sohn ihres Bruders.

Ich hätte noch gar manches zu ſagen; aber
mit einem guten Bruder Liberalen muß ich einige
Nachſicht haben. Victor Hugo bemerkt in der Vor¬
rede: die Miniſter möchten ſich ja nicht ſchmeicheln,
er habe ſie vergeſſen. Keineswegs. Er werde zwar
ſeine Kunſt mit allem Eifer forttreiben, aber darum
die Politik nicht vernachläſſigen. „L'homme a deux
mains
.“ Schön geſagt! In Baiern bekäme er
dafür ein doppeltes Urtheil. Fünf Jahr in's Zucht¬
haus für die rechte Hand und fünf Jahr in's Zucht¬
haus für die linke Hand. Doch hat unſer gelehrter
Frankfurter Feuerbach, in ſeinem unvergleichlich
baieriſchen Criminal-Geſetzbuche für das Königreich

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[131/0143] „sainte et pure. Attachez Dieu au gibet, vous „avez la croix.“ Unvergleichlicher Unſinn! Freilich bleibt Gott auch noch am Kreuze Gott, aber das Kreuz macht ihn nicht zum Gotte, und die Anbetung findet ihn dort nur mit Schmerz. Freilich behält der Edelſtein auch noch im Kothe ſeinen Werth, und wer ihn da findet mag ihn aufheben; aber den Edel¬ ſtein in ſolcher Faſſung ſuchen und ihn darum vor¬ ziehen — käme das je Einem in den Sinn? Konnte uns der Dichter den Adel und die Macht der Mutter¬ liebe nur in einer Lucrecia Borgia zeigen? Und ihre Mutterliebe iſt keine Perle im Schmutze, ſie iſt Schmutz in Schmutz. Ihr Sohn iſt eine Frucht der Blutſchande, es iſt der Sohn ihres Bruders. Ich hätte noch gar manches zu ſagen; aber mit einem guten Bruder Liberalen muß ich einige Nachſicht haben. Victor Hugo bemerkt in der Vor¬ rede: die Miniſter möchten ſich ja nicht ſchmeicheln, er habe ſie vergeſſen. Keineswegs. Er werde zwar ſeine Kunſt mit allem Eifer forttreiben, aber darum die Politik nicht vernachläſſigen. „L'homme a deux mains.“ Schön geſagt! In Baiern bekäme er dafür ein doppeltes Urtheil. Fünf Jahr in's Zucht¬ haus für die rechte Hand und fünf Jahr in's Zucht¬ haus für die linke Hand. Doch hat unſer gelehrter Frankfurter Feuerbach, in ſeinem unvergleichlich baieriſchen Criminal-Geſetzbuche für das Königreich 9 *

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/143>, abgerufen am 19.05.2024.