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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834.

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im vierten Stocke und blieb zwei Stunden bei ihm.
An dem nämlichen Tage traf er ihn Abends bei Hol¬
bach. Dieser wußte nicht, daß Diderot den König
schon gesehen, und hatte seine heimliche Freude
daran, daß Diderot glaube er spräche mit einem ge¬
wöhnlichen Menschen. Und Diderot lachte heimlich
über Holbachs Täuschung. Und wie liebenswürdig
dieser König sei (er war den größten Theil seines
Lebens und starb 1808 wahnsinnig). Und was er
schönes während seines Aufenthalts in Paris ge¬
sprochen -- über alle diese Erbärmlichkeiten zu
sprechen, wird der Philosoph Diderot nicht müde.
So sind die Liberalen!

Etwas was ich nicht früher bemerkt, ist mir
beim Lesen von Diderots Briefen plötzlich klar ge¬
worden. Es ist zum Erstaunen! Voltaire starb eilf
Jahre, Diderot fünf vor dem Ausbruche der französi¬
schen Revolution. Andere berühmte Staatsphilo¬
sophen des achtzehenten Jahrhunderts haben noch
länger herabgelebt. Und keiner dieser Schriftsteller
(wenigstens so viel ich mich erinnere) hatte auch nur
eine Ahndung von dem Herannahen einer socialen
Umwälzung Frankreichs. Ja man kann nicht einmal
sagen, daß sie einen deutlichen systematischen Wunsch
darnach ausgesprochen. Sie tadelten zwar viel und

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im vierten Stocke und blieb zwei Stunden bei ihm.
An dem nämlichen Tage traf er ihn Abends bei Hol¬
bach. Dieſer wußte nicht, daß Diderot den König
ſchon geſehen, und hatte ſeine heimliche Freude
daran, daß Diderot glaube er ſpräche mit einem ge¬
wöhnlichen Menſchen. Und Diderot lachte heimlich
über Holbachs Täuſchung. Und wie liebenswürdig
dieſer König ſei (er war den größten Theil ſeines
Lebens und ſtarb 1808 wahnſinnig). Und was er
ſchönes während ſeines Aufenthalts in Paris ge¬
ſprochen — über alle dieſe Erbärmlichkeiten zu
ſprechen, wird der Philoſoph Diderot nicht müde.
So ſind die Liberalen!

Etwas was ich nicht früher bemerkt, iſt mir
beim Leſen von Diderots Briefen plötzlich klar ge¬
worden. Es iſt zum Erſtaunen! Voltaire ſtarb eilf
Jahre, Diderot fünf vor dem Ausbruche der franzöſi¬
ſchen Revolution. Andere berühmte Staatsphilo¬
ſophen des achtzehenten Jahrhunderts haben noch
länger herabgelebt. Und keiner dieſer Schriftſteller
(wenigſtens ſo viel ich mich erinnere) hatte auch nur
eine Ahndung von dem Herannahen einer ſocialen
Umwälzung Frankreichs. Ja man kann nicht einmal
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darnach ausgeſprochen. Sie tadelten zwar viel und

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[35/0047] im vierten Stocke und blieb zwei Stunden bei ihm. An dem nämlichen Tage traf er ihn Abends bei Hol¬ bach. Dieſer wußte nicht, daß Diderot den König ſchon geſehen, und hatte ſeine heimliche Freude daran, daß Diderot glaube er ſpräche mit einem ge¬ wöhnlichen Menſchen. Und Diderot lachte heimlich über Holbachs Täuſchung. Und wie liebenswürdig dieſer König ſei (er war den größten Theil ſeines Lebens und ſtarb 1808 wahnſinnig). Und was er ſchönes während ſeines Aufenthalts in Paris ge¬ ſprochen — über alle dieſe Erbärmlichkeiten zu ſprechen, wird der Philoſoph Diderot nicht müde. So ſind die Liberalen! Etwas was ich nicht früher bemerkt, iſt mir beim Leſen von Diderots Briefen plötzlich klar ge¬ worden. Es iſt zum Erſtaunen! Voltaire ſtarb eilf Jahre, Diderot fünf vor dem Ausbruche der franzöſi¬ ſchen Revolution. Andere berühmte Staatsphilo¬ ſophen des achtzehenten Jahrhunderts haben noch länger herabgelebt. Und keiner dieſer Schriftſteller (wenigſtens ſo viel ich mich erinnere) hatte auch nur eine Ahndung von dem Herannahen einer ſocialen Umwälzung Frankreichs. Ja man kann nicht einmal ſagen, daß ſie einen deutlichen ſyſtematiſchen Wunſch darnach ausgeſprochen. Sie tadelten zwar viel und 3 *

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/47>, abgerufen am 23.11.2024.