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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834.

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nicht mehr notiren konnte. Hippokrates sah die
Sache gleich vom rechten Standpunkte an, schickte
eilig einen Diener in die Stadt zurück, und ließ
sechs Karren voll Nieswurz holen. Die Baiern setz¬
ten sich in Marsch. Vor dem Thore wurden sie
von hundert Apothekern aufgehalten, die jedem Baier
ein Pulver überreichten. Ein Major schrie: Ver¬
rätherei! Gift! und ließ unter das griechische Ge¬
sindel schießen. Dann zog König Otto über Leichen
in die Stadt. Gleich den andern Tag wurde eine
Central-Untersuchungs-Kommission gebildet, Hippo¬
krates wurde wegen seines dummen Spaßes als
Medicinalrath nach Augsburg versetzt; die geistreiche
Aspasia, die griechische Frau von Stael, nach Egyp¬
ten verbannt und Diogenes wurde auf unbestimmte
Zeit zum Zuchthause verurtheilt und mußte vor dem
Bilde des Königs Otto knieend Abbitte thun. Die
Schuldigsten waren schon vor der Untersuchung er¬
schossen wurden.

Jetzt ging das Regieren an. Eine Zeit lang
ertrugen es die Griechen. Aber eines Morgens
braußte das Volk wie ein wogendes Gewässer durch
die Stadt. Herr Oberbaurath von Klenz hatte in
der Nacht anfangen lassen, durch mehrere hundert
baiersche Maurer, den Tempel der Minerva abtra¬
gen zu lassen. Das Bild der Göttin von Phidias

nicht mehr notiren konnte. Hippokrates ſah die
Sache gleich vom rechten Standpunkte an, ſchickte
eilig einen Diener in die Stadt zurück, und ließ
ſechs Karren voll Nieswurz holen. Die Baiern ſetz¬
ten ſich in Marſch. Vor dem Thore wurden ſie
von hundert Apothekern aufgehalten, die jedem Baier
ein Pulver überreichten. Ein Major ſchrie: Ver¬
rätherei! Gift! und ließ unter das griechiſche Ge¬
ſindel ſchießen. Dann zog König Otto über Leichen
in die Stadt. Gleich den andern Tag wurde eine
Central-Unterſuchungs-Kommiſſion gebildet, Hippo¬
krates wurde wegen ſeines dummen Spaßes als
Medicinalrath nach Augsburg verſetzt; die geiſtreiche
Aſpaſia, die griechiſche Frau von Stael, nach Egyp¬
ten verbannt und Diogenes wurde auf unbeſtimmte
Zeit zum Zuchthauſe verurtheilt und mußte vor dem
Bilde des Königs Otto knieend Abbitte thun. Die
Schuldigſten waren ſchon vor der Unterſuchung er¬
ſchoſſen wurden.

Jetzt ging das Regieren an. Eine Zeit lang
ertrugen es die Griechen. Aber eines Morgens
braußte das Volk wie ein wogendes Gewäſſer durch
die Stadt. Herr Oberbaurath von Klenz hatte in
der Nacht anfangen laſſen, durch mehrere hundert
baierſche Maurer, den Tempel der Minerva abtra¬
gen zu laſſen. Das Bild der Göttin von Phidias

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[101/0113] nicht mehr notiren konnte. Hippokrates ſah die Sache gleich vom rechten Standpunkte an, ſchickte eilig einen Diener in die Stadt zurück, und ließ ſechs Karren voll Nieswurz holen. Die Baiern ſetz¬ ten ſich in Marſch. Vor dem Thore wurden ſie von hundert Apothekern aufgehalten, die jedem Baier ein Pulver überreichten. Ein Major ſchrie: Ver¬ rätherei! Gift! und ließ unter das griechiſche Ge¬ ſindel ſchießen. Dann zog König Otto über Leichen in die Stadt. Gleich den andern Tag wurde eine Central-Unterſuchungs-Kommiſſion gebildet, Hippo¬ krates wurde wegen ſeines dummen Spaßes als Medicinalrath nach Augsburg verſetzt; die geiſtreiche Aſpaſia, die griechiſche Frau von Stael, nach Egyp¬ ten verbannt und Diogenes wurde auf unbeſtimmte Zeit zum Zuchthauſe verurtheilt und mußte vor dem Bilde des Königs Otto knieend Abbitte thun. Die Schuldigſten waren ſchon vor der Unterſuchung er¬ ſchoſſen wurden. Jetzt ging das Regieren an. Eine Zeit lang ertrugen es die Griechen. Aber eines Morgens braußte das Volk wie ein wogendes Gewäſſer durch die Stadt. Herr Oberbaurath von Klenz hatte in der Nacht anfangen laſſen, durch mehrere hundert baierſche Maurer, den Tempel der Minerva abtra¬ gen zu laſſen. Das Bild der Göttin von Phidias

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/113>, abgerufen am 30.04.2024.