Gestern war ein schönes Concert im italienischen Theater, wobei mir, wie gewöhnlich, das letzte Musik¬ stück am besten gefiel; denn ich bin immer froh, wenn ein Concert zu Ende ist. Es ist mit dem Kunstgenusse, wie mit dem sinnlichen: Ohr, Auge, die Seele habe einen Punkt der Sättigung, den, er¬ reicht, alles weitere nicht mehr mundet, noch gut be¬ kömmt. Die vielen und besonders verschiedenartigen musikalischen Gerichte, eines nach dem andern vorge¬ setzt, stumpfen die Empfänglichkeit ab, und richten das Urtheil ganz zu Grunde. Es ist eine abscheu¬ liche Ueppigkeit, die den Menschen endlich empfin¬ dungsarm macht. Dieses im Vorbeigehen; denn man soll jede Gelegenheit benutzen, einer Freundin etwas Philosophie in Verwahrung zu geben. Die
Neunzehnter Brief.
Paris, Montag, den 9. Januar 1832.
Geſtern war ein ſchönes Concert im italieniſchen Theater, wobei mir, wie gewöhnlich, das letzte Muſik¬ ſtück am beſten gefiel; denn ich bin immer froh, wenn ein Concert zu Ende iſt. Es iſt mit dem Kunſtgenuſſe, wie mit dem ſinnlichen: Ohr, Auge, die Seele habe einen Punkt der Sättigung, den, er¬ reicht, alles weitere nicht mehr mundet, noch gut be¬ kömmt. Die vielen und beſonders verſchiedenartigen muſikaliſchen Gerichte, eines nach dem andern vorge¬ ſetzt, ſtumpfen die Empfänglichkeit ab, und richten das Urtheil ganz zu Grunde. Es iſt eine abſcheu¬ liche Ueppigkeit, die den Menſchen endlich empfin¬ dungsarm macht. Dieſes im Vorbeigehen; denn man ſoll jede Gelegenheit benutzen, einer Freundin etwas Philoſophie in Verwahrung zu geben. Die
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Neunzehnter Brief.
Paris, Montag, den 9. Januar 1832.
Geſtern war ein ſchönes Concert im italieniſchen
Theater, wobei mir, wie gewöhnlich, das letzte Muſik¬
ſtück am beſten gefiel; denn ich bin immer froh,
wenn ein Concert zu Ende iſt. Es iſt mit dem
Kunſtgenuſſe, wie mit dem ſinnlichen: Ohr, Auge,
die Seele habe einen Punkt der Sättigung, den, er¬
reicht, alles weitere nicht mehr mundet, noch gut be¬
kömmt. Die vielen und beſonders verſchiedenartigen
muſikaliſchen Gerichte, eines nach dem andern vorge¬
ſetzt, ſtumpfen die Empfänglichkeit ab, und richten
das Urtheil ganz zu Grunde. Es iſt eine abſcheu¬
liche Ueppigkeit, die den Menſchen endlich empfin¬
dungsarm macht. Dieſes im Vorbeigehen; denn
man ſoll jede Gelegenheit benutzen, einer Freundin
etwas Philoſophie in Verwahrung zu geben. Die
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. [45]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/59>, abgerufen am 24.11.2024.
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