Dieser Unteroffizier war Heimballs jüngster Sohn, der aber trotz seiner königlichen Abstammung nicht besser gehalten wurde, als der gemeinste Krie¬ ger. Nachdem aber sein Vater fortgezogen war, und der junge Mensch sich selbst überlassen blieb, konnte er den Schmeicheleien und Kriechereien der Hofräthe nicht lange wiederstehen. Er verweichlichte, sein reines skandinavisches Blut artete aus, und von dem vielen Essen und Trinken, daß man ihm alle Tage vorsetzte, bekam er die Gicht, welche Krank¬ heit sich durch länger als zweitausend Jahre in sei¬ ner Familie fortgeerbt. Vier und zwanzig hundert Jahre nach Heimball reiste ein Nachkömmling jenes Unteroffiziers, Namens Widar, wegen seines Po¬ dagra's nach Baden bei Rastadt. Auf dem Wege dahin, im würtembergischen Städtchen Mergentheim, lernte er ein schönes Mädchen kennen, Namens Goldchen, Tochter des Juden Baruch. Er ver¬ liebte sich in sie, und verlangte sie zur Gattin. Er erhielt sie unter der Bedingung, ein Jude zu werden und den Namen Baruch anzunehmen. Widar lernte in Baden den berühmten Dichter Robert kennen, der ihn Tag und Nacht um Stoff zu einem Drama quälte. Widar erzählte ihm seine eigene Lebens¬ geschichte und daraus entstand Roberts Europäisches Schauspiel: die Macht der Verhältnisse. Dar¬ auf zog Widar oder Baruch an den Main, da, wo
Dieſer Unteroffizier war Heimballs jüngſter Sohn, der aber trotz ſeiner königlichen Abſtammung nicht beſſer gehalten wurde, als der gemeinſte Krie¬ ger. Nachdem aber ſein Vater fortgezogen war, und der junge Menſch ſich ſelbſt überlaſſen blieb, konnte er den Schmeicheleien und Kriechereien der Hofräthe nicht lange wiederſtehen. Er verweichlichte, ſein reines ſkandinaviſches Blut artete aus, und von dem vielen Eſſen und Trinken, daß man ihm alle Tage vorſetzte, bekam er die Gicht, welche Krank¬ heit ſich durch länger als zweitauſend Jahre in ſei¬ ner Familie fortgeerbt. Vier und zwanzig hundert Jahre nach Heimball reiſte ein Nachkömmling jenes Unteroffiziers, Namens Widar, wegen ſeines Po¬ dagra's nach Baden bei Raſtadt. Auf dem Wege dahin, im würtembergiſchen Städtchen Mergentheim, lernte er ein ſchönes Mädchen kennen, Namens Goldchen, Tochter des Juden Baruch. Er ver¬ liebte ſich in ſie, und verlangte ſie zur Gattin. Er erhielt ſie unter der Bedingung, ein Jude zu werden und den Namen Baruch anzunehmen. Widar lernte in Baden den berühmten Dichter Robert kennen, der ihn Tag und Nacht um Stoff zu einem Drama quälte. Widar erzählte ihm ſeine eigene Lebens¬ geſchichte und daraus entſtand Roberts Europäiſches Schauſpiel: die Macht der Verhältniſſe. Dar¬ auf zog Widar oder Baruch an den Main, da, wo
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Dieſer Unteroffizier war Heimballs jüngſter
Sohn, der aber trotz ſeiner königlichen Abſtammung
nicht beſſer gehalten wurde, als der gemeinſte Krie¬
ger. Nachdem aber ſein Vater fortgezogen war,
und der junge Menſch ſich ſelbſt überlaſſen blieb,
konnte er den Schmeicheleien und Kriechereien der
Hofräthe nicht lange wiederſtehen. Er verweichlichte,
ſein reines ſkandinaviſches Blut artete aus, und von
dem vielen Eſſen und Trinken, daß man ihm alle
Tage vorſetzte, bekam er die Gicht, welche Krank¬
heit ſich durch länger als zweitauſend Jahre in ſei¬
ner Familie fortgeerbt. Vier und zwanzig hundert
Jahre nach Heimball reiſte ein Nachkömmling jenes
Unteroffiziers, Namens Widar, wegen ſeines Po¬
dagra's nach Baden bei Raſtadt. Auf dem Wege
dahin, im würtembergiſchen Städtchen Mergentheim,
lernte er ein ſchönes Mädchen kennen, Namens
Goldchen, Tochter des Juden Baruch. Er ver¬
liebte ſich in ſie, und verlangte ſie zur Gattin. Er
erhielt ſie unter der Bedingung, ein Jude zu werden
und den Namen Baruch anzunehmen. Widar lernte
in Baden den berühmten Dichter Robert kennen,
der ihn Tag und Nacht um Stoff zu einem Drama
quälte. Widar erzählte ihm ſeine eigene Lebens¬
geſchichte und daraus entſtand Roberts Europäiſches
Schauſpiel: die Macht der Verhältniſſe. Dar¬
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/178>, abgerufen am 24.11.2024.
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