Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite

Menschen bewegen, wenn es mir gelingt, sie fortzu¬
treiben, entfernten sie sich auch von meiner Gesinnung.
Sie gingen doch, sie blieben nicht länger stehen. Und
das ist mir gelungen. Welche Begebenheit der Welt
hat denn seit der großen Sontag das deutsche Volk
so in Bewegung gesetzt als mein Buch? Nun freilich,
der Sängerin haben sie den Wagen gezogen, und
nach mir, der gepfiffen, haben sie mit faulen Aepfeln
geworfen; aber sie haben sich bewegt für mich, wie
für sie, und die Bewegung war ihnen gut. Freilich
haben sie die Sängerin mit Flötenliedern in den
Schlaf gelullt, und mich haben sie mit einer gräu¬
lichen Katzenmusik aus dem Schlafe geweckt; aber
bis vor Mitternacht haben sie vor meinem Hause
gekesselt und geklappert, sie sind später zu Bette ge¬
gangen, sie haben drei Stunden weniger ge¬
schlafen
. Ist das nicht Gewinn? Habe ich nicht
die Röthe des Zorns in tausend blutleere Wangen
gejagt, und seyd Ihr denn so ganz gewiß, daß nicht
manche schüchterne Schaamröthe das benutzt, sich
leise, sachte auch darüber hinzuschleichen? Habe ich
nicht manches kalte Herz entflammt? Mag nun die
Flamme meinen Scheiterhaufen anzünden, oder den
Weihrauch, den man auf meinen Altar gestreut --
was geht das Euch an? Das ist meine Sache. Ge¬
nug, es flammt. Seyd nicht undankbar gegen einen
Euerer treusten Diener, der mit den Andern gehol¬

lV. 10

Menſchen bewegen, wenn es mir gelingt, ſie fortzu¬
treiben, entfernten ſie ſich auch von meiner Geſinnung.
Sie gingen doch, ſie blieben nicht länger ſtehen. Und
das iſt mir gelungen. Welche Begebenheit der Welt
hat denn ſeit der großen Sontag das deutſche Volk
ſo in Bewegung geſetzt als mein Buch? Nun freilich,
der Sängerin haben ſie den Wagen gezogen, und
nach mir, der gepfiffen, haben ſie mit faulen Aepfeln
geworfen; aber ſie haben ſich bewegt für mich, wie
für ſie, und die Bewegung war ihnen gut. Freilich
haben ſie die Sängerin mit Flötenliedern in den
Schlaf gelullt, und mich haben ſie mit einer gräu¬
lichen Katzenmuſik aus dem Schlafe geweckt; aber
bis vor Mitternacht haben ſie vor meinem Hauſe
gekeſſelt und geklappert, ſie ſind ſpäter zu Bette ge¬
gangen, ſie haben drei Stunden weniger ge¬
ſchlafen
. Iſt das nicht Gewinn? Habe ich nicht
die Röthe des Zorns in tauſend blutleere Wangen
gejagt, und ſeyd Ihr denn ſo ganz gewiß, daß nicht
manche ſchüchterne Schaamröthe das benutzt, ſich
leiſe, ſachte auch darüber hinzuſchleichen? Habe ich
nicht manches kalte Herz entflammt? Mag nun die
Flamme meinen Scheiterhaufen anzünden, oder den
Weihrauch, den man auf meinen Altar geſtreut —
was geht das Euch an? Das iſt meine Sache. Ge¬
nug, es flammt. Seyd nicht undankbar gegen einen
Euerer treuſten Diener, der mit den Andern gehol¬

lV. 10
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0159" n="145"/>
Men&#x017F;chen bewegen, wenn es mir gelingt, &#x017F;ie fortzu¬<lb/>
treiben, entfernten &#x017F;ie &#x017F;ich auch von meiner Ge&#x017F;innung.<lb/>
Sie gingen doch, &#x017F;ie blieben nicht länger &#x017F;tehen. Und<lb/>
das i&#x017F;t mir gelungen. Welche Begebenheit der Welt<lb/>
hat denn &#x017F;eit der großen <hi rendition="#g">Sontag</hi> das deut&#x017F;che Volk<lb/>
&#x017F;o in Bewegung ge&#x017F;etzt als mein Buch? Nun freilich,<lb/>
der Sängerin haben &#x017F;ie den Wagen gezogen, und<lb/>
nach mir, der gepfiffen, haben &#x017F;ie mit faulen Aepfeln<lb/>
geworfen; aber &#x017F;ie haben &#x017F;ich bewegt für mich, wie<lb/>
für &#x017F;ie, und die Bewegung war ihnen gut. Freilich<lb/>
haben &#x017F;ie die Sängerin mit Flötenliedern in den<lb/>
Schlaf gelullt, und mich haben &#x017F;ie mit einer gräu¬<lb/>
lichen Katzenmu&#x017F;ik aus dem Schlafe geweckt; aber<lb/>
bis vor Mitternacht haben &#x017F;ie vor meinem Hau&#x017F;e<lb/>
geke&#x017F;&#x017F;elt und geklappert, &#x017F;ie &#x017F;ind &#x017F;päter zu Bette ge¬<lb/>
gangen, <hi rendition="#g">&#x017F;ie haben drei Stunden weniger ge¬<lb/>
&#x017F;chlafen</hi>. I&#x017F;t das nicht Gewinn? Habe ich nicht<lb/>
die Röthe des Zorns in tau&#x017F;end blutleere Wangen<lb/>
gejagt, und &#x017F;eyd Ihr denn &#x017F;o ganz gewiß, daß nicht<lb/>
manche &#x017F;chüchterne Schaamröthe das benutzt, &#x017F;ich<lb/>
lei&#x017F;e, &#x017F;achte auch darüber hinzu&#x017F;chleichen? Habe ich<lb/>
nicht manches kalte Herz entflammt? Mag nun die<lb/>
Flamme meinen Scheiterhaufen anzünden, oder den<lb/>
Weihrauch, den man auf meinen Altar ge&#x017F;treut &#x2014;<lb/>
was geht das Euch an? Das i&#x017F;t meine Sache. Ge¬<lb/>
nug, es flammt. Seyd nicht undankbar gegen einen<lb/>
Euerer treu&#x017F;ten Diener, der mit den Andern gehol¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">lV</hi>. 10<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[145/0159] Menſchen bewegen, wenn es mir gelingt, ſie fortzu¬ treiben, entfernten ſie ſich auch von meiner Geſinnung. Sie gingen doch, ſie blieben nicht länger ſtehen. Und das iſt mir gelungen. Welche Begebenheit der Welt hat denn ſeit der großen Sontag das deutſche Volk ſo in Bewegung geſetzt als mein Buch? Nun freilich, der Sängerin haben ſie den Wagen gezogen, und nach mir, der gepfiffen, haben ſie mit faulen Aepfeln geworfen; aber ſie haben ſich bewegt für mich, wie für ſie, und die Bewegung war ihnen gut. Freilich haben ſie die Sängerin mit Flötenliedern in den Schlaf gelullt, und mich haben ſie mit einer gräu¬ lichen Katzenmuſik aus dem Schlafe geweckt; aber bis vor Mitternacht haben ſie vor meinem Hauſe gekeſſelt und geklappert, ſie ſind ſpäter zu Bette ge¬ gangen, ſie haben drei Stunden weniger ge¬ ſchlafen. Iſt das nicht Gewinn? Habe ich nicht die Röthe des Zorns in tauſend blutleere Wangen gejagt, und ſeyd Ihr denn ſo ganz gewiß, daß nicht manche ſchüchterne Schaamröthe das benutzt, ſich leiſe, ſachte auch darüber hinzuſchleichen? Habe ich nicht manches kalte Herz entflammt? Mag nun die Flamme meinen Scheiterhaufen anzünden, oder den Weihrauch, den man auf meinen Altar geſtreut — was geht das Euch an? Das iſt meine Sache. Ge¬ nug, es flammt. Seyd nicht undankbar gegen einen Euerer treuſten Diener, der mit den Andern gehol¬ lV. 10

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/159
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/159>, abgerufen am 02.05.2024.