Menschen bewegen, wenn es mir gelingt, sie fortzu¬ treiben, entfernten sie sich auch von meiner Gesinnung. Sie gingen doch, sie blieben nicht länger stehen. Und das ist mir gelungen. Welche Begebenheit der Welt hat denn seit der großen Sontag das deutsche Volk so in Bewegung gesetzt als mein Buch? Nun freilich, der Sängerin haben sie den Wagen gezogen, und nach mir, der gepfiffen, haben sie mit faulen Aepfeln geworfen; aber sie haben sich bewegt für mich, wie für sie, und die Bewegung war ihnen gut. Freilich haben sie die Sängerin mit Flötenliedern in den Schlaf gelullt, und mich haben sie mit einer gräu¬ lichen Katzenmusik aus dem Schlafe geweckt; aber bis vor Mitternacht haben sie vor meinem Hause gekesselt und geklappert, sie sind später zu Bette ge¬ gangen, sie haben drei Stunden weniger ge¬ schlafen. Ist das nicht Gewinn? Habe ich nicht die Röthe des Zorns in tausend blutleere Wangen gejagt, und seyd Ihr denn so ganz gewiß, daß nicht manche schüchterne Schaamröthe das benutzt, sich leise, sachte auch darüber hinzuschleichen? Habe ich nicht manches kalte Herz entflammt? Mag nun die Flamme meinen Scheiterhaufen anzünden, oder den Weihrauch, den man auf meinen Altar gestreut -- was geht das Euch an? Das ist meine Sache. Ge¬ nug, es flammt. Seyd nicht undankbar gegen einen Euerer treusten Diener, der mit den Andern gehol¬
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Menſchen bewegen, wenn es mir gelingt, ſie fortzu¬ treiben, entfernten ſie ſich auch von meiner Geſinnung. Sie gingen doch, ſie blieben nicht länger ſtehen. Und das iſt mir gelungen. Welche Begebenheit der Welt hat denn ſeit der großen Sontag das deutſche Volk ſo in Bewegung geſetzt als mein Buch? Nun freilich, der Sängerin haben ſie den Wagen gezogen, und nach mir, der gepfiffen, haben ſie mit faulen Aepfeln geworfen; aber ſie haben ſich bewegt für mich, wie für ſie, und die Bewegung war ihnen gut. Freilich haben ſie die Sängerin mit Flötenliedern in den Schlaf gelullt, und mich haben ſie mit einer gräu¬ lichen Katzenmuſik aus dem Schlafe geweckt; aber bis vor Mitternacht haben ſie vor meinem Hauſe gekeſſelt und geklappert, ſie ſind ſpäter zu Bette ge¬ gangen, ſie haben drei Stunden weniger ge¬ ſchlafen. Iſt das nicht Gewinn? Habe ich nicht die Röthe des Zorns in tauſend blutleere Wangen gejagt, und ſeyd Ihr denn ſo ganz gewiß, daß nicht manche ſchüchterne Schaamröthe das benutzt, ſich leiſe, ſachte auch darüber hinzuſchleichen? Habe ich nicht manches kalte Herz entflammt? Mag nun die Flamme meinen Scheiterhaufen anzünden, oder den Weihrauch, den man auf meinen Altar geſtreut — was geht das Euch an? Das iſt meine Sache. Ge¬ nug, es flammt. Seyd nicht undankbar gegen einen Euerer treuſten Diener, der mit den Andern gehol¬
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Menſchen bewegen, wenn es mir gelingt, ſie fortzu¬
treiben, entfernten ſie ſich auch von meiner Geſinnung.
Sie gingen doch, ſie blieben nicht länger ſtehen. Und
das iſt mir gelungen. Welche Begebenheit der Welt
hat denn ſeit der großen Sontag das deutſche Volk
ſo in Bewegung geſetzt als mein Buch? Nun freilich,
der Sängerin haben ſie den Wagen gezogen, und
nach mir, der gepfiffen, haben ſie mit faulen Aepfeln
geworfen; aber ſie haben ſich bewegt für mich, wie
für ſie, und die Bewegung war ihnen gut. Freilich
haben ſie die Sängerin mit Flötenliedern in den
Schlaf gelullt, und mich haben ſie mit einer gräu¬
lichen Katzenmuſik aus dem Schlafe geweckt; aber
bis vor Mitternacht haben ſie vor meinem Hauſe
gekeſſelt und geklappert, ſie ſind ſpäter zu Bette ge¬
gangen, ſie haben drei Stunden weniger ge¬
ſchlafen. Iſt das nicht Gewinn? Habe ich nicht
die Röthe des Zorns in tauſend blutleere Wangen
gejagt, und ſeyd Ihr denn ſo ganz gewiß, daß nicht
manche ſchüchterne Schaamröthe das benutzt, ſich
leiſe, ſachte auch darüber hinzuſchleichen? Habe ich
nicht manches kalte Herz entflammt? Mag nun die
Flamme meinen Scheiterhaufen anzünden, oder den
Weihrauch, den man auf meinen Altar geſtreut —
was geht das Euch an? Das iſt meine Sache. Ge¬
nug, es flammt. Seyd nicht undankbar gegen einen
Euerer treuſten Diener, der mit den Andern gehol¬
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/159>, abgerufen am 16.02.2025.
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